Autor und Regisseur Händl Klaus und Cutterin Joana Scrinzi über die Zusammenarbeit bei ihrem Spielfilmdebüt „März“ , das bei der Viennale seine Österreich-Premiere feiert.
Begonnen hat er als Theater- und Filmschauspieler. Damals hieß er noch Klaus Händl. Mittlerweile nennt er sich Händl Klaus und hat sich als Autor von Lyrik- und Prosatexten, Hörspielen, Theaterstücken und Opernlibretti einen Namen gemacht. Seine Arbeiten sind vielfach ausgezeichnet und prämiert worden – so auch sein erster Spielfilm, den er in der Triple-Funktion als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent realisiert hat. März basiert auf einem authentischen Fall eines gemeinschaftlichen Suizids: Drei junge Männer aus Südtirol vergiften sich mit Autoabgasen ohne erklärbares Motiv und hinterlassen ihre Familien in ratloser Trauer. Der Film handelt vom scheinbar normal weiter laufenden Alltag der Hinterbliebenen. Oberflächlich betrachtet passiert fast nichts, aber in jeder Einstellung wird der Schmerz hinter der Fassade spürbar. Diese gänzlich unprätentiöse Erzählweise hat Händl Klaus den Preis für den besten Erstlingsfilm in Locarno und den Special Jury Award beim Sarajevo Film Festival eingebracht. Anlässlich der bevorstehenden Österreich-Premiere bei der Viennale erläutert er seinen Weg zum Filmemacher und erzählt gemeinsam mit Cutterin Joanna Scrinzi über die Zusammenarbeit bei der Montage des Films.
Erst einmal zu dir, Klaus. In deinem Film geht es um Menschen, die stark in ihrem Umfeld verwurzelt sind. Was sind deine Wurzeln? Bist du überhaupt irgendwo verwurzelt? Weil du ja sowohl beruflich – du bist Schauspieler, Autor für Rundfunk, Bühne und neuerdings Film, Regisseur – als auch was deinen Wohnsitz angeht – du lebst in Wien, in der Schweiz, in Deutschland – ständig am Pendeln bist …
Händl Klaus: Meine Wurzeln, das sind vor allem meine Freunde, die zugleich auch oft Weggefährten in der Arbeit sind. Beim Schreiben, das doch den größten Teil ausmacht und bei dem man an sich allein ist, hilft es mir, an sie zu denken – an die mögliche gemeinsame Umsetzung. Manchmal schreibe ich auch konkret – zum Beispiel Theaterstücke – auf Schauspieler zu, die ich liebe, ich sitze dann also nicht wirklich allein im Raum, sondern hab deren Stimmen im Ohr. Eine andere Art von Wurzeln sind sicher auch die Bücher, Bilder, Filme, Kompositionen, von denen mich manche seit über dreißig Jahren nähren.
Bisher bist du in erster Linie als Dramatiker bekannt. Wie kam es dazu, dass du begonnen hast, Filmdrehbücher zu schreiben und auch Regie zu führen?
Händl Klaus: Es gibt Stoffe, die mir unter den Nägeln brennen, die nach einer filmischen Umsetzung verlangen. Weil es darin um Blicke geht, um Räume, die Darstellbarkeit von Nähe. Und ich hab das schon sehr lang vorgehabt. Nur hat es halt seine Zeit gebraucht. Mir war klar, dass wir langsam sein würden, weil wir nur wenige Mittel hatten, aber die Langsamkeit ist ja auch ein Instrument.
Du warst nie auf einer Filmhochschule, hast nicht Regie im klassischen Sinn studiert. Was war denn deine „Filmschule“?
Händl Klaus: Ganz klassisch, als Kinogänger. Es gab in Innsbruck schon in meiner Kindheit das Programmkino Cinematograph, dort war ich Stammgast und hab vieles gesehen, und mit den Jahren immer wieder und wieder, von Tarkovskij oder Elem Klimov, Pasolini, Olmi, Bresson, Sautet, Straub/Huillet, Chéreau, Fassbinder, das hab ich als Kind sicher nicht ganz verstanden, aber es hat mich mitgenommen, und später hab ich verstärkt auf Kameraeinstellungen und Schnitte geachtet. Wobei mich schon immer die Form eher als der Inhalt gepackt hat, die Ausdrucksweise, der Rhythmus.
Was sich ja auch in deinem Film März zeigt. Du erzählst die Geschichte dreier Familien, die am Suizid ihrer Söhne laborieren, einerseits sehr realistisch, lässt die Figuren Tiroler Dialekt sprechen und zeigst sie vielfach in ganz alltäglichen Situationen, wie beim Socken zusammenlegen oder Schnitzel braten.Andererseits ist der Film durch die Montage und die Kameraführung stark stilisiert. Vieles wird aus- oder offen gelassen, wodurch viele Leerstellen entstehen. Wie kam es zu dieser sehr speziellen, fragmentarischen Erzählweise?
Händl Klaus: Wir mussten von der Leerstelle ausgehen, die der Tod der Drei bedeutet, diesem argen Fehlen, dem Riss. Wie kann man dem entsprechen? Im Schnitt haben wir es versucht mit dem Anreißen von Handlungssträngen, die zunächst scheinbar ins Leere laufen, bevor sie, manchmal mit unerwarteter Wendung, wiederkehren, also als Wiedergänger fungieren, die erst mit dem Verlauf des Films etwas einlösen, also für etwas stehen. Und Gerald Kerkletz ist mit seiner Kamera den Protagonisten zwar immer nah, aber es ist doch noch jeweils so viel Raum spürbar, dass die Abwesenden darin Platz fänden – sie liegen ja auch oft genug auf Gesichtern, in Blicken, die nirgendwohin führen oder eben auf eine nackte Tür, in ein Stück Wald.
Apropos Schnitt: Joana, für dich war März der erste abendfüllende Spielfilm, den du geschnitten hast. Mit welchen Erfahrungen bist du an die Arbeit herangegangen?
Joana Scrinzi: Ich habe Schnittassistenzen bei Karina Ressler und Oliver Neumann gemacht. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, zu beobachten und Schnittsichtungen der Filme Hotel, Spiele Leben, Fallen und Immer nie am Meer beizuwohnen. Während meines Studiums an der FH Multi Media Art in Salzburg habe ich zudem zwei Dokus über Tanz gemacht – eine über Ballett-Tänzer und die Beziehung zu ihrem Körper – und eine über Chris Haring und Klaus Obermeier.
Ursprünglich sollte März sehr ausschweifend, elliptisch werden und rund drei Stunden dauern. Nach den 14-wöchigen Dreharbeiten konntet ihr auf ein Material von sage und schreibe 90 Stunden zurückgreifen. Hat euch diese Fülle anfänglich nicht erschlagen?
Joana Scrinzi: Der Film spielt ja zu verschiedenen Jahreszeiten, weswegen blockweise gedreht worden ist. Dadurch kam auch das Material immer nur blockweise daher. Es war also nie zuviel auf einmal, und die Pausen zwischen den einzelnen Drehphasen waren eigentlich immer lange genug, um auch wieder den notwendigen Abstand gewinnen zu können.
Händl Klaus: Man sucht sich im ersten Schritt aus den unzähligen Takes ja nur jeweils eine Handvoll Favoriten heraus, und schon schmelzen die belichteten Stunden dahin. Wir haben also nach der ersten Sichtung schätzungsweise gleich neun Zehntel des Materials in die Ecke stellen können; das erleichtert die Arbeit.
Joana, du bist dann also schon während der Dreharbeiten in das Projekt eingestiegen. Warst du auch jemals am Set?
Joana Scrinzi: Nein. Dadurch konnte ich mir einen eher neutralen Blick bewahren. Ich habe die Schauspieler wirklich nur in ihren Rollen gekannt und keinen Eindruck von den Menschen hinter den Schauspielern gewonnen. Das war sehr hilfreich für die Konzentration. Eine der Schauspielerinnen habe ich, als ich sie bei den Filmfestivals in Locarno und Sarajewo getroffen habe, selbst nach Tagen noch mit ihrem Rollennamen angesprochen. Und das ist doch ein gutes Zeichen!
Wie kam es dann zur Entscheidung, doch einen kürzeren Film von 84 Minuten Länge zu machen?
Händl Klaus: Das hat zum einen mit dem „Konzept der Auslassung“ zu tun, dem Verzicht aufs Auserzählen; zwar war schon das Drehbuch fragmentarisch angelegt, aber wir sind im Schnitt noch deutlich mutiger geworden. Und wir haben uns von allen Bildern verabschiedet, die sich nicht mit den direkt betroffenen Familienangehörigen beschäftigt haben, sondern mit deren Nachbarn, Freundesfreunden, „Unbeteiligten“ im Dorf – das wirkte, als ob wir uns vor dem eigentlichen Schmerz drücken wollten. So entfielen ganze Handlungsstränge, um immer „im Kern“ zu bleiben.
Wie ist die Arbeit im Schneideraum dann konkret vonstatten gegangen?
Joana Scrinzi: Klaus war eigentlich die meiste Zeit beim Schnitt mit dabei. Wir sind gemeinsam das Material durchgegangen und haben anfangs versucht, sehr vieles zu verwenden. Beim ersten Rohschnitt gab es dann aber einen Materialschock, weil alles viel zu lang war und überhaupt nicht zu funktionieren schien.
Händl Klaus: Ja, es war ein Drehen und Wenden, und über allem das Motto: Weniger ist mehr.
Da Klaus die meiste Zeit im Schneideraum zugegen war – hat das bedeutet, dass immer alles nach seinen Vorstellungen durchgeführt werden musste?
Joana Scrinzi: Nein, er war durchaus offen für meine Ideen! Er hat auch ausprobieren lassen, wenn er sich eine Lösung nicht vorstellen konnte. Wenn ich aber etwas ganz anderes wollte als er, dann musste ich ihn schon wirklich überzeugen. Da war dann oft mehrmaliges Hin- und Herschneiden notwendig. Das hat ganz schön viel Ausdauer gebraucht, die sich dann aber gelohnt hat – für mich und für die Geschichte. Meistens waren wir uns allerdings einig. Auf alle Fälle habe ich nie einen Schnitt gesetzt, der mich unzufrieden gemacht hätte – nur um ihn glücklich zu machen. Ich hoffe, das war auch umgekehrt so …
Händl Klaus: Mein Gefühl war, dass wir im Grund gleich gestimmt waren, dass wir uns meist auf den Wimpernschlag genau verstanden haben.
Gab es eigentlich Szenen, die besonders schwierig zu schneiden waren?
Joana Scrinzi: Die meisten Szenen haben alleine für sich sehr gut funktioniert. Das Schwierige war eher das Kaleidoskop, das wir kreieren mussten, damit das Zusammenspiel der Szenen gelingt.
Händl Klaus: Ich habe mir besonders schwer getan mit dem Prolog, also der Todesnacht – da den richtigen Ausstieg zu finden, das hat Wochen gebraucht; bis zuletzt haben wir gekürzt.
Abschließend eine Frage zu eurer Zukunft. Gibt es schon Ideen für neue Projekte? Wollt ihr wieder zusammenarbeiten?
Joana Scrinzi: Mit Klaus würde ich sofort wieder zusammenarbeiten! Ich schätze ihn und seine Arbeit wirklich sehr. Was andere Projekte angeht, sind meine Pläne noch nicht konkret … Ich würde gerne einen Dokumentarfilm schneiden – das wäre wieder ein ganz anderes und sicher auch spannendes Arbeiten.
Händl Klaus: Für mich gilt das Gleiche, ich will unbedingt wieder mit Joana arbeiten! Am liebsten mit dem gesamten März-Team möglichst bald meinen nächsten Film drehen; er soll am Wiener Stadtrand spielen. Momentan schreibe ich am Drehbuch.