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Batman The Dark Knight

The Dark Knight

Fledermaus-Passion

| Sebastian Hofer |

Christopher Nolans „The Dark Knight“ ist kein Superhelden-, und schon gar kein Comic-Film mehr. Dazu ist er viel zu pervers, also: zu real.

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Kann man über diesen Film, den teuersten, den erfolgreichsten, den ganz allgemein spektakulärsten der Saison, überhaupt sprechen, ohne in Superlative zu verfallen? Nein, kann man nicht. Weil es diesem Film nicht angemessen wäre. Dieser Film wurde im Superlativ geboren, und er existiert ausschließlich im Superlativ, seinem einzig denkbaren Biotop. Also, ganz in diesem Sinne: The Dark Knight, Christopher Nolans zweiter Vorstoß ins Batman-Universum (nach Batman Begins aus dem Jahr 2005), ist der realistischste Superheldenfilm aller Zeiten. Nicht, weil der dunkle Ritter von Schlägereien – wie im richtigen Leben! – mit blauen Flecken und Schürfwunden heimkommt; nicht, weil in diesem Film – wie im richtigen Leben! – nicht immer alles gut ausgeht. Sondern, weil es hier – ja, wie im richtigen Leben – zunehmend unmöglich wird, Gut und Böse problemlos zu unterscheiden. Wir hier sind das ja irgendwie gewohnt, als Superheld muss man damit freilich erst einmal zurechtkommen. The Dark Knight hat nichts mehr mit der alten Comic- und Superheldenmoral zu tun, die in ihren Grundzügen noch immer so aussieht: Hier: Gut. Dort: Böse. Ende: Happy. Das richtige Leben? Schmeck’s! Zugegeben: Im Kinosommer 2008 geht ein Bruch dieser alten Comic-Konvention nun wirklich nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal durch. Will Smiths Hancock war gewiss kein tadelloser Superheld. Robert Downey Jrs. Iron Man schon gar nicht, der unglaubliche Hulk des unglaublichen Edward Norton am allerwenigsten. Aber sie alle haben sich, trotz ihrer (vor allem dramaturgisch wirksamen, moralisch aber irrelevanten) Fehler und Beschädigungen, doch zumindest in einem Koordinatensystem bewegt, in dem immerhin klar war, wer wo steht, und warum eigentlich. The Dark Knight zertrümmert dieses Koordinatensystem. Im Gotham City des Christopher Nolan löst sich jede Moral auf, und mit ihr auch sämtliche Vernunft – und alle Hoffnung. Also sehen wir gleich in den ersten Minuten des Films: Der Batman-Scheinwerfer über der Stadt ist unscharf geworden, seine Konturen verlieren sich im Nebel. Ambivalenz breitet ihre Flügel aus, und sie kommt nicht, um uns zu retten.

The Dark Knight schließt dort an, wo Batman Begins aufhörte: Der Milliardär Bruce Wayne (Christian Bale) hat seine Bestimmung gefunden, beziehungsweise sie ihn: Als einsamer Rächer, frei schwebend über Alltag und Gesetz, bekämpft er das Verbrechen in Gotham City auf eigene Faust, denn irgendwer muss es ja machen. Ganz nach dem alten Erfolgsrezept: mehr privat, weniger Staat. Dummerweise sind sich Gothams Bewohner gar nicht so sicher, ob sie das auch wollen. Vielleicht ist dieser Batman – immerhin ein radikaler Gewalttäter und einer, der im Zweifel nur seinen eigenen Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen vertraut – ja auch eine Bedrohung. Vielleicht ist er gar kein Held, vielleicht ja nicht einmal super. Man weiß es einfach nicht, weil, wie gesagt: Gut und Böse, das kann einem in diesen Zeiten schon mal durcheinander kommen. Und dazu muss man nicht einmal mehr in den Irak fahren, oder nach Guantanamo.

Immerhin, eines wird hier ziemlich schnell offenkundig: Batman mag zwar eine ambivalente Figur sein; eine Hauptfigur ist er nicht mehr. Diesen Posten nimmt ein anderer ein: Batmans Antagonist, der Joker, ein herausragender, geradezu genialer letzter Auftritt von Heath Ledger vor seinem tragischen Tod im Jänner dieses Jahres. Dieser Joker ist in The Dark Knight keine dämonische Witzfigur mehr wie etwa jener Joker der Ära Jack Nicholson, er ist eine echte, reale Bedrohung, was sich auch diesseits der Leinwand niederschlägt. Die Körperlichkeit seines Wahnsinns, seine immer wieder vorstoßende, schle-ckende Zunge, das dreckige Weiß seiner zerlaufenen Schminke, sein haltlos taumelnder Kopf, seine Hände, die jederzeit zupacken können und es auch tun, spielend und zerstörerisch, all das reißt einem den Boden unter den Füßen weg: die Sicherheit, dass er das doch nicht machen kann, dass das bitte alles nicht wahr sein kann. Kann es sehr wohl; so, wie ja vor sieben Jahren auch das Superheldenfilmklischee von den einstürzenden Hochhaustürmen wahr werden konnte. Einfach so.

Mit beispielloser Skrupellosigkeit zwingt der Joker Gotham City in seinen Bann, lässt niemand ungeschoren. Die Mafia nicht, die, durch Batman schwer in Bedrängnis geraten, sich zunächst an ihn gewandt hat; die Exekutive nicht, die sich ihm in Gestalt des braven Polizeileutnants Jim Gordon (Gary Oldman) entgegenstellt; die Justiz nicht, vertreten durch den erstaunlich tapferen Staatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhart); Batman schon gar nicht. Ungestraft und in jeder Hinsicht unfassbar überzieht dieser Hofnarr des Teufels die Stadt mit Terror und Chaos, sprengt Banken und Krankenhäuser, verwickelt Zufallspassanten in sadistische Spielchen. Dabei mag dieser Joker zwar das Genre des (angedrohten) Selbstmordattentats mit großer Eleganz beherrschen, ein gewöhnlicher Terrorist ist er deshalb noch lange nicht. Er hat keine Mission, und genau das macht ihn so unheimlich, so erfolgreich. Gut und Böse sind ihm einerlei, es ist die Ordnung, die es zu zerstören gilt, und vor allem: die Grenze zwischen Gut und Böse. Dieser Joker ist ein Fundamentalist des Chaos.

Die New York Times verortete The Dark Knight in einer euphorischen Kritik „an der Grenzlinie zwischen Kunst und Industrie, Poesie und Unterhaltung“, und vergaß dabei die wichtigste der hier verhandelten Grenzen: jene zwischen Realität und Fiktion. Was dort gilt, im Kino, gilt auch hier, im wirklichen Leben: Der Kampf gegen das Böse ist nicht notwendigerweise gut, unter Umständen korrumpiert er das Gute sogar – einmal angenommen, dass er irgendwann gut war. Der Krieg gegen den Terror hat selbst terroristische Züge. Aber The Dark Knight ist mehr als nur eine Hollywood-Allegorie auf die Kriege des scheidenden US-Präsidenten. In der Ambivalenz, der Unentscheidbarkeit, die er so explosiv verhandelt, spiegelt sich mehr: die Verfasstheit des modernen Lebens. Wir bekommen es – hier wie dort – mit einer Moral zu tun, die scheinbar keine Basis mehr hat, einer Vernunft, die kritisch geworden ist (allerdings in einem durch und durch unheimlichen Sinn), einer Ordnung, die im Chaos wurzelt. Auch in erzähltechnischer Hinsicht: The Dark Knight ist – wie das richtige Leben! – voller unvermittelter Höhepunkte, unpassender Anschlüsse und plötzlich abgebrochener Schlüsselszenen, ein rasendes, heilloses Durcheinander.

„Manchen Menschen sind logische Motive wie Geld einfach fremd“, behauptet Bruce Waynes dienstbarer Hausgeist Alfred (Michael Caine) einmal mit Blick auf den irrationalen Furor des Jokers. Dass es im Jahr 2008 nichts Unlogischeres gibt als das Streben nach Geld, ignoriert er dabei geflissentlich. In den virtuellen Phantastilliarden der Hedgefonds und Devisenspekulanten, den von realen Bedingungen (zum Beispiel Angebot und Nachfrage) völlig losgelösten Kurstreibereien, der moral- und grenzenlosen Betriebsamkeit jener Welt, der ja auch der Multimilliardär Bruce Wayne angehört, spiegelt sich nur allzu real der Geist dieses Jokers: Dinge werden nicht gemacht, weil sie einem Zweck dienen oder einer Überzeugung entspringen, sondern weil es eben geht. Das reine Profitstreben rückt in die zweite Reihe, was zählt, ist der pure Kick. Dabei ist alles erlaubt, woran man nicht gehindert wird. Und die Grenzen werden immer durchlässiger.

Im Showdown zwischen dem Joker und Batman findet Nolan ein wunderschönes Bild für diese unsere verkehrte Welt. In der brillantesten Szene dieses brillanten Films hängt der Joker kopfüber an einem Seil, lachend, tobend, irre. Plötzlich überträgt sich sein Wahnsinn auf die Kamera, sie dreht sich um ihre eigene Achse, bis der Joker, immer noch hängend, aufrecht zu sehen ist, mit in die Höhe fliegenden Rockschößen. Seine Grinsefratze macht klar, wer hier gewonnen hat. Die Schwerkraft hat sich aufgelöst, und mit ihr die Schwerkraft von Moral, Vernunft und Ordnung. Wie im wirklichen Leben.