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Spin-Off – Und es funktioniert doch …

Und es funktioniert doch ...

| Bettina Schuler |

Mit X-Men Origins: Wolverine“ vertraut Hollywood erneut auf das beliebte Spin-Off Rezept.

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„Your country needs you“, ruft US-Captain Stryker (Danny Huston) dem widerborstigen Wolverine (Hugh Jackman) hinterher, als dieser sich wieder einmal gegen eine Mission zur Rettung der Nation wehrt. Wolverines knapper Kommentar zu diesem Angebot: „I am Canadian.“ Dieser Dialog fasst sehr schön die Stimmung und den Wortwitz zusammen, der X-Men Origins: Wolverine durchzieht. Und der neben satter Action und Special Effects, die man bereits aus den letzten drei X-Men-Filmen kennt, vor allem auf flotte Sprüche und ironisch bissige Kommentare setzt. Zugleich bildet X-Men Origins: Wolverine den Auftakt zu einer neuen Reihe von Spin-Offs, welche die Initialisierungsgeschichte eines beliebten Charakters aus dem X-Menschen-Ensemble erzählen und dessen Nachfolger laut US-Medien ein Film über den Bösewicht Magneto sein wird.

Das Parzival-Prinzip

Doch sind Spin-Offs beileibe keine Erfindung des Medienzeitalters: Bereits die Autoren des Mittelalters nutzten Figuren aus populären Sagen und Mythen als Inspirationsquelle für ihre Werke. So wie etwa der französische Dichter Chrétien de Troyes, der sich einige besonders beliebte Ritter rund um die Tafelrunde, wie Parzival, Erec und Iwein herauspickte und ihnen jeweils ein eigenes Epos widmete, und, nicht unähnlich den heutigen filmischen Spin-Offs wie Elektra und X-Men Origins: Wolverine, von deren Kindheit und Entwicklung zu glorreichen Kämpfern berichtete.

Auch populäre Comics und erfolgreiche TV-Serien bedienen sich gerne des Spin-Off-Prinzips: Im Fall der Ärzteserie Grey’s Anatomy ist es die attraktive Oberärztin Dr. Montgomery (Kate Walsh), die sich die Produzenten heraussuchten und deren Wechsel in eine Private Practice bereits Wochen zuvor in Grey’s Anatomy angedeutet wurde, nur um möglichst viele treue Anhänger der Serie für das Spin-Off zu gewinnen. Ein Quotentrick, der allerdings nur selten glückt, da die meisten TV-Serien über das Zusammenspiel eines Schauspielensembles funktionieren und nur wenige Charaktere, wie der Schauspieler Kelsey Grammer alias Frasier aus der Achtziger-Jahre Sitcom Cheers so eigen und speziell sind, dass sie eine eigene Serie tragen können.

Auch im Kino werden immer wieder Spin-Offs realisiert, insbesondere von Blockbustern und Comicverfilmungen. Man kann sie in drei Typen einteilen: Niedliche Sidekicks, die einen eigenen Film bekommen, wie die knuffeligen Ewoks aus Stars Wars: Return of the Jedi (1983); weibliche, weniger bekannte Superhelden wie Catwoman (2004) oder Elektra (2005), die zuvor nur Nebenrollen im Universum eines populären Superheldenfilms einnehmen; und, wie im Fall von Wolverine, sehr prägnante und populäre Superhelden, die aus einem Superhelden-Ensemblefilm stammen. Dabei spielt der erste Typ eine gesonderte Rolle, da er als einziger der drei Spin-Off-Varianten nicht auf einer Comic-Vorlage basiert, sondern der direkte Ableger eines populären Films ist, in dem der Spin-Off-Held eine kleine Rolle spielt, die vor allem dazu da ist, den Verkauf von Merchandising-Produkten in die Höhe zu treiben. Diese Rechnung geht jedoch nicht immer auf, da der vermeintliche Sympathieträger auch zum Hassobjekt des Publikums mutieren kann. So geschehen bei Jar Jar Binks aus Star Wars: Episode  I – The Phantom Menace, der von der eingeschworenen Fangemeinde so sehr gehasst wurde, dass er quasi aus den nächsten beiden Stars Wars-Filmen herausgeschrieben wurde. Auch die beiden Star Wars-Spin-Offs The Ewok Aventure (1984) und Ewoks: The Battle for Endor (1985) waren nicht besonders erfolgreich, was weniger auf deren Konzeption, als vielmehr auf die dürftige Handlung, die trashigen Effekte und das lieblose Kostüm zurückzuführen war. Spin-Offs mit weiblichen Superhelden wurden hingegen ebenso aufwändig wie ihre Ursprungsfilme produziert, warteten mit viel Action und einer hochkarätigen Besetzung auf. Doch lassen sich auch innerhalb dieses Spin-Off-Typs unterschiedliche Erzählprinzipien und filmische Umsetzungen feststellen. So schließt die Handlung von Elektra, dem Ableger von Daredevil, direkt an die ihres Ursprungfilms an. Hingegen wird bei Catwoman, dem Spin-Off von Tim Burtons Batman Returns, ebenso wie in den mittelalterlichen Epen die Vorgeschichte der Hauptdarstellerin erzählt. Noch ein gravierender Unterschied: die Besetzung. Besetzten die Produzenten bei Elektra erneut Jennifer Garner für die Titelrolle, um eine Kontinuität zu Daredevil herzustellen, wählte man für  Catwoman mit Halle Berry eine neue Schauspielerin, auch um eine Charakterisierung der Figur vornehmen zu können, die völlig mit der Catwoman-Figur aus Tim Burtons Batman brach.

Visueller Spiegel der Gefühlslage

X-Men Origins: Wolverine ist eine Mischung aus diesen beiden Erzählprinzipien, da der Film zwar auf den gleichen charismatischen Hauptdarsteller setzt, sich jedoch wie Catwoman der Vorgeschichte des Helden widmet. So beginnt die Geschichte von Wolverine 150 Jahre vor den bisherigen X-Men-Filmen, mit der Kindheit des Helden. Der junge Logan erfährt von seiner Mutation, tötet im Affekt seinen eigenen Vater und zieht mit seinem Bruder Victor (Liev Schreiber) alias Sabretooth von einem Krieg in den nächsten. Im Gegensatz zu Logan genießt Victor das Töten und verfällt während der Kämpfe immer wieder in einen wahren Blutrausch, der die beiden Brüder letztendlich vor ein Hinrichtungskommando bringt, bei dem deutlich wird, dass gewöhnliche Kugeln den beiden Soldaten nichts anhaben können. General Stryker, den der Zuschauer bereits aus den vorherigen X-Men-Geschichten kennt, wird auf die beiden aufmerksam und rekrutiert sie für sein „Team X“, das aus Mutanten besteht und für die Regierung arbeitet. Nachdem ein Einsatz des Teams völlig aus dem Ruder gelaufen ist, beschließt Logan, seinen Weg ohne den Bruder und die Mutantentruppe fort zu führen. Doch gerade als er glaubt, mit der attraktiven Lehrerin Kayla (Lynn Collins) in den Bergen ein ruhiges Leben führen zu können, taucht Stryker mit seinen Leuten wieder auf und bereitet dem friedlichen Einsiedlerdasein ein jähes Ende.

Der Film zeigt nicht nur auf der dramaturgischen, sondern auch auf der visuellen Ebene, wer im Zentrum des Interesses steht: In jeder Sequenz spiegelt sich die Gefühlslage des Helden auch auf der Bildebene wider. Dies wird bereits während des Vorspanns deutlich, als Wolverine zusammen mit seinem Bruder im Schnelldurchlauf an allen Kriegsfronten des letzten Jahrzehnts kämpft, ohne sich dabei umzusehen. Denn ein Innehalten würde ihn zwingen, über sein Handeln und Anderssein nachzudenken. Als Wolverine dann zu „Team X“ stößt, folgen schnelle Schnitte und kurze Sequenzen, die perfekt mit dem Verhalten eines Kämpfers des „Team X“ korrespondieren. Wohingegen der Regisseur, als Wolverine mit seiner Geliebten ein beschauliches Leben in den Bergen führt, die Kamera ruhig durch die Weite der Landschaft schweifen lässt.

Men versus Women

In Superheldinnen-Spin-Offs werden Emotionen entweder durch Träume visualisiert oder in Gesprächen ausdiskutiert. Womit diese Filme das weit verbreitete Klischee bestätigen, dass Frauen eben besser über ihre Gefühle sprechen können. Der visuelle Akzent wiederum liegt hier sehr deutlich auf den sexy Outfits der Hauptdarstellerinnen, die mit ihren schwarzen und roten Ledercatsuits mehr wie Dominas als Superheldinnen aussehen und somit zum Objekt der Begierde stilisiert werden. Kein Wunder also, dass die Kampfszenen mit ihren männlichen Gegnern eher wie Kopulationsversuche denn klassische Actionszenen wirken. Ihre Kräfte nutzen die Superheldinnen zunächst, um sich von ihrer konventionellen Frauenrolle zu befreien, in der die Frau vom Mann beschützt wird. Selbst in Supergirl (1984), der eher als eine Persiflage denn als ernst gemeintes Spin-Off einzustufen ist, gibt es diesen Befreiungsmoment – als die naive, blonde Schönheit während ihrer ersten Nacht auf Erden zwei Truckfahrer, die sie zu vergewaltigen versuchen, ordentlich vermöbelt. Was diese mit den Worten quittieren: „Ich glaube, wir sollten das hier für uns behalten.“

Auch in Catwoman wird dieses Motiv immer wieder aufgegriffen: Insbesondere, wenn Patience alias Catwoman die alte Professorin Ophelia (Frances Conroy) besucht, die ihr von der Katzengöttin Bast erzählt, welche die Dualität der Frauen, „gefügig und doch aggressiv, wild und fürsorglich“ repräsentiert. Und deren irdischer Vertreter, eine kleine graue Katze, Patience wieder belebte und mit übermenschlichen Kräften ausstattete. Ein emanzipatorischer Moment, mag man meinen, da Patience nun den Männern in puncto Kraft überlegen ist, doch da Patience tagsüber weiterhin ihr Dasein als braves Mädchen fristet, ist es vielmehr eine Bestätigung des männlichen Klischees, dass man Frauen nie trauen kann, weil sich hinter ihrer freundlichen Fassade immer eine listige, dunkle Seite verbirgt.

Wolverine hingegen wird von Anfang an als starker, männlicher Beschützer inszeniert: Ein klassischer geläuterter Held, der sich für die Schwachen und Benachteiligten, in diesem Fall für die Mutanten einsetzt, und mit seinem weißen Unterhemd und dem durchtrainierten Oberkörper ganz dem Klischee eines stattlichen Mannes entspricht. Ein gestandener Mann, der im Gegensatz zu den Frauen immer klar formuliert, was er denkt und hinter dessen Aussagen sich keine Zweideutigkeit versteckt. Doch auch wenn er in diesem Punkt nicht besser ist als die Spin-Offs über weibliche Superheldinnen, so bricht er doch mit einem eisernen Spin-Off-Gesetz: dass die Ableger immer schlechter als ihre Ursprungsfilme sind. Denn X-Men Origins: Wolverine ist im Gegensatz zu Catwoman und Elektra filmische Unterhaltung auf höchstem Niveau. Ein Film, der mit seiner idealen Mischung aus aufwändig inszenierten Actionsequenzen, Dialogwitz und Special Effects keineswegs im Schatten seiner Vorväter steht und zugleich das Thema der sozialen Ausgrenzung wieder deutlich in den Mittelpunkt des X-Men-Universums rückt.

 

 

„Wolverine ist der Gute, nicht der Nette“

Hauptdarsteller, Produzent und „sexiest man alive“ Hugh Jackman im Gespräch mit Marc Hairapetian: über Wolverine“, heimliches Comics-Lesen und über den Wunsch, in einem Film-Musical mitzuspielen.

Die Mutantenfiguren aus X-Men Origins samt Wolverine stammen aus dem Marvel-Universum. Haben Sie in ihrer Jugend Marvel-Comics gelesen?
Um ehrlich zu sein, habe ich vorher niemals Marvel-Comics gelesen, aber ich habe mir immer gerne Cartoons im Fernsehen angesehen. Als 2000 das Angebot kam, im ersten X-Men-Film zu spielen, warnte mich meine Frau: „Das ist erstens bestimmt gefährlich und zweitens könntest du als Mensch-Wolf-Mutation reichlich albern aussehen.“ Es war wohl das einzige Mal in unserer Beziehung, wo sie falsch lag. Regisseur Bryan Singer verbot uns Schauspielern übrigens, beim ersten Teil die Comics am Set zu lesen. Um meine Bildungslücke zu schließen, führte ich mir in den Pausen dennoch einige zu Gemüte und versteckte sie dann in meinem Spind. Ich hatte immer Angst davor, mit ihnen erwischt zu werden. Es war so, als wenn ich heimlich Pornos lesen würde. Inzwischen bin ich ins Marvel-Universum eingetaucht, doch ich liebe auch die „Konkurrenz“, allen voran Superman und andere DC-Comic-Helden. Ich liebe den ultrabiegsamen Plastic Man mit seinem leuchtend roten Kostüm und die TV-Serie The Man from Atlantis. Patrick Duffy, der später Bobby Ewing in Dallas spielte, hat ihn wunderbar verkörpert!

Wollten Sie als Produzent des Films mehr Einfluss auf die Figur nehmen?
Ja. Nach Absprache mit dem Regisseur habe ich mich auch um Großteile der Besetzung gekümmert. Besonders wichtig war mir, Liev Schreiber für die Rolle als Wolverines Erzfeind Sabretooth, der über ähnliche animalische Kräfte verfügt, zu gewinnen. Er ist einer der besten Schauspieler meiner Generation, überzeugt am Theater in Shakespeare-Rollen. Leider ist es mir nicht gelungen, einen Part für Hale Berry, die im ersten X-Men-Film mit mir zusammen spielte und inzwischen eine gute Freundin ist, zu kreieren. Filme wie die X-Men-Reihe sind geschaffen für die große Leinwand. Trotz aller Action haben sie auch Tiefgang. Es mag etwas pathetisch klingen, doch ich habe den rauen Wolverine inzwischen ins Herz geschlossen. Ich wollte sicher gehen, dass sein Charakter nicht verwässert wird und habe – nach harten Diskussionen mit Drehbuchautor David Benioff – auch am Skript mitgearbeitet. Visuell und handlungstechnisch schlägt der Film eine neue Richtung ein: Er ist düsterer und orientiert sich dabei an Filmen wie The Dark Knight. Wolverine ist zwar der Gute, aber nicht der Nette.

Sind es also gerade die Schattenseiten, die Wolverine so beliebt bei Lesern und Filmbesuchern machen?
Sicher. Er fühlt sich als Mutant in der menschlichen Gesellschaft stets fremd. Er ist gefährlich, raubtierhaft und erotisch, aber er hadert mit seinen Zweifeln und seiner Selbstverachtung. Dadurch wird er als Superheld menschlicher. Ein dreidimensionaler Charakter, mit dem sich das Publikum wirklich identifizieren kann. Er kämpft nicht auf die typisch amerikanische Art für die Gerechtigkeit, er hat seine eigene Ethik. An seinem Beispiel merkt man, dass es manchmal gut ist, die Wut raus zu lassen, statt sie ständig in sich rein zu fressen und Magengeschwüre zu bekommen.

Wolverine ist nicht gerade politisch korrekt. Sind Sie es?
Nicht in jeder Hinsicht. Ich lasse die Wut manchmal auch raus, sage meine Meinung auch öffentlich. Andererseits: Übermäßigen Alkoholkonsum würde ich beispielsweise nicht unterstützen, gerade weil ich in meiner Jugendzeit auch schon mal einen über den Durst getrunken habe. Da baut man meist Mist und fühlt sich danach noch elender. Und jetzt wäre ich kein gutes Vorbild für meine eigenen Kinder.

Wie fühlt man sich als „sexiest man alive“, zu dem sie kürzlich gewählt wurden? Und wie verteidigen Sie den Titel?
Der Trick ist, nie vor Mittag in den Spiegel zu schauen – und auch nie nach sieben Uhr abends … – nein, im Ernst: Der Titel ist schmeichelhaft, aber doch blödsinnig. Was sagt das schon aus? Mir wäre lieber, wenn man mich eines Tages als „Charakterschauspieler von bleibender Erinnerung“ bezeichnen würde.

Welche Rolle reizt Sie als nächstes, nachdem Sie als Mutant nun mehrfach erfolgreich die Krallen ausgefahren haben?
Ich liebe Musicals und würde nach meinen Bühnenerfahrungen mit beispielsweise The Boy from Oz gerne auch in einem Filmmusical spielen. Die meisten meiner Lieblingsfilme sind Musicals: The Westside Story, The Sound of Music, Man of La Mancha oder Cabaret. Am liebsten wäre mir eine Adaption von Carousel. Ich muss mal wieder mit Baz Luhrman telefonieren. Er ist unheimlich musikalisch und hat mit Moulin Rouge ein wunderbares Musical der Moderne gedreht. Wir haben bei Australia sehr gut zusammen gearbeitet, dabei hat er mir eine große Ähnlichkeit mit dem jungen Clint Eastwood bescheinigt: In einer Drehpause filmte er mich im Look von Sergio Leones Westernklassiker Zwei glorreiche Halunken, während ich Ennio Morricones berühmte Melodie dazu pfiff. Der ganze Stab johlte vor Vergnügen. Seine Kreativität und meine Musikalität – ich glaube, wir wären ein gutes Gespann für ein gemeinsames Musical-Projekt.

Ist Clint Eastwood ein Vorbild für Sie?
Aufgrund seines Könnens und seiner Integrität gehört er auf jeden Fall zu meinen Vorbildern. Er hat sich vom Revolverhelden zum  Meisterregisseur und -schauspieler gewandelt. Da möchte ich auch mal hinkommen. In letzter Zeit habe ich aber Steve McQueen für mich wieder entdeckt, der auch in Actionfilmen immer wieder eine gewisse Nachdenklichkeit ausstrahlte.

Neben Ihrem Ehering sieht man noch zwei andere an ihren Fingern. Stimmt es, dass WolverineRegisseur Gavin Hood Ihnen die Ringe zur Erinnerung an den Dreh geschenkt hat?
Ja, das stimmt. (Er senkt ominös die Stimme:) Es gibt nur drei Ringe. Und bei Vollmond treffen wir uns zur Verwandlung. .…