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Frost/Nixon

Frost/Nixon

Der Mann, der Präsident sein wollte

| Jörg Schiffauer |
Das vermeintlich ungleiche Duell Frost/Nixon“ wird zu einer Sternstunde des Fernsehens.

Es war ein mediales Ereignis, das schon im Vorfeld für Erwartungen, Diskussionen und Spekulationen von ungeheurem Ausmaß gesorgt hatte. Im März 1977 stellte sich Richard Nixon, der seit seinem Rücktritt im August 1974, mit dem er seiner Amtsenthebung im Zuge des Watergate-Skandals zuvorgekommen war, die Öffentlichkeit und vor allem kritische Fragen weitgehend gemieden hatte, für eine ausführliche  Fernsehinterview-Reihe dem britischen Moderator David Frost zur Verfügung. Der Aufzeichnung der Gespräche, die sich über zwölf Tage erstreckten und schließlich mehr als 28 Stunden Material beinhalteten, waren langwierige und zähe Verhandlungen vorausgegangen. Vor allem aber schien es erstaunlich, dass der Ex-Präsident ausgerechnet die Interviewanfrage David Frosts positiv beantwortet hatte, verfügte Frost doch über eine wenig schmeichelhafte Reputation als ein eher windiger Moderator von Fernsehshows, die primär auf Entertainment ausgerichtet waren. Zudem galt Frost als politisch nur mäßig interessiert; dennoch hatte er eine besondere Fähigkeit, die einer seiner Mitarbeiter zu Beginn von Frost/Nixon auf den Punkt bringt: „He knew television.“

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Polit-Profi versus Entertainer

Es war natürlich keineswegs Zufall, dass der mit allen Wassern gewaschene politische Profi Richard Nixon David Frost als Interviewer ausgewählt hatte. Denn Nixon, dessen Name seit Watergate gleichsam als Synonym für skrupellosen Machtmissbrauch galt, war vor allem daran interessiert, seine Rolle in dieser Affäre in ein möglichst günstiges Licht zu rücken und sich selbst als Staatsmann von internationalem Format präsentieren zu können. Mit einem in politischen Fragen relativ unerfahrenen Interviewer wie Frost hoffte Nixon leichtes Spiel zu haben und kritisches Nachfragen weitgehend kontrollieren zu können.

Ron Howard unternimmt mit seinem neuen Film Frost/Nixon, der auf dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Morgan basiert, den Versuch, dieses mittlerweile zu legendärem Ruf gelangte Interview zu rekonstruieren, dabei aber auch hinter die Kulissen eines medialen Spektakels zu blicken. Howards Inszenierung, die sich vor allem bei den Interview-Sequenzen sehr eng an den historischen Abläufen orientiert, konzentriert sich dabei auf Nixon (Frank Langella) und Frost (Michael Sheen) als die zentralen Figuren, deren Aufeinandertreffen sich nach und nach zu einem psychologischen Duell entwickelt, das nahezu unvermeidlich auf eine finale Konfrontation hinauslaufen muss. Das mag man als einen ebenso einfachen wie vorhersehbaren dramaturgischen Kunstgriff betrachten, der jedoch im Fall von Frost/Nixon nicht nur prächtig funktioniert, sondern in Anbetracht der realen Personen vermutlich den Kern der Sache wohl eher trifft, als man auf den ersten Blick vielleicht glauben mag.

Richard Nixon wurde von seinem langjährigen Redenschreiber William Safire als vielschichtige, komplexe Persönlichkeit beschrieben, die keinesfalls leicht einzuordnen war: „You have to look at Nixon as you would look at a seven-layer cake. The trouble most of us have is that we nibble along one layer. One layer is Nixon the meany, the hardliner, the tough guy. Another layer is Nixon easy to work with for with the people close to him. Then there is another layer of Nixon the loyalist who sticks by people, perhaps too long sometimes. Then there is Nixon the hater. I mean he really despised the people who hated him, and ultimately he realized that is what got him. …You got to cut down on that layer cake with your fork and you will see all the different Nixons that there are. Only in that way can you get some idea of the complexity of the man and the good and the bad.”

Dieser Charakterisierung kommt Frost/Nixon schon sehr nahe, zeigt sie den ehemals mächtigsten Mann der Welt als facettenreiche Persönlichkeit, die durchaus charmant und verbindlich sein konnte, jedoch bei Bedarf ebenso vor keiner Gemeinheit und Niedertracht zurückscheute. Und sie macht deutlich, dass der grundlegende Antrieb Nixons im Verlauf seiner politischen Karriere weniger ideologischen Überzeugungen entsprungen sein dürfte, als vielmehr einem auf Selbstbestätigung ausgerichteten Persönlichkeitsbild, das seit seiner Jugend durch einen von Neid und Bosheit zerfressenen Charakter, aber auch von zahlreichen Verletzungen psychischer Natur geprägt war. Ron Howards Inszenierung geht dabei nicht soweit wie Oliver Stone in Nixon, der ihn, bei allen persönlichen Defiziten, als tragische Figur, die in ihrem Scheitern fast schon Shakespearesche Dimensionen erreicht, zeichnet, doch auch in Frost/Nixon wird deutlich, dass Richard Nixon vor allem den ihm seiner Meinung nach zustehenden Platz in der Geschichte einnehmen möchte, selbst wenn dies Lüge nach außen und Selbstbetrug nach innen bedeutet. Und um dieses Ziel zu erreichen, wird Nixon, der wegen seiner Finten und seiner Verschlagenheit schon während seiner Amtszeit den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Tricky Dick“ mit sich tragen musste, weiterhin zu fast jedem Mittel greifen.

Doch auch David Frost ist in Ron Howards Version zunächst von durchaus eigennützigen Motiven angetrieben. Für ihn ist das Interview in erster Linie die einmalige Chance, seiner eigenen Karriere, die zu jener Zeit einen deutlichen Knick durchlief, einen historischen Höhenflug zu verleihen, und, das macht der Film von Anfang an deutlich, die Vermarktung der Interview-Reihe soll für alle Beteiligten auch ein äußerst lukratives Geschäft werden. Doch Frost, für den journalistische Kriterien am Anfang eher eine Nebenrolle einnehmen, bekommt sehr bald den ungeheuren Druck, den diese Aufgabe mit sich bringt, zu spüren. Denn die amerikanische Öffentlichkeit fordert klare Antworten von dem Mann, der das Präsidentenamt dermaßen missbraucht hat und dessen Verfehlungen weit über die Watergate-Affäre hinausgingen. Bald wird Frost, dem durchaus eitlen Selbstdarsteller klar, dass die große Chance auch seinen eigenen Untergang bedeuten kann. Denn ein bloß eloquent geführtes Gespräch, dem Nixon seinen Stempel aufzudrücken vermag, die inhaltlichen Schwerpunkte setzt und sich aus heiklen Themen mit rhetorisch brillanten, aber inhaltsleeren Erklärungen herauszuwinden vermag, wird man dem Moderator niemals verzeihen, seine Reputation wäre damit auf ewig zerstört. Der Polit-Profi Nixon wird seine Strategie genau darauf ausrichten, der Fernsehmann Frost, der es berufsbedingt versteht, die Dinge auf den Punkt zu bringen, wird schneller als ihm lieb ist, erkennen müssen: „Es kann nur einer von uns gewinnen.“

Rekonstruierte Geschichte

Zeitgeschichtliche Ereignisse werden aus nahe liegenden Gründen gerne als filmische Sujets herangezogen, garantiert die Wiederaufbereitung brisanter Geschehnisse doch zumindest ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Die immanente Gefahr, komplexe Zusammenhänge auf eine Abfolge von äußerlich darstellbaren, dramaturgisch aufbereiteten und damit gut konsumierbar gemachten Geschehnissen zu reduzieren, ist dabei natürlich immer vorhanden. Frost/Nixon entzieht sich dieser Gefahr schon einmal durch die Wahl des Sujets, nämlich durch ein Ereignis, das ja über die Bilder selbst Eingang in die (Medien-)Geschichte fand. Zudem, und das ist eine der Stärken von Ron Howards Inszenierung, rekonstruiert der Film ja nicht bloß die Interviews selbst, sondern thematisiert gerade auch die Vorbereitungen, bei denen die Beraterteams der Kontrahenten Strategien entwickeln, mit deren Hilfe politische Kommunikation auf effiziente, fernsehgerechte Botschaften reduziert werden soll. Dass es sich dabei genau um jene Strategien handelt, die das aktuelle politische Tagesgeschäft auf so unangenehme Weise prägen, sorgt schon allein dafür, dass Frost/Nixon über den bloßen Schauwert einer minutiös nachgestellten Geschichtsepisode hinausgeht. Und wie weit jedoch bereits in den Siebziger Jahren Politik und Entertainment miteinander verknüpft waren, zeigt sich im Detail auch daran, dass Nixon in Medienfragen von dem legendären Agenten Irving „Swifty“ Lazar vertreten wurde, der ansonsten Schauspielgrößen wie Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Cary Grant und Gene Kelly zu seinen Klienten zählte.

Doch es wird einmal mehr der menschliche Faktor sein, der alle wohl vorbereiteten Strategien zunichte machen wird, und es werden dabei keineswegs nur hehre Motive sein (auch in diesem Punkt gelingt es Frost/Nixon, jeden Verdacht von his-torischer Verklärung von sich zu weisen), die den Ausschlag geben. Denn David Frost, in den ersten Interview-Sessions von einem staatsmännisch agierenden Richard Nixon, der jede Brisanz mittels gut vorbereiter Textbausteine zu ersticken versteht, förmlich vorgeführt, läuft, getrieben von der Angst, auf ewig als lächerliche, von Nixon ausgetrickste Figur in Erinnerung zu bleiben, unerwartet zur Hochform auf. Förmlich mit dem Rücken zur Wand stehend wird aus dem stromlinienförmigen Entertainer jener knallhart nachfragende, investigative Interviewer, der, ganz im Sinn eines anwaltschaftlich agierenden Journalisten, stellvertretend jene Fragen stellt, die die Öffentlichkeit bewegen. Und es gelingt ihm tatsächlich, Nixons Panzer aufzubrechen, er zwingt den Ex-Präsidenten dazu, endlich von seinen Worthülsen abzulassen und sich unbequemen Wahrheiten zu stellen. Frost bringt seinen Kontrahenten damit auf jenen psychologischen Tiefpunkt, vor dem sich Nixon immer am meisten gefürchtet hat, doch auch er zeigt in diesem für ihn so bitteren Moment unerwartete Größe, in dem er sein Fehlverhalten eingesteht und die lang erwartete Entschuldigung an das amerikanische Volk richtet: Das Duell zwischen Frost und Nixon hat zumindest keinen der beiden vernichtet. Sie werden bald, und auch in diesem Epilog unterstreicht Frost/Nixon einmal mehr seinen gänzlich unpathetischen Gestus, in altbekannte Verhaltensmuster zurückfallen, doch für einen, historisch betrachtet sehr kurzen Moment hat die Ausnahmesituation beide Kontrahenten über sich hinauswachsen lassen.

Das Frost/Nixon-Interview wurde, aufgeteilt auf vier Sendungen, im Mai 1977 im US-amerikanischen Fernsehen gesendet und erreichte mit 45 Millionen Zuschauern einen immer noch ungebrochenen Rekord für Programme mit politischem Inhalt.