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Wendy and Lucy

| Bettina Schuler |

Eine junge Frau erlebt die Kehrseite des „American Dream“.

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Aktueller könnte das Thema eines Films zur Zeit wohl nicht sein: Denn die Regisseurin Kelly Reichardt widmet sich in Wendy and Lucy jenen Menschen, die inmitten unserer Überflussgesellschaft in Armut leben, und die, weder beruflich noch sozial eingebunden, tagtäglich ums blanke Überleben kämpfen müssen. Auch Wendy (Michelle Williams) hat nicht mehr als ein paar Dollar in der Tasche. Zusammen mit ihrem Hund Lucy wohnt sie in einem alten Honda, der sie nach Alaska bringen soll, wo sie auf einen Job in einer Fischfabrik hofft. Doch mitten im Nirgendwo gibt das Auto seinen Geist auf. Wendy wird beim Stehlen von Hundefutter erwischt und zu guter Letzt verschwindet auch noch ihre einzige Freundin Lucy. Allein ein alter Wachmann, den Wendy während ihrer Suche nach der Hündin trifft, hat Mitleid mit der obdachlosen jungen Frau und versucht sie nach Kräften zu unterstützen.

Michelle Williams hat sich schon lange von ihrem Image als Teenager-Serien-Star freigeschwommen. Spätestens seit ihrer Darstellung der Emily in Station Agent ist Williams zu einer festen Größe im Independent Film geworden. Jedoch erst ihre Rolle als Wendy erlaubt der Schauspielerin ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen. Unglaublich authentisch und kraftvoll spielt Williams diese junge Frau, die trotz aller Widrigkeiten nicht bereit ist, ihren Traum von einem geregelten Leben aufzugeben, sondern mit Würde und Stolz versucht, in dieser Gesellschaft zu überleben. Dabei hat sie den Glauben an Freundschaft und menschliche Solidarität längst aufgegeben und hängt ihr Herz lieber an ein Tier als an einen Menschen.

Kelly Reichardt schafft es, in ihrem Film ein sehr genaues Bild des amerikanischen Kapitalismus zu zeichnen. Der, ganz dem Klischee des „american way of life“ entsprechend, zwar alles möglich macht, jedoch ebenso gnadenlos jene Menschen an den Rand der Gesellschaft drängt, die sich in dieser Welt des ständigen Wettkampfes nicht zurecht finden. Ihr kleiner, aber feiner Film ist frei von jedweder Sozialromantik. Stattdessen zeigt sie, wie wenig in einer solchen Gesellschaft, in der jeder nur an seinen Aufstieg denkt, der einzelne Mensch wert ist. Selbst der Wachmann ist kein klischeehafter Gutmensch, sondern hadert eine ganze Weile mit sich selbst, bis er seine Hemmungen überwindet und Wendy bei ihrer Suche nach Lucy hilft. Ein unglaublich starker Film, der einen kritischen Blick auf das heutige Amerika wirft, in dem Menschen, die sich zu sehr auf die Integrität anderer verlassen haben, zuhauf in Zelten leben müssen.