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Lornas Schweigen

| Walter Gasperi |

Eine in Belgien lebende junge Albanerin gerät in einen Gewissenskonflikt zwischen moralischem Handeln und eigenem Vorteil.

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Bevor man in Le Silence de Lorna ein Gesicht zu sehen bekommt, sieht man Banknoten. Und immer wieder wird in der Folge Geld gezählt und übergeben, werden Tauschgeschäfte durchgeführt. Gefühle spielen hier keine Rolle, Geld ist der Motor des Handelns. An Robert Bressons L´Argent lassen diese Szenen denken und natürlich auch die elliptische Erzählweise, bei der man teilweise erst im Nachhinein erfährt, wie die Dinge zusammenhängen.

Nur um einen belgischen Pass zu bekommen, hat die Albanerin Lorna den drogensüchtigen Claudy geheiratet. Jetzt soll der Junkie beseitigt werden, damit Lorna frei wird für die Heirat mit einem Russen, der für einen belgischen Pass gut zahlt. Auch Lorna, die mit ihrem Freund, der seine Arbeitskraft quer durch Europa verkauft, eine Snackbar eröffnen will, wird dabei nicht zu kurz kommen. Doch langsam meldet sich bei ihr ein Gefühl von Verantwortung gegenüber Claudy.

Leicht können solche Geschichten in Sozialkitsch abgleiten, doch bei den Dardennes, die seit ihrem ersten Film La Promesse stets Außenseiter der westlichen Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken, gibt es keinen Anflug davon. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil die belgischen Brüder erstmals nicht mit einer 16mm-, sondern einer 35mm-Kamera gedreht haben, ist die Erzählweise von Beginn an ruhiger als in L´Enfant. Die Kamera hetzt nicht mehr so atemlos hinter den Figuren her, an Dichte steht Le Silence de Lorna diesen Meisterwerken aber kaum nach. Hier gibt es kein Bild zuviel und keinen Ton zu wenig. Die Präzision und Unerbittlichkeit einer Inszenierung, bei der alles Ausschmückende und Sentimentale getilgt ist, sowie die konsequente Fokussierung auf die von Arta Dobroshi herausragend gespielte Protagonistin verleihen diesem Drama mitreißende Kraft. Nicht aus Lornas Perspektive wird erzählt, aber die Kamera blickt immer auf sie, sodass man bald von ihrem Schicksal gepackt ist und ihren Gängen und Wegen voll Anteilnahme folgt. Nie weitet sich der Blick, es dominieren halbnahe Einstellungen, die die Figuren förmlich einsperren, teils auch abschneiden und deformieren. Dennoch fügt sich die private Geschichte durch ein Drehbuch von geradezu atemberaubender Perfektion zu einem Bild der Abhängigkeiten und des Tauschhandels, die unsere Gesellschaft bestimmen und durch die Moral und Emotionen korrumpiert werden. Märchenhaft ist angesichts dieses unerbittlichen Kreislaufs hingegen das Finale, in dem sich nicht nur der Raum weitet, sondern die Dardennes auch erstmals Filmmusik einsetzen.