ray Filmmagazin » Dossier » Dem Himmel so nah

Dossier Schauspieler – Dem Himmel so nah

Dem Himmel so nah

| Jörg Schiffauer |

Obwohl Marisa Tomei zu den profiliertesten Aktricen Hollywoods zählt, blieb ihr der ganz große Durchbruch bislang versagt. An ihren schauspielerischen Qualitäten kann das am allerwenigsten liegen.

Werbung

Am 29. März 1993 schien der Weg zur Weltkarriere für Marisa Tomei endgültig geebnet zu sein. An diesem Abend erhielt sie für ihre Rolle in der Komödie My Cousin Vinny den Oscar als beste Nebendarstellerin, ein Erfolg, der in der Diktion der Sportberichterstattung das Attribut „hoch verdient“ zugeordnet bekommen hätte. Völlig zu recht, denn Tomeis Darstellung der Freundin und Assistentin eines eher erfolglosen Anwalts, die hinter ihrer naiven Fassade ein gehöriges Maß an Cleverness und Souveränität bereit hält, war so hinreißend, dass selbst ihr Kollege Joe Pesci trotz seiner gewohnt guten Leistung einige Mühe hatte, nicht an die Wand gespielt zu werden. Die Oscar-Auszeichnung war für die am 4. Dezember 1964 in Brooklyn, New York geborene Marisa Tomei der Gipfel einer bis dahin stets nach oben verlaufenen Karriere. Tomei brach ihr Studium an der Boston University ab, nachdem sie bereits im Alter von 19 Jahren eine Rolle in der populären (und bis heute immer noch laufenden) TV-Serie As the World Turns bekam, ihr Spielfilmdebüt gab sie 1984 in Gary Marshalls The Flamingo Kid neben Matt Dillon. Es folgte eine Hauptrolle in der Sitcom A Different World sowie weitere Film- und Fernseharbeiten, ehe mit der erwähnten Performance in My Cousin Vinny der unaufhaltsame Aufstieg in Richtung  Superstar eigentlich vorgezeichnet schien. Prädestiniert für den Star-Status war Marisa Tomei allemal, neben ihrer ebenso attraktiven wie charismatischen Erscheinung (eine in Hollywood ohnehin recht rare Kombination) ist sie vor allem eine vielseitige und wandlungsfähige Schauspielerin, die es versteht, sowohl im dramatischen wie auch im komödiantischen Fach exzellente Auftritte abzuliefern. Doch Talent und gute Leistungen sind, entgegen den Behauptungen neoliberaler Dogmatiker, keineswegs ein Garant dafür, große Ziele auch zu erreichen, sonst wäre Ungarn 1954 Fußballweltmeister und Ivan Lendl zumindest einmal Wimbledonsieger geworden. Trotz Tomeis unbestreitbarer Qualitäten erreichte ihre Karriere nie jene Höhen, die nach der erwähnten Oscar-Nacht eigentlich allgemein erwartet worden waren. Das mag zum Teil auch an einer etwas unglücklichen Hand bei der Auswahl ihrer Rollen liegen. Man sah Marisa Tomei unter anderem in ambitionierten, aber missglückten Independent-Projekten wie Welcome to Sarajevo (Michael Winterbottom, 1997) und Factotum (Bent Hamer, 2005), ebenso wie in eher seichten Mainstream-Filmen, die zudem auch noch ökonomisch ziemlich floppten (Someone Like You…, 2001 oder The Guru, 2002). So richtig nachvollziehbar war diese Stagnation jedoch nicht wirklich, halbwegs plausibel erklärbar schon gar nicht. Da passt es dann irgendwie ins Bild, dass ausgerechnet die farblose Renee Zellweger anstelle von Tomei neben Tom Cruise in dem (zumindest finanziell) erfolgreichen Jerry Maguire besetzt wurde, was eigentlich nur damit zu begründen ist, dass Cruise wohl befürchten musste, von einer Partnerin wie Marisa Tomei schauspielerisch völlig deklassiert zu werden.

Dass ihre Auftritte, die auch durchschnittliche Mainstream-Ware wie etwa Alfie oder Anger Management aufpolieren, fast immer hoch gelobt werden, sichert Tomei zwar den Respekt des Fachpublikums (so war sie 2002 für In the Bedroom erneut Oscar-nominiert – wieder „nur“ in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“) und jede Menge Rollenangebote, doch schön langsam verfestigt sich dadurch auch ihr Ruf als verlässliche Ensemble-Schauspielerin, der man jede Nebenrolle anvertrauen kann, die aber von Hauptrollen zusehends ferngehalten wird (ein Problem, das Tomei übrigens ganz offensichtlich mit Carrie-Anne Moss teilt, die nach dem gigantischen Erfolg der Matrix-Reihe und einer  tragenden Rolle in Christopher Nolans Memento mittlerweile bei ihren Engagements sträflich unterfordert agieren muss).

Ganz so schlimm ist es um Marisa Tomei nicht bestellt, durfte sie zuletzt doch eine Rolle in Altmeister Sidney Lumets exzellentem Thriller Before the Devil Knows You’re Dead übernehmen, demnächst folgt ein Part in Darren Aronofskys neuem Film The Wrestler. Nebenrollen zwar, aber immerhin in guten Filmen. Doch, um eine weitere Phrase aus der Welt des Sports zu strapazieren: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Morgan Freeman jedenfalls war um einige Jahre älter als Marisa Tomei, ehe ihm doch noch der Aufstieg vom gefragten Nebendarsteller in die erste Riege Hollywoods gelang.