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Schwedischer Film

Schwedischer Film

Gar nicht finster

| Andreas Ungerböck |

Dieser Tage startet der beeindruckende schwedische Vampirfilm „So finster die Nacht“ in den österreichischen Kinos. Dass schwedische Filme international gut ankommen, ist bekannt. Aber auch in der Heimat sind sie sehr erfolgreich. Eine Bestandsaufnahme vor Ort mit Hilfe von Bengt Toll vom Schwedischen Filminstitut.

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Dass der schwedische Film auf einem guten Fundament steht, ahnt man schon, wenn man das Schwedische Filminstitut im Stadtteil Östermalm betritt. In dem schlachtschiffartigen, eben erst eingeweihten Riesenbauwerk arbeiten mehr als 100 Personen an der Förderung, Promotion und Unterstützung des nationalen Filmschaffens. Nimmt man die durchaus vergleichbare Einwohnerzahl (Schweden neun, Österreich acht Millionen) zum Maßstab, dann flößt nicht nur die Anzahl der Mitarbeiter Respekt ein.

Schwedische Filme, und da sieht Österreich erst wirklich blass aus, erwirtschaften einen nationalen Marktanteil von plus/minus 20 Prozent (Österreich: zwei bis fünf Prozent), und das nicht hin und wieder einmal, sondern Jahr für Jahr, wie Bengt Toll, der überaus freundliche PR-Beauftragte des Instituts, feststellt. Und das auch nicht, wie im vergleichbaren Frankreich, mit Hilfe eines mehr oder weniger offenen (und von Hollywood wütend bekämpften) Protektionismus: „Wir Schweden halten uns an die Regeln, das entspricht unserem Naturell“, sagt Toll sichtlich stolz. Will heißen: Schwedische Filme müssen sich an den Kinokassen tapfer der Übermacht Hollywoods stellen, das hier gar nicht so übermächtig erscheint. „Nur“ 68 Prozent des Einnahmenkuchens gehen an die großen Player jenseits des Atlantik (Österreich: ca. 90 Prozent).

Mit dem Österreich-Vergleich kommt man ohnehin nicht weit. Denn das Budget des Schwedischen Filminstituts ist mit rund 14 Millionen Euro verblüffender Weise geringfügig niedriger als das seines österreichischen Pendants. Davon fließen ca. 75 bis 80 Produzent in die Produktion, denn, wie Bengt Toll vermerkt, „jeder schwedische Film braucht staatliche Förderung, auch wenn sein Marktpotenzial groß erscheint.“  Das galt auch für einen aktuellen veritablen Blockbuster, das Kreuzzugs-Epos Arn – The Knight Templar (2007) und seine Fortsetzung Arn – The Kingdom at the End of the Road (2008), die beide jeweils die stolze Summe von 25 Millionen Euro kosteten, „also in etwa das Zehnfache eines durchschnittlichen schwedischen Films“, so Toll. Nachdem sich das Filminstitut statutengemäß mit maximal 40 Prozent am Budget eines Films beteiligen kann, muss der Rest anderswo her stammen. Tatsächlich gibt es in Schweden mehrere starke regionale Förderinstitutionen, unter anderem im Westen mit dem Zentrum Göteborg, wo auch Bengt Toll zuletzt beschäftigt war. Auch dort hat man zehn Millionen Euro zur Verfügung, und es handelt sich – vergleichbar dem Filmfonds Wien – nicht um eine Tourismus-orientierte Förderung (Göteborg muss also nicht unbedingt als solches auf der Leinwand auftauchen), sondern „es geht darum, Impulse für die Filmindustrie und den Wirtschaftsstandort zu schaffen“. Ähnlich gut dotierte Institute gibt es im Süden (Malmö) und in Nordschweden.

Darüber hinaus pflegt Schweden traditionell beste Beziehungen zu den skandinavischen Nachbarn, auch im Filmbereich. Der Nordic Film and Television Fund steht „fast automatisch“ (Toll) allen Produzenten der Region offen, sobald zwei oder mehr Länder gemeinsam produzieren. „Und wenn jemand zum Beispiel mit Dänemark koproduziert, dann hat er natürlich auch Zugang zu dänischem Fördergeld.“ Als Beispiel nennt er die Produktionsfirma Memfis, die seit vielen Jahren konsequent mit Lars von Triers Firma Zentropa zusammenarbeitet: „Das ist ein richtiges Erfolgsmodell.“ Skandinavische Filme wurden und werden auch international, etwa bei großen Festivals, gemeinsam promotet. In Cannes zum Beispiel war der Slogan „Have you seen a Scandinavian film today?“ viele Jahre lang in den einschlägigen Branchenpublikationen und auf allerlei Merchandising-Produkten sehr präsent. Das 14-Millionen-Euro-Budget des Filminstituts bestreiten übrigens das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die privaten Kabelstationen, die Kinobesitzer, die Verleiher und die schwedischen Produzenten gemeinsam. Wie in vielen anderen Ländern auch, ist die Situation gekennzeichnet von einem fortschreitenden Rückzug des Fernsehens: „Filme sind nicht mehr so wichtig für das Fernsehen. Die neuen Filme, die die Leute sehen wollen, bekommen die Sender nicht, und die alten, die Klassiker, verstecken sie an unmöglichen Sendeplätzen.“

Talk to the Commissioner

Das Fördersystem des Schwedischen Filminstuts unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt ganz klar von den österreichischen Einrichtungen: Die Entscheidung, welche Filme gefördert werden und welche nicht, trifft keine Kommission und keine Jury, sondern eine Person, die man im englischen Fachjargon wohl als „Commissioner“ bezeichnen würde. Als solche agieren in aller Regel erfahrene Industrie-Profis, die relativ kurze Funktionsperioden haben, nie aber Beamte. Derzeit gibt es zwei Commissioners für Spielfilme, eine(n) für Dokumentar- und eine(n) für Kinderfilme. „Das halten wir für sinnvoll und überschaubar. Der Commissioner begleitet ein Projekt vom Entwicklungsstadium bzw. von dem Zeitpunkt an, an dem der Produzent mit dem Institut in einen Dialog tritt, bis hin zum Kinostart. Der oder die Zuständige entscheidet autonom, muss aber natürlich seine/ihre Entscheidung, also Zusage oder Ablehnung, begründen und auch vertreten können.“ Probleme gebe es dabei so gut wie nie, sagt Toll, und die Qualität der schwedischen Filme sei im Allgemeinen sehr zufrieden stellend, auch oder gerade im Mainstream-Bereich.

Was in Österreich gar nicht selbstverständlich ist, ist es in Schweden sehr wohl: Es wird kein Film gefördert, der nicht einen Vertrag mit einem der drei großen schwedischen Verleiher Svensk, dem zudem 80 Prozent der schwedischen Leinwände gehören und der auch in Norwegen stark vertreten ist, Nordisk (der eng mit dem dänischen Trust-Verleih kooperiert) oder Sandrell (ebenfalls in Schweden und Norwegen aktiv) vorweisen kann. Ein nachvollziehbarer Vertriebsplan ist ebenso unabdingbar wie ein innovatives Marketing-Konzept. „Wir fördern Filme bis zum Kinostart, aber nicht ins Blaue hinein“, lautet Bengt Tolls knapper Kommentar dazu. Daneben gibt es noch den aus der Gewerkschafts- und sozialdemokratischen Tradition der Sechziger Jahre stammenden Kleinverleih Folkets Bio (Volkskino), der sich vor allem um Dokumentar- und Arthouse-Filme kümmert. Dass einer der US-Majors, die in Schweden, wie überall auf der Welt, ihre Filialen haben, einen heimischen Film in den Verleih nimmt, kommt, wie auch in unseren Breiten, äußerst selten vor. Ebenfalls eine Besonderheit: Das Schwedische Filminstitut fördert nicht nur den Vertrieb von lokalen Filmen, sondern auch die Verbreitung von hoch qualitativen Filmen aus dem Ausland – es sei dies, so Toll, die einzige Möglichkeit, diese Filme auch einem schwedischen Publikum vorsetzen zu können. Mit dem Geld werden vor allem Untertitel hergestellt.

Der Überraschungen, die Bengt Toll an diesem Vormittag ausbreitet, kein Ende: In dem riesigen, aber spärlich besiedelten Land gibt es noch 847 Kinoleinwände. Rund die Hälfte davon sind noch Einsaal-Kinos, während die 577 Leinwände Österreichs (Stand: Ende 2008) in nur noch 164 Kinohäusern stehen. Multiplexe, so Bengt Toll, lohnten sich in den dünn besiedelten Landstrichen nicht, in den Großstädten seien sie zwar vertreten, aber nicht im Übermaß, wie etwa in Wien. „Es gab lange diese schwedische Tradition, die aus der Sozialdemokratie stammt, dass es in jeder Kleinstadt, in der es eine Tankstelle gibt, auch ein Kino geben muss.“ Diese intakte Kinokultur wurde (und wird bis heute) zumeist von Volksbildungsorganisationen, der Gewerkschaft und ähnlichen Institutionen getragen. Auch um diese kümmert sich das Filminstitut, wenngleich Bengt Toll für die nahe Zukunft wenig optimistisch ist: „Die Digitalisierung wird auch unter unseren Kinos einen Kahlschlag verursachen. Die kleinen Kinos können sich die Umstellung nicht leisten, wir können sie nicht im gewünschten Umfang finanzieren,  und selbst wenn, wäre immer noch die Frage, ob es sich lohnen würde.“ Er rechnet damit, dass rund die Hälfte der Kinos der Flurbereinigung zum Opfer fallen könnten, vor allem in Städten mit unter 30.000 Einwohnern: „Dort werden die Standorte langfristig nicht zu halten sein.“ Denn auch der Kinobesuch (praktisch ident mit dem österreichischen) nimmt laufend ab: Home Cinema und Piraterie fordern auch in dem Land Tribut, in dem die Download-Plattform Pirate Bay nicht nur zu Hause ist, sondern erst kürzlich auch zu drastischen Strafen verurteilt wurde. „So sehr man diese Leute für ihren Entrepreneur-Geist bewundern könnte, so sehr schaden sie der Filmindustrie, auch der schwedischen.“ Laut einer Erhebung aus 2008 würden rund eine Million Filme monatlich (!) in Schweden illegal downgeloadet. „Man kann es so formulieren: Jeder Schwede, jede Schwedin geht im Jahr im Schnitt 1,7 Mal ins Kino – aber sie sehen jede Woche einen Film: im Fernsehen kaum, denn das Fernsehen setzt längst auf Serien und Gameshows und nicht auf Filme. Und der DVD-Verkauf alleine macht es auch nicht aus. Also liegt es sehr wohl am Internet.“ Bengt Toll sieht als Verantwortliche die Internet-Provider, die gegen Up- und Downloader gar nicht oder nicht energisch genug vorgingen: „Es müsste endlich eine kollektive Abgabe geben, so ähnlich wie im Musikbereich, damit man die Kreativen zumindest annähernd für den Verlust an Einnahmen entschädigen kann.“ Die Chancen stehen allerdings selbst für das rührige Schwedische Filminstitut schlecht, hier etwas zu bewirken.

Wenn schon nicht gegen die Piraterie in entsprechendem Maße vorgegangen werden kann, so setzt man in Schweden zumindest auf Bewusstseinsbildung: Ebenfalls einer lang etablierten sozialdemokratischen Tradition entsprechend, ist Medienerziehung von Kindern und Jugendlichen, also der kritische Umgang mit Film, Fernsehen, Computerspielen und dem Internet, ein vorrangiges Anliegen. Auch hier stellt das Filminstitut Mittel bereit. „Die EU fördert die Bemühungen um die so genannte media literacy sehr stark, und weil wir das gut und sinnvollfinden, folgen wir dem gern.“ Am Anfang der Kampagnen in den Sechziger Jahren stand der Wunsch, Kinder ins Kino zu bringen. Kinos wurden gefördert, damit sie am Vormittag Schulvorstellungen anbieten konnten, umfangreiches Begleitmaterial für die Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung gestellt. Auch diese Aktivitäten haben sich stark verändert: „Heute leihen die Lehrer DVDs in den Bibliotheken aus und projizieren sie in eigenen Medienräumen in den Schulen“, sagt Bengt Toll, gar nicht resigniert: „Das ist der Zug der Zeit, das müssen wir akzeptieren. Es ist einfacher, praktikabler, unaufwändiger.“ Dass der Kinderfilm in Schweden wichtig war und ist, ist nicht neu. Die Tatsache, dass es am Institut eine(n) eigene(n) Commissioner dafür gibt, unterstreicht dies. „Wir sind stark darin, Filme für ganz kleine Kinder zu machen, etwa die Pettersson und Findus-Serie. Aber wir tun uns zunehmend schwer, Realfilme zu machen, vor allem in der Altersgruppe zwischen 7 und 12 Jahren. Die Kinder schauen fast nur noch Animation, weil sie das aus dem Kinder-Fernsehen kennen. Und Hollywood ist in diesem Bereich unglaublich stark. Wenn wir einen Realfilm pro Jahr schaffen, der im Kino mithalten kann, ist das schon viel. Und selbst der hat gegen US-amerikanischen Unsinn wie Das Hundehotel keine Chance. Wir sind da, mit unseren alten Astrid-Lindgren-Verfilmungen, einfach verwöhnt. Diese Filme laufen immer noch bestens, landauf, landab. Das wird sich nie ändern. Ich glaube, im Grunde suchen wir noch immer nach solchen Filmen.“

Bestseller

Bengt Tolls Augen beginnen zu leuchten, wenn man auf die unglaublichen Erfolge des schwedischen Films an den heimischen Kinokassen zu sprechen kommt: Seit 1993 gab es nicht weniger als 20 lokale Filme, die von jeweils über 500.000 Zuschauern gesehen wurden (zum Vergleich: In Österreich gab es genau einen, nämlich Hinterholz 8 aus dem Jahr 1998). Den einsamen Rekord von Kay Pollaks Wie im Himmel, der sich auch im Ausland blendend verkaufte, wird wohl so bald niemand brechen: 1,43 Millionen Schwedinnen und Schweden ließen sich davon unterhalten (also ein starkes Sechstel der Bevölkerung), aber zumindest einen heißen Kandidaten auf den zweiten Platz gibt es: Die Verfilmung von Stieg Larssons Roman Män som hatar kvinnor (eigentlich: Men Who Hate Women, besser bekannt aber als The Girl with the Dragon Tattoo) lockte bereits in den ersten drei Wochen mehr als 700.000 Menschen in die Kinos. Der erste Teil der unglaublich populären so genannten Millennium– Trilogie des 2004 tragisch verstorbenen Autors ist nicht nur auf Papier auch außerhalb der Landesgrenzen ein Schlager, auch der Film, inszeniert vom dänischen Regisseur Niels Arden Oplev, dürfte ein Exportschlager werden. In Dänemark und Norwegen ist er schon Blockbuster, und in Frankreich soll der Film demnächst mit unglaublichen 250 Kopien in den Kinos starten. Die anderen beiden Verfilmungen, The Girl Who Kicked the Hornet‘s Nest und The Girl Who Played with Fire, sind fertig gestellt und harren ihres Kinoeinsatzes, die freudige Erwartung im Lande ist schon jetzt kaum zu überbieten.

Damit ist für Bengt Toll schon einer der Hauptgründe für den Erfolg des schwedischen Films genannt: „Man setzt zunehmend, und Gott sei Dank auf hohem Niveau, auf die Verfilmung von populären Büchern. Auch die beiden Teile von Arn, die sich im Ausland natürlich nicht so gut verkauften, basieren auf einer berühmten Bücherserie: Die Figur selbst existierte natürlich nie, aber es gelang den Büchern und den Filmen, den Schweden zu suggerieren, sie habe existiert. Tausende Menschen fahren in die Region, in der die Filme gedreht wurden, um zu sehen, wo Arn lebte. Und auf dem Gebiet der Kriminalliteratur haben wir nicht nur eine reiche Tradition, sondern auch gegenwärtig sehr gute Autoren. Den Leuten sind Polizisten wie Wallander (von Henning Mankell) und Martin Beck (von Maj Sjöwall und Per Wahlöö) ein Begriff.“ Bei Larsson bzw. bei Regisseur Niels Arden Oplev sind es – ein seltsames Paar – der nicht ganz uneitle Finanzjournalist Mikael Blomqvist und die nerdige Computerhackerin Lisbeth Salander, die die Menschen begeistern. Mit dem populären Schauspieler Michael Nyqvist und der Newcomerin Noomi Rapace hat Regisseur Oplev ein wahres Dream Team gefunden, das alle fasziniert.

Last not least, hat auch Tomas Alfredson mit seinem genialen, atmosphärisch stimmigen Vampirfilm So finster die Nacht (das Original Låt den rätte komma in liest sich auf Englisch Let the Right One In) auf das richtige Pferd gesetzt: Auch seinem Blockbuster liegt ein enorm populärer Roman zugrunde. Mit dem Autor John Ajvide Lindqvist arbeitete der Regisseur eng zusammen. Nur so, sagt Alfredson, habe er den 550-Seiten-Wälzer auf normale Spielfilmlänge kondensieren können. Der Erfolg gibt ihm, wie vielen seiner Kollegen, Recht: Der Film wurde seit seinem Start im Oktober 2008 von den Besuchern gestürmt. Und weil so viele Schwedinnen und Schweden nicht irren können, lohnt es sich zweifellos, den schwedischen Film weiterhin im Auge zu behalten. In den USA, wo Alfredsons Film eben erfolgreich gestartet ist, tut man das ganz bestimmt.