ray Filmmagazin » Dossier » Bad Moon Rising

Dossier – Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

| Andreas Ungerböck |

1969 kippte die Hippie-Idylle, falls sie je existiert hatte. Blutige Straßenkämpfe, die Mondlandung, Charles Manson, Woodstock, Altamont, Drogenexzesse, die GIs in Vietnam unter Feuer. Momentaufnahmen eines wild bewegten Jahres.

Werbung

Hope you got your things together
Hope you are quite well prepared to die
Looks like were in for nasty weather
One eye is takin’ for an eye
(Creedence Clearwater Revival, „Bad Moon Rising”, 1969)

Tricky Dick

1969 begann schlecht. Am 20. Jänner wurde der 56-jährige Republikaner Richard Milhous Nixon als 37. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Ihm wurde später der zweifelhafte „Ruhm“ zuteil, als einziger Präsident der US-Geschichte das Amt nicht durch Tod oder Abwahl, sondern durch Rücktritt verlassen zu müssen. Die Watergate-Affäre und ihre Folgen beendeten am 9. August 1974 seine zweite Amtszeit. In den fünf Jahren seiner Präsidentschaft ging der unheilvolle Krieg in Vietnam sukzessive verloren. Neben der unorthodoxen Kampftaktik des Vietcong und den klimatischen Verhältnissen machten den US-Truppen „neue“ Kontrahenten zu schaffen: die stetig wachsende Antikriegsbewegung im eigenen Land und der übermäßige Drogenkonsum der GIs. Übrigens: 60.000 amerikanische Opfer forderte der Krieg erst im Nachhinein. So viele Vietnam-Veteranen begingen traumatisiert Selbstmord.

Alles fake?

Am 21. Juli 1969 war es dem US-Astronauten Neil Alden Armstrong vorbehalten, als erster Mensch den Mond zu betreten. Die Worte, die er damals sprach, sind zu einem klassischen Zitat geworden: „That‘s one small step for man – one giant leap for mankind“. Nicht alle freuten sich so darüber, ganz besonders nicht sein Apollo-11-Kollege Edwin „Buzz“ Aldrin, der ursprünglich den Vortritt haben sollte. Aldrin ist auch der Mann auf dem berühmten Mondlandungs-Foto. Angeblich, so heißt es, habe er sich, trotzig wie ein Siebenjähriger, geweigert, Armstrong anständig zu fotografieren. Vielen Medien war das egal, sie unterschrieben das Aldrin-Foto einfach mit „Neil Armstrong“. Apropos Fake: Überzeugte Verschwörungstheoretiker glauben bis heute, die Mondlandung sei in einem Fernsehstudio getürkt worden. Mit der Erfahrung späterer Ereignisse im Kopf kann man nur sagen: Das hat etwas.

Schlammschlacht

Von 15. bis 18. August 1969 fand auf einem Farmgelände nahe Bethel, New York, das bis dahin größte Popfestival der Geschichte statt. Statt der erwarteten 60.000 kamen bis zu 400.000 Menschen. Das Chaos regierte, zumal heftige Regenfälle das Gelände schon bald stark in Mitleidenschaft zogen, und es ist im nachhinein gesehen ein Wunder, dass es zu keiner Katas-trophe kam. Der Veranstalter stritt mit fast allen Bands um die Gagen. So waren etwa The Who knapp davor, ihren Gig abzusagen. Musikalisch gesehen blieben die wirklichen Superstars der Zeit dem Geschehen fern. Der Mythos Woodstock verdankt sich denn auch weniger dem realen Geschehen, sondern eher dem in mehrfacher Hinsicht „geschönten“ Dokumentarfilm und der 3fach-LP, die in seinem Gefolge erschienen, aber Auftritte wie die von Jimi Hendrix, Ten Years After oder Sly & The Family Stone sorgten letztlich doch für Begeisterung. Der Übergang von Love & Peace zur brutalen Geschäftemacherei war jedenfalls mit Woodstock vollzogen.

Höllenengel

Am 6. Dezember 1969 fand auf dem Renngelände von Altamont in Kalifornien ein weiteres Rockfestival statt, das zum „Western Woodstock“ werden sollte. Doch die Welle der Gewalt, die die USA in diesem Jahr erfasst hatte, machte auch vor Altamont nicht halt. Die berüchtigte Biker-Gang Hell’s Angels, die ausgerechnet von der Vorzeige-Hippie-Band Grateful Dead als Ordnertruppe vorgeschlagen worden war, verbreitete mit Billardqueues und vollen Bierdosen, die sie in die Menge warfen, Angst und Schrecken. Schon am Nachmittag versuchten Jefferson Airplane vergeblich, mit lieb gemeinten Ansagen die Angels zu besänftigen. Am Abend eskalierte die Situation, als die Rolling Stones gerade Under My Thumb sangen. Der junge Afroamerikaner Meredith Hunter wurde von dem Hell’s Angel Alan Passaro erstochen. Allerdings war Hunter, der unter schwerem Drogeneinfluss stand, mit einer gezückten Schusswaffe in Richtung Bühne gestürmt. Passaro wurde später wegen Notwehr freigesprochen. Den Stones blieb offenbar nichts anderes übrig, als weiter zu spielen, um weitere Tumulte zu verhindern. Keith Richards soll dazu vom Ober-Höllenengel Ralph „Sonny“ Barger höchstpersönlich mit Waffengewalt gezwungen worden sein.

Brüder und Schwestern

Im April 1969 erschien das erste Album einer Band namens MC 5 (Motor City Five, mithin aus Detroit). Das Besondere daran: Es war im Oktober 1968 live vor Publikum aufgenommen worden. Schon die Single-Auskopplung sorgte für Wirbel. Der Originaltext „Kick out the jams, motherfuckers“ wurde von der Plattenfirma Elektra in „… brothers and sisters“ geändert – eine schöne Metapher für den Versuch, Hippie-Seligkeit herzustellen, wo keine mehr herrschte. Der Manager der MC 5, John Sinclair, Musikkritiker und später Kommunengründer, wollte mit Hilfe weißer Bürgerkinder die Revolution in den USA entfachen. Sätze wie: „The time has come for each and every one of you to decide whether you are gonna be the problem or whether you are gonna be the solution“ klangen gut, bedeuteten aber letztlich wenig. Mr. Sinclair wanderte wegen Drogenbesitzes ins Gefängnis, einige Bandmitglieder folgten ihm später. 1971 war schon wieder Schluss mit MC 5. Trotzdem bleibt Kick Out the Jams ein Meilenstein der Rockgeschichte, nicht zuletzt wegen der fast körperlich spürbaren Wut und Energie, die das Album ausstrahlt.

Helter Skelter

In der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 drangen vier Mitglieder der so genannten Manson Family (siehe auch den ausführlichen Text weiter hinten im Dossier) auf das Anwesen Roman Polanskis und seiner kurz vor der Entbindung stehenden Frau, der Schauspielerin Sharon Tate, am Cielo Drive in Los Angeles vor. Tate und drei ihrer Freunde wurden von den Tätern (drei Frauen und ein Mann) brutal niedergemetzelt, die Wände mit ihrem Blut beschmiert. In den folgenden Tagen verübte die Family weitere Morde in der Nachbarschaft. Heute gilt es als ziemlich wahrscheinlich, dass die alten krausen Theorien (Roman Polanski sei für seinen Teufels-Film Rosemary‘s Baby „bestraft“ worden) obsolet sind. Vielmehr scheint es sich um eine „Verwechslung“ gehandelt zu haben. In dem Polanski-Tate-Haus hatte zuvor der Musikproduzent Terry Melcher gewohnt, der Mansons bescheidene musikalische Versuche, die ihm via
Beach Boy Dennis Wilson bekannt geworden waren, abgelehnt hatte. Charles Manson sitzt bis heute in einem kalifornischen Gefängnis. Spinner aller Art verehren ihn nach wie vor als Kultfigur, und seine Bedeutung für die – vor allem amerikanische – Popkultur ist nicht unbeträchtlich.

Kein Spass

Wenige Tage, bevor sich die Massen in Woodstock im Schlamm suhlten und die Manson-Morde die Welt erschütterten, erschien das Debütalbum einer aus der Nähe von Detroit stammenden Band von vier langhaarigen Rotznasen, das genauso hieß wie die Gruppe: Stooges. Die Legende besagt, dass die vier Jungs, die definitiv nicht John, Paul, George und Ringo waren, nur fünf Songs parat hatten, was der Plattenfirma Elektra entschieden zu wenig war. Also wurden über Nacht noch drei Lieder geschrieben, die genauso ruppig und räudig daherkamen wie die anderen fünf. Dennoch brachte es die LP nur auf 34 Minuten, die allerdings Maßstäbe in Sachen heftiger Rockmusik setzten. Mit Songs wie I Wanna Be Your Dog oder No Fun zelebrierten der bis zur Selbstschädigung rabiate Sänger James Newell Osterberg (besser bekannt als Iggy Pop), der Bassist Dave Alexander und die Brüder Scott (Schlagzeug) und Ron Asheton (Gitarre) das böse Ende der Flower-Power-Epoche. Nicht Liebe und Frieden waren ihre Themen, sondern Frust, Stillstand und Wut. Im emblematisch betitelten Song 1969 heißt es: „Well it‘s 1969 okay / All across the USA / It‘s another year / For me and you / Another year / With nothing to do“. Die Stooges, die mit Fun House (1970) und Raw Power (1973) zwei weitere äußerst kraftvolle Alben nachschoben, ehe sie sich auflösten, wurden wegen ihrer rüpelhaften Attitüde und ihren zorngeladenen Songs im Nachhinein zu den Urvätern des Punk erklärt.

If They Move, Kill ‘em

Am 18. Juni 1969 kam in den USA ein Film ins Kino, der wie kein anderer geeignet erscheint, das zu benennen, was damals in filmischer Hinsicht möglich gewesen wäre. 1967 hatte die Geburtsstunde des so genannten New Hollywood geschlagen, dem die Welt innovative und bis heute erfolgreiche Filmemacher wie Martin Scorsese, Brian De Palma und Francis Ford Coppola verdankt. Doch die Aufsehen erregendsten Filme der Zeit wurden ironischerweise von Veteranen gemacht, vor allem das bahnbrechende Gewaltepos Bonnie and Clyde (1967), das von Arthur Penn als Todesballett eines schicken Killerpärchens inszeniert wurde. Sam Peckinpah, weiß Gott kein Neuling, auch nicht in Gewaltfragen, war Hollywoods ewiger Außenseiter. Kaum einer seiner Filme war im Einklang mit dem jeweiligen Studio entstanden, und bei The Wild Bunch war es nicht anders. Vier gestandene Hollywood-Recken, William Holden, Ernest Borgnine, Robert Ryan und Edmond O‘Brien begleiteten ihn auf einer düsteren, wahnsinnigen Odyssee nach Mexiko. Der wilde Haufen des Titels ist eine Gruppe alternder Westernhelden, die auf der Flucht vor dem 20. Jahrhundert ein beispielloses Blutbad in der mexikanischen Armee anrichten, wohl wissend, dass sie selbst nicht lebend davonkommen würden. Peckinpahs Film lässt sich nicht nur als Abgesang auf den heroischen Western des klassischen Hollywood lesen. Wem zu dem Film gewordenen Massaker aus dem Jahr 1969 nicht die Assoziation Vietnam einfällt, dem kann wohl kaum geholfen werden.

Strassenschlachten

Das Jahr 1969 brachte, mit Verzögerung, auch die Menschen in den USA auf die Straßen. Civil Rights Movement, Studentenopposition, antirassistisches Engagement und, allen voran, die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung ergaben zusammen einen explosiven Cocktail, der drauf und dran war, zu detonieren. Straßenschlachten, bisher in den USA ein ungewohntes Bild, waren an der Tagesordnung, so als ein Polizist im Juni 1969 in Omaha, Nebraska, einen schwarzen Jugendlichen durch einen Schuss in den Hinterkopf tötete. Auch in vielen anderen Städten der USA kam es zu Unruhen, die schließlich am 4. Mai 1970 in den so genannten Kent State Shootings kulminierten: Angehörige der Nationalgarde von Ohio erschossen an diesem Tag vier Studenten, von denen zwei gegen Richard Nixons hartes Vorgehen in Kambodscha protestierten; die anderen beiden waren bloß zufällig am Ort des Geschehens. Einer der bemerkenswertesten Aufstände allerdings passierte in einem Bereich, in dem es kaum jemand vermutet hätte: Ende Juni 1969 kam es anlässlich einer der wiederholt durchgeführten Polizeirazzien im Stonewall Inn im New Yorker Stadtteil Greenwich Village zu heftigen Unruhen: Schwule, Lesben und Transgenders setzten sich erstmals gegen die brutale Willkür der städtischen Polizei zur Wehr – ein Ereignis, das ganz wesentlich war für die Gründung bzw. Stärkung eines organisierten Gay Movement in den USA. In Erinnerung daran findet seither alljährlich, auch in anderen Ländern, der Christopher Street Day (benannt nach der Location des Stonewall Inn) statt. Am 15. Oktober 1969 demonstrierten 250.000 Menschen in Washington gegen den Vietnamkrieg. Als am 5. Dezember das Life Magazine von dem Massaker in My Lai berichtete, bei dem amerikanische Soldaten 503 Zivilisten, darunter 172 Kinder, brutal ermordet hatten, kippte die Stimmung in den USA endgültig. Das Kriegsverbrechen war bereits am 16. März 1968 geschehen, aber von Regierung und Militär mehr als eineinhalb Jahre lang vertuscht worden.

Auf Hesses Spuren

Und hätten sie nur diesen einen Song geschrieben, wären sie schon unsterblich geworden: Born to Be Wild, 1969 von Peter Fonda und Dennis Hopper zum Auftakt ihres sensationell erfolgreichen New-Hollywood-Klassikers Easy Rider eingesetzt, machte die Band Steppenwolf berühmt. Der Song war schon 1968 auf ihrer Debüt-LP erschienen, die sie binnen vier Tagen eingespielt hatten. Auch The Pusher, ursprünglich von Hoyt Axton geschrieben und gesungen, fand sich darauf – eine bemerkenswerte Absage an harte Drogen (im Unterschied zum love grass) und eine wütende Attacke gegen Drogendealer, denen es egal ist, ob ihre Kunden leben oder sterben. Die Köpfe bei Steppenwolf, benannt nach dem zu dieser Zeit enorm populären Selbstfindungs-Roman von Hermann Hesse, waren der in Ostpreußen geborene Sänger John Kay und der kanadische Gitarrist Dennis Edmonton, besser bekannt unter seinem knackigen Künstlernamen Mars Bonfire, der auch Born to Be Wild schrieb und komponierte. 1969 sorgten Steppenwolf mit dem Song Monster – einer wütenden Anklage gegen die schmutzige Politik von „Tricky Dick“ Nixon – für Aufsehen. Darin hieß es unter anderem: „We don’t know how to mind our own business / ‘Cause the whole world’s got to be just like us / Now we are fighting a war over there / No matter who’s the winner / We can’t pay the cost.” Wie viele andere erfolgreiche Bands der Zeit zerstritten sich auch die Steppenwölfe recht bald und warfen 1972 das Handtuch.

Aus den Sümpfen

Die Brüder John und Tom Fogerty waren schon einige Jahre eher erfolglos durch ihre Heimat Kalifornien getingelt. Um 1967 allerdings brachte die Besinnung auf Johns Lieblingsmusik, den Mississippi-Delta-Blues, die Wende. Die Band nannte sich fürderhin, recht seltsam, Creedence Clearwater Revival und wurde bis zur unvermeidlichen Trennung im Jahr 1972 zum Kassenschlager. Aber da war nichts zu hören von Beach und Surf und California Girls, sondern die Musik schien direkt aus den Sümpfen des Südens zu kommen. Am 3. August 1969 erschien ihr drittes Album, Green River, eines von dreien in diesem Jahr, und es enthielt gar nicht fröhliche Titel wie Tombstone Shadow, Sinister Purpose und – allen voran – Bad Moon Rising, der in den USA auf Platz 2 der Charts und in Großbritannien sogar an die Spitze kletterte. Wiewohl scheinbar auf eine bevorstehende Naturkatstrophe hinweisend, lässt sich der enigmatische Text durchaus auch als prophetische Vorwegnahme der üblen zweiten Jahreshälfte lesen: „I hear hurricanes a blowin’ / I know the end is coming soon / I feel rivers overflowing / I hear the voice of rage ‘n’ ruin“. Und in Sinister Purpose hieß es: „Burn away the goodness / You and I remain / Did you see the last war? / Well, here I am again”. 1969 eben.

Im März 1989 erschien im FilmLogbuch ein Dossier zum Thema „1969“. Die Struktur dieses Textes ist an den damaligen Schwerpunkt der Ausgabe Nr. 22 angelehnt. Es war die letzte Ausgabe der engagierten Zeitschrift, die fünf Jahre lang bestanden hatte.