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Edward Hooper – Malen mit Licht

| Ruth Schink |

Graue Wände, ein alter Kohleofen, eine Presse für Radierungen, eine Staffelei. In seibem kargen Atelier am Washington Square North hat Edward Hopper ein halbes Jahrhundert lang gearbeitet. Inspiration fand er hier nicht. Die suchte er, so oft ihn kreative Blockaden plagten, in den Kinosälen New Yorks. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien dokumentiert unter anderem die wechselseitige Liebesbeziehung zwischen Hopper und dem Kino.

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Edward Hopper war ein Filmfanatiker. Wenn der Künstler kreative Blockaden hatte, ging er ins Kino, um nicht länger auf eine weiße Leinwand starren zu müssen. Oft besuchte er Doppelvorstellungen. „When I don’t feel in the mood for painting, I go to the movies for a week or more. I go on a regular movie binge.” Besonders die Filme der Dreißiger und Vierziger Jahre inspirierten die Ikone des Amerikanischen Realismus stilistisch. Er erschuf daraus seine typische Gefühlswelt der Einsamkeit, der Isolation und der Stille, derer sich später viele Filmemacher bedienen sollten.

Licht und Schatten

Der Film noir mit seiner pessimistischen Weltsicht, seinen urbanen Schauplätzen und seinen düsteren Schattenbildern beeinflusste Hopper stark. Wie im Gangsterfilm sind auch seine Figuren Einzelgänger. Jedermann ein Mann wie Hopper selbst – introvertiert, zurückgezogen, vielleicht sogar einsam. Wortkarge Großstadt-Cowboys wie Robert Mitchum oder Humphrey Bogart, verführt von einer lauernden Femme fatale.

Hoppers Office at Night (1940) wirkt wie eine Szene aus einem solchen Film noir: ein Mann und eine Frau, stumm vereint in einem kleinen Detektivbüro, unsanft getrennt durch den strengen Kontrast zwischen Licht und Schatten. Draußen ein dunkles Geheimnis, drinnen ein kinematisches Strahlen.

Hopper war ein Meister der Beleuchtung. Und auch in seiner bevorzugten Formatwahl zeigt sich der Cineast. Die horizontale Filmleinwand wird ihm zur Bildleinwand. Selbst bei großstädtischen Szenen wählte er das Querformat. New Yorks Wolkenkratzer amputierte er zu Gunsten des Geschehens auf ebeebener Erde. Was sich dort abspielt? Leere Bürgersteige, maskenhafte Figuren, Straßen ohne Verkehr. Seine Gemälde sind wie filmische Stills. Ohne Ton, ohne Bewegung. Die Zeit steht still. Die Stummheit der Szenerie und die Bewegungslosigkeit der Figuren lässt das Alltägliche ins Mystische kippen – ein Verfremdungseffekt, den man zum Beispiel in David Lynchs Lost Highway (1997) oder Mulholland Drive (2001) auf die Spitze getrieben sieht.

Das Licht bei Hopper definiert Gebäude, Menschen und Dinge neu. Ihrer banalen Funktion enthoben, strahlen sie eine gespenstische Distanziertheit aus. Szene aus David Lynchs Mulholland Drive (2001).

Auch Lynch inszeniert seine Figuren gerne im gruseligen Neonlicht. Auch er bevorzugt Szenerien frühmorgens und spätnachts, fernab von menschlicher Gegenwart. Treffen seine Akteure aufeinander, erscheinen sie nur umso isolierter, gefangen im unterkühlten Nebeneinander.

Der Voyeur

Wie die Filme aus Hollywoods Goldener Ära erzählen auch Hoppers Gemälde von „der Stadt“ als abstraktem, großen und kalten Gebilde. Voyeurismus ist ein Faktor im urban beengten Leben, der Hopper faszinierte.

In vielen seiner Bilder schaut er in fremde Fenster. Meist auf Frauen. Oft sind sie nackt und allein. Wie im Kino lässt er den Betrachter einen intimen Blick in das Leben der Anderen machen. Viele dieser Darstellungen tragen beinah obsessive Züge. Vorstudien zu Bildern wie Office at Night oder High Noon (1949) zeigen, dass er jene Frauengestalten aus den Entwürfen wählte, deren Körper und Haltung am aufreizendsten wirkte. (siehe Bild High Noon)

Hollywood

Generell ist festzustellen, dass es eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Filmen gibt, die Hoppers Bilder als eine Art Storyboard benutzen, um eine davor oder dahinter liegende Geschichte zu erzählen. Hollywood hat sich in den letzten sechzig Jahren an seinem Werk ausgiebig bedient. Regisseur Abraham Polonsky soll nach dem Besuch einer Ausstellung in New York gesagt haben: „That’s what I want this picture to look like.” Und so sah sein erster Film Force of Evil (1948) dann auch aus. Sein Kameramann George Barnes ging später nach Hollywood und brachte den Hopper’schen Stil beim Heldenepos Samson und Delilah (1949) und dem Drama The Greatest Show on Earth (1952) für Cecil B. DeMille ein.

Ab diesem Zeitpunkt war ein Stil geboren, der Filmemacher bewusst oder unbewusst bis zum heutigen Tage beeinflussen sollte. Als Hoppers Ruhm ab den Sechziger Jahren immer größer wird, werden aus bloßen Referenzen handfeste Hommagen. Das bedrohliche Bates-Motel in Hitchcocks Psycho (1960) etwa scheint direkt aus House by the Railroad (1925) entnommen zu sein. Norman Maler lässt seinen Murder-Mystery-Film Tough Guys Don’t Dance (1987) mit einem aus Hoppers Leuchtturmbildern montierten Vorspann beginnen. Und auch Sam Mendes bedient sich in seinem Thriller Road to Perdition (2002) des Hopper’schen Look & Feel – dunkle Interieurs treffen auf ein verlassenes, tristes Amerika während der Depression.

Unwichtiges eliminieren

„Ein dicker und schwerer amerikanischer Kunstband war lange mein Standardwerk in Sachen Edward Hopper. Die wichtigsten seiner Bilder waren darin abgebildet. Das Buch hat unter verschiedenen Umzügen gelitten, vor allem aber unter den Dreharbeiten zu dem Film Der Amerikanische Freund (1976), als mein Kameramann Robby Müller und ich so von Hopper begeistert waren, dass wir die Bilder immer dabeihatten und sie unsere Vor-Bilder für viele Einstellungen des Filmes waren … Schließlich haben wir einige Abbildungen sogar aus dem Buch herausgetrennt und sie in Hotelzimmern und Produktionsbüros an die Wände gepinnt. Nachträglich wurden diese Seiten dann zwar wieder in das Buch zurückgeklebt, aber die vielen Reißzweckenlöcher zeugen immer noch von dem Missbrauch.“ (Wim Wenders)

Lesen in Hoppers Handschrift: die Reduzierung auf das Wesentliche, die Vereinfachung auf flächenhafte Strukturen, die Vereinzelung von Menschengestalten. Szene aus Der amerikanische Freund (1976) von Wim Wenders.

Was Wim Wenders an Hopper fasziniert, ist jenes Verfahren „etwas dadurch deutlich zu machen, indem man es nicht vorkommen lässt“. Hopper hat lange an seinen Bildern gearbeitet, teilweise entstanden nicht mehr als zwei Gemälde pro Jahr. Für das Bild New York Movie (1939) fertigte er beispielsweise 53 Skizzen an, bevor er die Idee tatsächlich umsetzte. Er besuchte vier verschiedene Kinosäle, um Details wie den Faltenwurf eines Vorhangs oder Lichtreflexe auf Stuhllehnen zu studieren. Für seine Bilder hat er mit vielen Vorstudien immer wieder unterschiedliche Kompositionen ausprobiert. Dabei ging es vor allem darum, das Unwesentliche Schritt für Schritt aus der „Erzählung“ zu eliminieren. Nachweislich hat er ursprünglich geplante Figuren aus Bildern wieder entfernt. Was am Ende übrig bleibt, sind akribisch inszenierte Geschichten und eine auf ihre Essenz reduzierte Realität.

On the road again

Wenig überraschend übte Hoppers Stil auch Einfluss auf Road Movies aus. Seine endlosen Darstellungen von Hotels, einsamen Landstraßen und Bahnübergängen waren visuelle Fundgrube für Regisseure wie George Stevens (Giant, 1956), Terrence Malick (Days of Heaven, 1978) oder Wim Wenders (Paris, Texas, 1984). (siehe Bild Western Motel) Hopper war ein leidenschaftlicher Autofahrer. Immer wieder malte er Tankstellen, Motels, Werbeschilder von Mobil und Ford, Neonreklamen für Ice Cream und Candy. Ab den Dreißiger Jahren unternahm er viele ausgedehnte Reisen. 1933 durch Kanada und Maine. 1934 durch Colorado, Utah, Nevada, Kalifornien, Oregon und Wyoming, 1940 zur Westküste,1946 und in den Fünfziger Jahren schließlich mehrmals nach Mexiko. Der österreichische Avantgarde- und Experimentalfilmer Ferry Radax begab sich Anfang der Neunziger Jahre auf die Spuren Hoppers. Bei seiner Fahrt durch Maine, Gloucester und Cape Cod spürte er Motive teilweise bis zu 50 Jahre später auf. Einige von ihnen waren verschwunden, andere stark verändert. Die Orte des Geschehens dokumentierte er zuerst mit der Foto-Kamera, dann auf der Leinwand. Das so entstandene Reisetagebuch umfasst rund 30 Gemälde – hauptsächlich Landschaften und Leuchttürme – die eine wesentliche Eigenschaft mit den Originalen teilen: ihre Begeisterung für das Licht.

„Was uns beide interessiert, sind das Licht und die Momente in der fließenden Welt, das Time Catching. Doch im Gegensatz zu Hopper wollte der Filmemacher in mir die Bewegung und das Fortschreiten der Zeit zeigen und nicht wie bei Hopper ein Erstarren dokumentieren.“ (Ferry Radax) Edward Hopper sprach oder schrieb kaum über seine Arbeit. In seinen „ledger books“ hielt er lediglich Angaben zu den Größen, Farben, Leinwänden und Preisen seiner Bilder fest. Mit einer seiner seltenen Aussagen über Kunst gibt er uns die Antwort auf die Frage, was Film und Malerei verbindet: „Great Art is the outward expression of an inner life in the artist, and this inner life will result in his personal vision of the world.“