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Burn After Reading – Spy Kids

Spy Kids

| Roman Scheiber |

Blödmänner in der Idiotenliga: Die Spionagekomödie „Burn After Reading“ von Joel und Ethan Coen. Die vor ein paar Jahren schon abgeschriebenen Brüder sind wieder nachhaltig in Diskussion.

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Google-Earth-like sinkt die Kamera auf das Hauptquartier der Central Intelligence Agency in Langley, Virginia. Gegen Ende der Kamerafahrt könnte man die Perspektive eines strauchelnden Vogels darin erkennen, und vielleicht trifft es das besser, denn ein Vogel scheint tatsächlich in der CIA gelandet zu sein – wenn auch kein Adler, wie sich das für eine geheimdienstliche Operation gehörte, sondern einer, den man einem Menschen vermittels Tippen des Zeigefingers an die Stirn zeigt. Denn es sind Joel und Ethan Coen, unter deren Regie die folgenden Ereignisse ablaufen.

Im Epizentrum des angesagten Domino-Effekts stehen Linda Litzke (Frances McDormand, Ehegattin von Joel Coen), die insgesamt vier Schönheitsoperationen an sich vornehmen lassen möchte, und ihr permanent an Trinkflaschen nuckelnder Kollege Chad Feldheimer (Brad Pitt). Leider kann die mentale Verfasstheit der beiden Angestellten des Fitnessclubs „Hardbodies“ nicht annähernd mit ihrer körperlichen Kondition mithalten, und so reagieren sie auf den Fund einer heiklen Disc in der Garderobe ihres Clubs zu optimistisch: Die darauf befindlichen Daten stammen von einem CIA-Agenten und sollten sich, so Chads Überzeugung, locker zu einem „Finderlohn“ verwerten lassen. Dass jener Agent wegen eines Alkoholproblems gefeuert wurde, können die beiden nicht ahnen, ebenso nicht, dass dieses Problem im Verlauf der Geschichte eine Besorgnis erregende Dimension erreichen wird. Und dass ein im dauerhaften sexuellen Notstand verhafteter Verwaltungsbeamter für vollständige Verpeilung sorgen wird, damit war nun wirklich nicht zu rechnen.

Spätestens, wenn die Kamera am Ende von Burn After
Reading
aus dem Olymp des Nachrichtendienstes wieder hochsteigt, nach einem fabelhaften Epilog in Form eines abschließenden Amtsgesprächs zwischen verantwortlichem Officer und CIA-Boss („Jesus, what a clusterfuck“), liegt eine Vermutung nahe: Die Coens sind wieder nachhaltig auf der Höhe ihrer Kunst angekommen.

Save After Watching

Mit dem Neo-Noir-Debüt Blood Simple erregten die Brüder aus Minneapolis 1984 erstmals Aufsehen, zwei weitere Filme Anfang der Neunziger Jahre zementierten ihren Status als zitatenwütige, Genres mixende, postmoderne Kreativ- und Spaßwerkstatt: die perfektionistische Gangsterfilmstudie Miller’s Crossing (1990) und die flagrant paranoide Studiosystem-Burleske Barton Fink (1991). Nach dem Flop der American Success Story The Hudsucker Proxy (1994) geriet  das schneeweiß und blutrot gehaltene Provinzdrama Fargo (1996) erheblich publikumswirksamer.

Gerade wegen ihres Patchwork-Zugangs waren die Coens, oft ein wenig hilflos als „schräg“ bezeichnet, nie gänzlich unumstritten. Doch mit dem Fargo folgenden Schelmenstück The Big Lebowski (1998), obwohl ob seines Gaga-Humors rasch als kultig tituliert, sahen immer mehr auch einflussreiche Kritiker das Feuerwerk als abgebrannt. O Brother, Where Art Thou? (2000), eine von Preston Sturges inspirierte, sepiagetränkte Version von Homers Odyssee, überforderte dann auch das vom leichtgängigeren Witz der Brüder verwöhnte Publikum. Mag dieses vom mainstreamigen Intolerable Cruelty (2003), in dem George Clooney und Catherine Zeta-Jones einander ein romantisches Match unter Scheidungsanwälten liefern, noch tendenziell versöhnt worden sein; mag The Man Who Wasn’t There (2001), eine respektable Hommage an den Noir der Vierziger Jahre samt köstlicher Lolita-Persiflage, von einigen Kritikern zu Unrecht als gekünstelt abgetan worden sein: Mit dem schlicht daneben gegangenen Remake Ladykillers (2004) schien der Bonus der Coens weitgehend verbraucht und ließ sich auch dadurch, dass die beiden in Interview-Junkets vermehrt Nonsens erzählten, nicht wieder erhöhen.

Watch Before Reading

Vier Jahre später: No Country for Old Men (siehe ray 03/08) erhält vier Oscars; nicht lange danach wird Burn After Read-ing, dessen Drehbuch parallel zu No Country entstand, als Eröffnungsfilm der Mostra in Venedig nominiert. Wem No Country sich als Grenzfall zwischen staubtrockenem Thriller, Charakterstudie und Schicksalsbeschwörung offenbart, dem hebt sich wieder ins Bewusstsein, wie traumwandlerisch sicher und schwarzhumorig die Coens zwischen den diversen Genre-Ausstellungsräumen im riesigen Museum der Filmgeschichte einst unterwegs waren. Wenn in Burn After Reading Spionagekomödie und Gesellschaftssatire mit überhöhtem Infantilitätsfaktor in aller gebotenen Brachialität zur Posse ausflocken, stört man sich vielleicht wieder weniger daran, mit welcher Selbstverliebtheit die Coens ihre Versatzstückchen zu jonglieren pflegen. Katja Nicodemus in der Zeit beispielsweise war begeistert: „Zusammen mit Tilda Swinton, John Malkovich und George Clooney entsteht daraus ein typischer Coen-Schlamassel, in dem jeder jeden betrügt, erpresst und ausbeutet. In Burn After Reading ist die russische Botschaft ein Betonwürfel und Amerika die Quersumme aus Fitnesswahn und schlechtem Fernsehen. Über allem schwebt die CIA, die alles beobachtet und aus nichts mehr schlau wird.“ Vom Internet-Dating, das hier Dumm und Blöd zusammenführt und exponentiell erweitert, ist dabei noch gar nicht die Rede. Nicht nur als Klamauk freilich, auch als Komödie der Irrungen kann Burn After Reading gelesen werden, als Panoptikum menschlicher Schwächen und Manien.

Read Before Burning

Was den Charme vieler Coen-Filme ausmacht, ist, dass man sich über ihre besten Figuren trotz der ihnen eingeschriebenen Verblendung mehr als nur lustig machen kann. Man traut ihnen nichts zu, umso mehr ist man bei ihnen, wenn sie scheitern. Man sieht ihre Traurigkeit, also freut man sich, wenn ihnen etwas gelingt – sei es aus Zufall oder anfallsartiger Entschlossenheit. William H. Macy als Autohändler Jerry Lundegaard, der wegen notorischen Kapitalmangels seine Frau entführen lässt (Fargo), Billy Bob Thornton, der melancholische Möchtegern-Gründer einer Trockenreinigung (The Man Who Wasn’t There), der einen Drogengeldfund mit einem Lottogewinn verwechselnde Josh Brolin (No Country for Old Men), all die Ehebrüchigen und Geldgierigen und Getriebenen: Sie versuchen ihr Glück, oder zumindest das, was sie sich darunter vorstellen, mit unmöglichen Mitteln.

Gute Coen-Figuren treiben es stets einen Tick zu weit. Ihre Marotten kommen sie mitunter teuer zu stehen. Ihr letzter Fehler ist selten der größte, nur zeitigt er halt die fatalste Wirkung. In den besten Coen-Figuren verschmelzen unfreiwillige Komik und Tragik zu einem so bedrückenden Amalgam, dass jeder Prüfstein, der ihnen in die Biografie geknallt wird, nur mit einer Extraportion Eskapismus beiseite gekickt werden kann – wobei sich der nächste Prüfstein schon in Sichtweite befindet. Sie wollen ihr Schicksal unbedingt selbst in die Hand nehmen, doch unausweichlich zerrinnt es ihnen unter den Fingern: Die besten Coen-Figuren sind wieder da.