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Jesus Christus Erlöser

| Fabian Burstein |

Klaus Kinski spielt niemand Geringeren als Gottes Sohn. Doch das Publikum hat etwas dagegen – und stört. Peter Geyer bringt Kinskis monologisierendes Ringen ins Kino.

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Dieses Gesindel ist noch beschissener als die Pharisäer. Die haben Jesus wenigstens ausreden lassen, bevor sie ihn angenagelt haben.“ 20.11.1971: Klaus Kinski betritt die Bühne der Berliner Deutschlandhalle. Europa steckt im Hippie-Fieber, schunkelt zu Jesus Christ Superstar und suhlt sich in einem pazifistischen Religiositäts-Hype. Doch was das obsessive Genie Klaus Kinski an diesem Abend plant, hat nichts mit christlichem Idyll zu tun. Kinski spielt Jesus. Nicht jenen „mit der gelben leberkranken Haut – den eine irrsinnige menschliche Gesellschaft zur größten Hure aller Zeiten macht“. Kinski hat anderes im Sinn. Einen anarchistischen, impulsiven, leidenschaftlichen Monolog über einen „Menschen, der sich lieber massakrieren lässt, als lebendig mit den anderen zu verfaulen“. Was dann geschieht, ist Geschichte: Kinski opfert auf der Bühne alles, was seine exzessive Intensität hergibt – weint, schreit, tigert wie ein gefangenes Tier über die Bühne. Und trifft dabei auf ein Publikum, das diskutieren, protestieren, verhöhnen will. Das Resultat: Wilde Tumulte. „Kinski ist ein Faschist“, greinen einige Zuseher, als ein Störenfried die Bühne entert und kurz darauf von den Rausschmeißern weggeschleift wird. Kinski tobt wie eine Furie. „Dumme Sau“, hallt es durch die Arena; „Wäret ihr doch heiß oder wenigstens kalt, aber ihr seid nur lauwarm, und ich spucke euch aus!“ Der denkwürdige Abend ließ sich bislang nur fragmentarisch rekonstruieren, etwa anhand der ambivalenten Kinski-Doku Mein Liebster Feind. Peter Geyer ist es zu verdanken, dass nun ein Zusammenschnitt in die Kinos kommt. Der Versuch, das Werk mit den Maßstäben eines „normalen“ Kinofilms zu rezensieren, wäre lachhaft. Jesus Christus Erlöser ist so unfassbar genial wie Kinski selbst – und trotz, oder gerade wegen, der rezitierenden Statik ein wahres Meisterwerk. Geyer widersteht der Versuchung, nur auf die sensationalistische Komponente der Tumulte zu vertrauen. Das Gros des Films ist Kinski pur. Und da kann es vorkommen, dass einem als Zuseher aufgewühlte Tränen kommen. Wo die Kontroverse Sinn macht, lässt sie Geyer wohldosiert einfließen – und veranschaulicht damit die Sprengkraft des sakralen Vortrags. Mehrere Stunden dauerte das theatralische Gemetzel. Nach 84 Minuten ist man fast so mitgenommen wie Kinski selbst, der sich seinerzeit bis zwei in der Früh quälte. Bleibt nur zu sagen: „Wer von euch nicht nur eine große Schnauze hat, sondern wirklich ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“.