ray Filmmagazin » Horror » Horror jenseits der Genregrenzen

Horror jenseits der Genregrenzen

| Walter Gasperi |

Autoren verschiedener Wissenschaftsbereiche analysieren Mechanismen des Grauens.

Werbung

Große Bandbreite zeichnet den von Claudio Biedermann und Christian Stiegler herausgegebenen Aufsatzband Horror und Ästhetik aus, der das Ergebnis eines 2007 in Wien abgehaltenen Symposiums ist. Wie schon der Untertitel „Eine interdisziplinäre Spurensuche“ andeutet, geht es hier nicht nur um Film, sondern ebenso um literarische und gesellschaftliche Aspekte. Als Einführung in die Geschichte des Genres ist der Band somit nicht zu verstehen, vielmehr nähern sich renommierte Autoren aus den Wissenschaftsbereichen Literatur, Film, Kulturwissenschaften, Soziologie und Kunstgeschichte in insgesamt 15 Essays auf unterschiedlichste Weise der Frage nach dem Verhältnis von Horror und Ästhetik. Ein Streifzug Marcus Stigleggers durch die Geschichte der menschlichen Verwandlung im Film, im Speziellen des Werwolf-Motivs, findet sich hier ebenso wie ein Beitrag Julia Köhnes zu Blutfiguren in der westlichen Kulturgeschichte und dem Zusammenhang von Blut und Trauma in Brian de Palmas Carrie. Ähnlich ist die Herangehensweise Christian Stieglers, der ausgehend von einer Kulturgeschichte der Atmung sowie dem Zusammenhang von Seele und Körper die Rolle und die Performance des Atmens in Horrorfilmen wie Mullholland Dr. oder Blair Witch Project untersucht. Laut Stiegler leitet die Atmung der Filmfiguren dabei den Zuschauer, regt ihn an, mimetisch mitzuatmen und sich mitzuängstigen.

Roland Innerhofer wiederum macht sich auf Spurensuche in Elfriede Jelineks Roman Die Kinder der Toten und zeigt, wie die Nobelpreisträgerin das Horrormotiv der Lebenden und Untoten in einen komplexen Bedeutungszusammenhang stellt, bei dem Gespenstergeschichte und Vampirliteratur mit Bezügen zur österreichischen Geschichte sowie dem verdrängten Nationalsozialismus verschmolzen werden. Eine verwandte Thematik untersucht Michael Rohrwasser am Beispiel des Superverbrechers Dr. Mabuse, einer Figur, die durch ihre hypnotischen Fähigkeiten von Anfang an mit dem Kino verbunden sei und antisemitische Klischees der Nazis auf sich vereine. Durchaus interessant sind auch Grit Grünewalds und Nancy Leydas Ausführungen zur realen, in der Schwarzen Szene beliebten Selbstinszenierung als Vampir oder Flora Schandas und Judith Schoßböcks Beitrag zum Zusammenhang von Queer und Horror, wobei die Autorinnen den Fokus auf das Queere in den Vampirfilmen legen. Stefan Höltgen wiederum beleuchtet Fall und Fiktionalisierung des „Kannibalen von Rothenburg“, der schon vier Horrorfilmen als Grundlage diente, während sich Hans Richard Brittnacher mit der Diabolisierung von Zigeunern in der phantastischen Literatur beschäftigt. Ausführlich geht Brittnacher dabei auf Stephen Kings Thinner (Der Fluch) ein, in dem der amerikanische Horrorautor mit Vorurteilen über Zigeuner arbeitet und diese zu bekämpfen versucht.

Wie vielfältig und interdisziplinär diese Aufsatzsammlung ist, zeigt sich auch darin, dass sie der Plausibilisierung des Vampirismus in modernen Vampirfilmen durch scheinbare medizinische Fakten – die sich bei genauerer Prüfung aber als Nonsens erweisen – ebenso ein Beitrag widmet wie dem Motiv der Furchtlosigkeit und Angst in der mittelhochdeutschen Erzählliteratur.