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Arbeit am Kontext – Fluchträume des wesentlich Anderen

Fluchträume des wesentlich Anderen

| Alexandra Seitz |

Arbeit am Kontext: Projektionen in Weltraum und Wildnis. 
Anlässlich zweier Bücher zum Thema.

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His education progressed; but his greatest finds were in the inexhaustible storehouse of the huge illustrated dictionary, for he learned more through the medium of pictures than text. (Edgar Rice Burroughs: Tarzan of the Apes)

Doctor, you insist on applying human standards to non-human cultures. I remind you that humans are only a tiny minority in this galaxy. (Mr. Spock zu Dr. McCoy, Star Trek)

Es ist erst wenige Wochen her, da überraschte ein Endzeit-Thriller aus der Abteilung Big-Budget-Mainstream mit einem ziemlich gewagten Lösungsvorschlag für die wie üblich von der Auslöschung bedrohte Menschheit. Am Ende von Alex Proyas’ Knowing fuhren unbekannte Flugobjekte aus den Wolken hernieder und retteten einige Menschenkinder vor dem sicheren Verbrennungstod (… irgendwas mit Sonneneruptionen). Zuvor bereits waren die Kommandeure der Flugobjekte in Erscheinung getreten als dezent gekleidete, elegante Gestalten mit Riesenkräften und schrecklich anzuhörenden Stimmen. Was sie zu sagen hatten, ging allerdings im Lärm unter, den sie dabei machten.

Nun ist das Auftauchen von Aliens und UFOs im Film an sich nichts Besonderes, in einem Endzeit-Thriller schon gar nicht. Im vorliegenden Fall aber wurden die Fremden durch unermüdlich gegebene Hinweise auf die Weltuntergangsvisionen des biblischen Propheten Ezechiel in die Nähe von Engeln gerückt. Woraus wiederum folgt, dass nicht zu entscheiden war, ob es sich bei den Flugobjekten tatsächlich um UFOs oder nicht vielmehr um Himmelswägen handelte. Zumal in der Schlussszene die geretteten Kinder, ein Mädchen und ein Junge, über ein gelbes Kornfeld auf einen Baum zu laufen – ein Bild, das in weiten Teilen der abendländischen Welt nur eine einzige Interpretation zulässt: Baum der Erkenntnis! Paradies! (Es gibt einen Gott!)

Mal ganz abgesehen von der erschütternden Beiläufigkeit, mit der in diesem Film mal eben unser kostbarer Heimatplanet der Vernichtung anheim fällt – was, wohlgemerkt, naturwissenschaftlich erklärt wird; schlicht sprachlos macht einen die Chuzpe, mit der eine eindeutige Interpretation der rätselhaften Wesenheiten, die hier agieren, verweigert wird. Indem er zwischen Außerirdischen und Gottgesandten nicht unterscheidet, schließt Proyas den religiösen mit dem extraterrestrischen Diskurs kurz. Und kurz wirkt das auch wie ein Befreiungsschlag. Da er dabei aber so tut, als wäre die Differenz eh egal, drückt er sich auch vor den gewaltigen ideologischen Implikationen seiner Behauptung. Ganz so, als habe ihn die Angst vor der eigenen Courage eingeholt. (Vielleicht war er aber auch einfach nur zu faul, um die ganze Sache gründlich zu durchdenken.)

Nein, das sind keine müßigen Überlegungen, und es ist auch keine Haarspalterei oder gar ein Streit um des Kaisers Bart, weil:

zwar der Papst an Ostern von der Auferstehung als „einem einzigartigen geschichtlichen Ereignis“ sprechen kann, ohne dass die halbe Welt schallend lacht;

– zugleich aber jemand, der behauptet, von Aliens entführt worden zu sein, Gefahr läuft, in die Irrenanstalt verfrachtet zu werden.

Das bedeutet, dass in unseren vorgeblich ach so tabulosen und aufgeklärten Zeiten ein ernsthafter, womöglich gar wissenschaftlicher Diskurs über die Existenz extraterrestrischen Lebens immer noch eine ziemlich heikle, mit zahlreichen Denk- und Äußerungsverboten belegte Angelegenheit ist. Eben weil das christlich bestimmte Weltbild auf die Bedingungen dieses Diskurses einen nicht unerheblichen Einfluss hat. Erinnert sei hier beispielsweise an die erbitterten Kämpfe, die US-amerikanische Kreationisten um die Inhalte des schulischen Biologie-Lehrplans führen.

„Evolutions-Erfinder“ Charles Darwin, dessen Geburtstag sich diesen Februar zum 200. Mal jährte, konnte ein Lied singen von der Schwierigkeit, den monotheistisch motivierten Blick auf die Sachverhalte der Welt dazu zu bewegen, sich über den Tellerrand hinaus zu wagen. Und was erblickte der da auch? Der Mensch und der Affe sollten dieselben genetischen Vorfahren teilen?! Für Darwins Zeitgenossen war das schlechterdings nicht nur unmöglich, das war Gotteslästerung! Dass Darwins Erkenntnisse sich mittlerweile durchgesetzt haben, hatte leider keineswegs auch erhöhten Respekt vor der tierischen Mitkreatur zur Folge. Die Existenz von Käfighühnern und Mastschweinen ist dafür der traurige Beweis. Doch ich schweife ab.

Darwin nämlich führt uns auf die Fährte einer weiteren Grenzen verletzenden, den Common Sense in Frage stellenden Figur, die (nicht nur) im Film ihr Unwesen treibt: der des Affenmenschen. Manche mögen sich an Johnny Weismüller als Tarzan erinnern, aus einer Zeit, als Filme noch Schwarzweiß sein durften. Den meisten wird immerhin der imposante Schrei des Dschungelmannes ohne Mühe in den Ohren klingen. Oder die geflügelten Worte „Ich Tarzan. Du Jane.“ Die Welt kann so einfach sein.

Wer es lieber etwas komplizierter mag, kann vom hohen Ross des Anthropozentrismus heruntersteigen und sich mithilfe zweier Bücher an die Arbeit am Kontext machen. „Ich Tarzan.“ Affenmenschen und Menschenaffen zwischen Science und Fiction (herausgegeben von Gesine Krüger, Ruth Mayer und Marianne Sommer) sowie Von Menschen und Außerirdischen. Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft (herausgegeben von Michael Schetsche und Martin Engelbrecht) versammeln eine Menge unterhaltsamer Aufsätze, mit denen sich die Projektions-Figuren, die vom Film in All und Dschungel angesiedelt werden, genauer betrachten und besser einordnen lassen. Denn bekanntlich sind es vorwiegend die fiktionalen Erzählformen, die mit Hilfe ihrer Entwürfe radikaler Grenzwesen Denkverbote und Tabus in der Realität diskutieren und angreifen. Für ein möglichst umfassendes Verständnis dieser Erfindungen ist es hilfreich, den sie motivierenden Hintergrund zu kennen, der schließlich ihre Wirkungsmacht determiniert.

Es ist daher keineswegs trivial, sich mit der Frage zu beschäftigen, was Jane eigentlich im Dschungel will, welches Männerbild Tarzan repräsentiert und wieso die beiden ausgerechnet zu Beginn der Moderne aufeinandertreffen (der erste von Edgar Rice Burroughs’ Tarzan-Romanen erschien 1912). Ebenso wenig ist es lächerlich, sich über die längst entworfenen unterschiedlichen Erstkontakt-Szenarien mit Besuch aus dem All zu informieren oder sich mit dem Stand der Dinge in Sachen Weltraumpolitik und Weltraumrecht vertraut zu machen. Die Vielfalt der Themen, die in den genannten Büchern verhandelt wird, beweist nicht nur die unendliche Faszination, die die grundlegend anders und dabei doch verwandt gedachten Gestalten aus Weltraum und Wildnis auf den Menschen ausüben. Sie belegt en passant auch deren subversives Potenzial, bieten sie doch die Möglichkeit, den zivilisatorischen Zwängen der Gegenwart zu entkommen. Gedanklich wenigstens.

Wer Zweifel an den Sanktionen hegt, die der freien Rede über extraterrestrisches Leben drohen, der kann in Von Menschen und Außerirdischen Beiträge finden, die sich mit der derogativen Wortwahl in der Berichterstattung darüber beschäftigen. Dabei wird einmal mehr der eklatante Widerspruch offensichtlich, dass zwar Millionen von Dollars in ein All-Abhörprojekt namens SETI gesteckt werden können, ernsthaftes Sprechen über einen möglichen Erfolg desselben Projektes aber eher nicht möglich ist. Man kann das jedenfalls zumindest eigenartig finden.

So eigenartig wie einen Affenmenschen namens Tarzan, der ja, darin dem Alien sehr ähnlich, auch nichts anderes tut, als mit seiner bloßen Existenz das Selbstbild des Menschen als Krone der Schöpfung in Frage zu stellen.