ray Filmmagazin » Themen » Länge mal Breite

Breitwand – Länge mal Breite

Länge mal Breite

| Alexandra Seitz |

Leben in Überlebensgrösße, Wirklichkeit in fantastischen Räume: Filme im Breitwandformat.

Werbung

Breitwand ist das Format der spektakulären Inszenierung und der ausladenden Erzählung, es bietet dem epischen Atem Raum. Nicht ihn anzufüllen und voll zu stopfen, sondern ihn zu nutzen. Die Kunst des filmischen Erzählens im Breitwandformat besteht im Zeigen der Dinge, in ihrer Anordnung zueinander, und in der Art, in der sich die Beziehungen verändern, wenn sich die Anordnung verändert.

Aus der Breite des Bildes ergibt sich seine Affinität zu allen Formen horizontaler Bewegung: vorwärts, rückwärts, diagonal. Weit in die Tiefe reicht das Bild und bietet den Darstellern eine Bühne, die ständige Wachsamkeit und die kontinuierliche Präsenz des Charakters fordert, wie am Theater. Theaterhaft meint nicht statisch. Die Dynamik der gesamten Szene lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den Handlungsschwerpunkt, der als Teil eines großen Ganzen wahrnehmbar wird. Die Aufgabe des Schnitts verlagert sich weg von der geometrischen Auffaltung des Raumes hin zu dessen dramaturgischer Organisation: Die Umgebung des Geschehens erhält interpretatorische Funktion. Raum wird als solcher erfahrbar und konkretisiert sich nicht nur filmisch in monumentalen Kulissen, sondern existenziell in seiner Durchquerung.

Das Leben und die Welt fühlen sich anders an in einem Breitwandfilm, sie stellen sich auf eine andere Weise dar – weil der Blick, den die Kamera auf sie wirft, anderen Regeln gehorchen muss und andere Freiheiten hat. Weniger von der Montage als von der eigenen Bewegung bestimmt, wahrt der Blick der Kamera Übersicht im Unübersichtlichen, schafft Ordnung im Chaos, und bringt doch schmerzlich zu Bewusstsein, wie ausgesetzt und gefährdet das Dasein ist. Der Einzelne als Spielball der Mächte, gefasst in die wuchtige Großaufnahme, die der Weite einer Landschaft kontrastiert.

All seiner sinnlichen Schwelgerei und Farbenpracht, all seinen überwältigenden Schlachtengemälden und Massenszenen zum Trotz ist Breitwand ein Format der Intimität. Aus dem Spiel von Nähe und Distanz, kunstvollem Arrangement und individuellem Ausdruck bezieht es seine Wahrheit. Die gültige Wahrheit des Epos.

Apocalypse Now (Francis Ford Coppola, USA 1979)
„Charlie don’t surf!“, verkündet Lieutenant Colonel Bill Kilgore und deswegen muss das Vietcong-Dorf dran glauben. Die Kavallerie reitet zu Wagners Ritt der Walküren zum Angriff – „Death from above“ steht auf der Nase des Hubschraubers – und Robert Duvall lässt Kilgore im Geschoßhagel nicht ein Mal mit der Wimper zucken: „I love the smell of Napalm in the morning.“ Nur leider hat es sich dann ausgesurft. Die Grenze verwischt zwischen der Realität des Krieges und der Irrealität seiner Wahrnehmung und Captain Willards sumpfgrüne Augen haben genug gesehen – dabei hat seine Expedition ins Herz der Finsternis gerade erst begonnen.

Ben-Hur (William Wyler, USA 1959)
Was macht das Wagenrennen in Ben-Hur so besonders? Der Umstand, dass sich die Größe des Konflikts in der Größe der Szene abbildet? Mit grandiosem Gestus wird das Rachezeichen gesetzt – und steht fortan faszinierend nichtsnutzig in der Landschaft. Die Lektion von der Vergeblichkeit der Gewalt lernen Judah und Mesalla auf die harte Tour. Nur einem der beiden wird am Ende ein besserer Weg durchs Leben offen stehen. Doch dem Frieden geht die Explosion voraus: Bewegung im Raum, Rasen im Riesigen. Riesenhafte Raserei – auch das ist dieses Wagenrennen. Man kann es nicht oft genug sehen. Die Filmnamen der vier Schimmel lauten übrigens Antares, Rigel, Aldebaran und Altair. Sie sind nach Sternen benannt.

The King and I (Walter Lang, USA 1956)
Als Anna den König von Siam zum ersten Mal sieht, erhält der gerade eine Birmesin zum Geschenk. Ausgerechnet der Mann, den diese liebt, muss sie überbringen. Dem König wird die verbotene Leidenschaft der beiden schließlich zum Verhängnis; nicht zuletzt weil Anna, die englische Lehrerin, das Gottgegebene seiner Autorität konstant in Frage stellt. Ausladend schwingen Krinolinen durch prächtige Sets, die dem Exotismus ein Denkmal setzen. Den fragwürdigen kulturellen Chauvinismus des weißen Blicks auf Südostasien muss man nicht verzeihen, um von Gesang und Tanz und Schauspiel mitgerissen zu werden.

My Fair Lady (George Cukor, USA 1964)
Nein, den Härtetest, nämlich das Hut-Fest, äh, Pferderennen von Ascot, besteht Eliza Doolittle, das Blumenmädchen mit der schrecklichen Aussprache, noch nicht: „Come on, Dover, move yer bloomin’ arse!“, feuert sie einen der Gäule an, überhaupt nicht ladylike. Wunderbare Lieder werden in diesem Musical gesungen; nicht zuletzt von Rex Harrison, dessen Vortrag eher einem sanften Sprechgesang gleicht, der in seiner Brüchigkeit zum Mitsingen einlädt. Professor Higgins ist der Widerspenstige, der von der Fair Lady gezähmt werden wird – seiner Überzeugung zum Trotz, derjenige zu sein, der zähmt. Eingehüllt in zu Herzen gehende Romantik: Der Kampf zwischen Klassen und Geschlechtern. Schlau und schön.

The Wild Bunch (Sam Peckinpah, USA 1969)
Der Shootout, in den diese vier Männer marschieren, ist einer der gewaltigsten der Filmgeschichte. 352 Einstellungen in etwa sechs Minuten. Unzählige Tote, karmesinrotes Blut auf Wüstenstaub, kinetische Bildexplosionen und der ikonische Moment, der Pike Bishop am Maschinengewehr zeigt: Feuer spuckend bis zum bitteren Ende. Vier Männer, die wissend in ihren Tod gehen. Weil ihre Zeit dem Untergang geweiht ist und weil es ein letztes Mal gilt. Vier Männer, die gleich eines der schönsten Todesballette tanzen werden, die Sam Peckinpah je choreografiert hat: Ben Johnson, Warren Oates, William Holden, Ernest Borgnine.

Cleopatra (Joseph L. Mankiewicz, USA 1963)
Sie trägt das goldene Gewand, in dem Marc Anton sie das erste Mal bewusst wahrnimmt. Jenes, in dem sie sterben wird – damit er sie im Jenseits gleich erkenne. Das Bild jedoch – dem die Mutter aller Hollywood-Triumphzüge vorausgeht – erzählt noch nichts von der Weltreiche verzehrenden Liebe zwischen Cleopatra und Marc Anton (die zugleich die von Elizabeth Taylor und Richard Burton ist). Sie bestimmt erst den zweiten Teil dieses zu Unrecht monumental gefloppten Monumentalfilms und bietet Burton in full-shakespeare-mode, während Taylors Schönheit einem den Atem raubt. Gemeinsam zelebrieren sie eine Liebe, die erst im Tod ihre eigentliche Verwirklichung findet. Weil die Liebe soviel stärker ist als der Tod.

2001: A Space Odyssey (Stanley Kubrick, GB 1968)
Im kugeligen Pod wähnen sich Frank und Dave, die beiden Astronauten auf Jupiter-Mission, sicher vor allfälligen Lauschangriffen. Sie erörtern ihre Chancen und Optionen, sollte Bordcomputer HAL 9000 tatsächlich eine Fehlfunktion haben. Hal, der Fluchtpunkt dieses Bildes, das rot glimmende Auge – das Lippen lesen kann. 2001 ist eine visuelle Arie aus Linien, Flächen, Farben und Formen, immer wieder durchkreuzt von unwahrscheinlichen Bewegungsmustern, vorgetragen in einem hypnotisch wirkenden Phlegma, kryptisch wie der schwarze Monolith, an dem sie ankert. „Dave … stop, Dave … I’m afraid, Dave … my mind is going … I can feel it.”

Lawrence of Arabia (David Lean, GB 1962)
In der Hauptsache ist Lawrence of Arabia ein Film über Kamele und Wüste und die grandiosen Ansichten, die sich aus der unterschiedlichen Kombination dieser beiden Motive ergeben. Nebenbei erzählt das Sandgemälde von einem Engländer mit dem Spleen, Araber sein zu wollen. Und von jeder Menge Politik. Für kurze Zeit gelingt es Lawrence zwar, die heillos zerstrittenen Araberstämme zu einen, und er führt sie in den Kampf um Damaskus – wo sie sich sofort wieder zerstreiten. Verschenkt ist die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, an die Mächtigen und an die Ausländer. Und nicht nur Lawrence bezahlt für diese verpasste Chance einen hohen Preis.