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Wiener Festwochen – Mordsstück

Mordsstück

| Oliver Stangl |

James M. Cains Roman Double Indemnity“ wurde in der Verfilmung durch Billy Wilder bereits zum Kinoklassiker. Nun kann man im Rahmen der Wiener Festwochen eine ebenso grandiose Bühnenversion erleben.

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Wenn von den großen amerikanischen Kriminalautoren der Dreißiger und Vierziger Jahre die Rede ist, fallen unwillkürlich die Namen Raymond Chandler und Dashiell Hammett, die Großmeister der hard-boiled novel also, die sich um den eigentlichen Krimiplot meist nur am Rande kümmerten, mit ihrem originellen Prosastil und dem Eintauchen in die Abgründe exzentrischer, meist überlebensgroßer Charaktere dagegen maßgeblich daran beteiligt waren, den Kriminalroman in den Bereich ernstzunehmender Literatur zu überführen. James M. Cain (1892–1977) gerät ob dieser beiden stilbildenden Giganten meist ins Hintertreffen – zu Unrecht. Cains entschlackter, lakonischer Stil und sein Gespür für Dialoge machen seine Werke zu mehr als simplen Krimis. Kategorisierungen waren ihm ein Gräuel, wie er im Vorwort zu Double Indemnity zum Ausdruck brachte: „I make no conscious effort to be tough, or hard-boiled, or grim, or any of the things I am usually called.“

Sein Roman The Postman Always Rings Twice (erschienen 1934), der vom Mord eines Liebespaares am Ehemann der Frau erzählt, brachte es bis heute auf fünf Verfilmungen – ein untrügliches Zeichen, dass Cain in der Lage war, grundlegende, zeitlose Themen anzusprechen – und diese überaus spannend und psychologisch überzeugend aufzubereiten. (Zuletzt  adaptierte übrigens Christian Petzold das Werk mit Jerichow zeitgenössisch für die Leinwand.) Auch die von Casablanca-Regisseur Michael Curtiz besorgte Verfilmung seines Romans Mildred Pierce (1945) wurde zu einem Klassiker der Schwarzen Serie.

Der berühmteste Film nach einem Roman Cains ist aber zweifellos Billy Wilders Double Indemnity, in dem Fred MacMurray, Barbara Stanwyck und Edward G. Robinson die Hauptrollen spielten. (Am Drehbuch schrieb übrigens kein Geringerer als Raymond Chandler mit.) Die Story geht von einer simplen Prämisse aus: Versicherungsvertreter Walter Neff verliebt sich in Phyllis, die Frau eines Klienten. Gemeinsam wollen sie Phyllis’ Ehemann ermorden und die Lebensversicherung abkassieren – doch nichts ist so, wie es scheint. In Neff keimt bald der Verdacht auf, von Phyllis nur benutzt worden zu sein, und schnell findet er sich in einer ausweglosen Situation wieder.

Im Rahmen der Wiener Festwochen feiert nun mit Instinct die in Holland bereits frenetisch bejubelte Bühnenversion des Stoffs ihre Premiere im deutschsprachigen Raum. Dass das Stück im Vergleich mit der scheinbar übermächtigen Filmversion bestehen kann, ist nicht zuletzt das Verdienst des Regisseurs Johan Simons, der mit seinen Roman- und Filmadaptionen ein eigenes Genre begründet hat. 2005 etwa brachte er Krzysztof Kieslowskis Dekalog auf die Bühne, 2008 war in Wien unter seiner Regie eine Bühnenversion des Joseph-Roth- Romans Hiob zu sehen.

Die Dramatisierung von Double Indemnity (Adaption: Koen Tachelet und Jeroen Versteele) ist dabei inhaltlich eher dem Roman, auf der Bildebene dagegen stark der Filmversion verpflichtet. Wie die Titeländerung bereits zum Ausdruck bringt, geht es Simons und seinem Team um die Geschichte von Getriebenen, die sich immer tiefer ins eigene Netz verstricken und bis zum bitteren Ende verzweifelt darin strampeln. Simons geht dabei nicht den Weg vieler Theaterregisseure, die versuchen, mittels Projektionen Film zu imitieren. Auf der wunderbar reduzierten Bühne entsteht ganz ohne technische Spielereien ein Film Noir fürs Theater. Dabei verliert sich Instinct jedoch nicht in plakativer Düsternis: von grandioser Musik der Dreißiger und Vierziger Jahre – darunter die Andrews Sisters – begleitet, kann man beinahe schon von Musiktheater sprechen. Simons nutzt die Möglichkeiten der Bühne, indem er auf den Livemoment und flexible Blickpunkte setzt: Was zu sehen ist, liegt am Zuschauer. Das Publikum kann zwischen insgesamt drei Schauplätzen wechseln – Versicherungsbüro, Krankenhausbett, Sofa. Die verschiedenen Blickwinkel der Protagonisten, die jeweils nur einen Teil der Wahrheit kennen, sowie die Zeitsprünge der Handlungsebene gestaltet Simons durch „filmische“ Tableaus überaus plastisch nachvollziehbar. Die Schauspieler laufen dabei zur Höchstform auf: Pierre Bokma ist grandios als Walter Neff, arbeitet die Nuancen anfänglicher Leidenschaft und zunehmender Verzweiflung subtil heraus; Wim Opbrouck als Neffs Kollege und Elsie de Brauw als Phyllis stehen ihm dabei in nichts nach. Das Ende des Stücks, das hier nicht verraten sei, weicht bewusst von Roman und Film ab, gestaltet sich, als bitterer Kommentar auf die Arbeitswelt der Gegenwart, noch pessimistischer. Instinct sei „ein verdammt wichtiges und intellektuell herausforderndes Stück“, wie die niederländische Zeitung De Standaard in ihrer Besprechung befand, VRT Nieuwsnet ortete „starkes Theater und eine schöne Ehrung des Film Noir“.

Dem lässt sich nichts hinzufügen. Von den rund drei Stunden, die dieser Theaterabend dauert, ist keine Minute zu lang.