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Che – Chronik eines angekündigten Todes

Chronik eines angekündigten Todes

| Jörg Schiffauer |

Steven Soderbergh setzt sich in „Che“ auf unkonventionelle Weise mit der Biografie Ernesto Guevaras auseinander.

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Filmemacher unterschiedlichster Provenienz hatten schon immer eine Affinität dafür, sich mit historischen und populärkulturell bekannten Figuren, insbesondere mit denjenigen, die man in der englischen Sprache so gern mit dem Attribut larger than life versieht, auseinanderzusetzen. Gandhi, Richard Nixon, Alexander der Große, Howard Hughes, Nelson Mandela, Johnny Cash und Bob Dylan, um nur einige Beispiele zu nennen, wurden schon in den Mittelpunkt filmischer Biografien gerückt. Dass Biopics aller Art weiterhin hoch im Kurs stehen, zeigt sich unter anderem durch die demnächst anlaufende Verfilmung der Lebensgeschichte des legendären Gangsters Jacques Mesrine. Steven Soderbergh, einer der profiliertesten Filmautoren Hollywoods hat sich, diesem Trend folgend, an die Biografie von Ernesto „Che“ Guevara gewagt und eine Arbeit mit ambivalenten Resultaten abgeliefert. Was angesichts einer Persönlichkeit mit einer derart komplexen Lebensgeschichte wohl auch nicht anders erwartet werden durfte, zählt doch Comandante Che, der in Argentinien geborene Arzt und Revolutionär, Kampfgefährte Fidel Castros und einer der führenden Köpfe der kubanischen Revolution, zu den weltweit bekanntesten Figuren der Zeitgeschichte, bei der die Abgrenzungen zwischen historischen Fakten, politischem Idol und popkultureller Ikone zusehends zu verschwimmen begannen und von dem entstandenen Mythos überlagert werden.

Revolutionstagebücher

Dass das Unterfangen, die Geschichte Che Guevaras für die Leinwand zu adaptieren, nicht ganz reibungslos verlaufen ist, zeigt schon die langwierige Entstehungsgeschichte des Films. Benicio del Toro und die Produzentin Laura Bickford hatten sich die Rechte an Jon Lee Andersons 1997 erschienener Biografie Che Guevara: A Revolutionary Life gesichert und nach einem jahrelangen Ringen um Finanzierung und geeignete Drehbücher (der als Regisseur im Gespräch befindliche Terrence Malick war zwischenzeitlich abgesprungen) einigte man sich schließlich mit Steven Soderbergh, der jedoch dem Projekt eine neue, von seinen Vorstellungen geprägte Richtung gab: Soderbergh entschied sich dafür, sich dem Leben Che Guevaras mit zwei Filmen anzunähern, wobei Teil eins, Che – Revolucion sich mit der Revolution auf Kuba auseinandersetzt, während Che – Guerilla Guevaras Untergrundkampf in Bolivien bis zu seinem Tod 1967 in den Mittelpunkt rückt. Soderbergh stützt sich dabei auf die von Che Guevara verfassten Erinnerungen, Kubanisches Tagebuch und Bolivianisches Tagebuch, und diese persönliche Sichtweise prägt auch die filmische Form nachhaltig.

Che – Revolucion konzentriert sich vornehmlich auf Ches Rolle im Zug der kubanischen Revolution, die im Jänner 1959 mit der Flucht des Diktators Batista und dem Sieg der von Fidel Castro befehligten Truppen endete. Soderbergh zeigt den drei Jahre dauernden Guerillakrieg als eine Reihe von streckenweise fast spröde in Szene gesetzten Impressionen, bestehend aus langen Märschen durch den Dschungel, immer wiederkehrenden, alltäglichen Verrichtungen beim Campieren in der Wildnis, militärischer Ausbildung und einigen wenigen Gefechtssequenzen, die betont unspektakulär gehalten werden. Der Politiker und revolutionäre Marxist Che Guevara bleibt dabei weitgehend – sieht man von jenen, immer wieder dazwischen geschnittenen, semidokumentarisch gehaltenen Sequenzen, die seine Rede vor den Vereinten Nationen in New York 1964 zeigen, ab – ausgespart.­­ Soderbergh konzentriert sich darauf, die Persönlichkeit Ches über dessen Agieren im Revolutionsalltag zu erschließen. Was angesichts eines Menschen, der den bewaffneten Kampf zu einem zentralen Teil seines Lebens erhob, als durchaus plausibler Lösungsansatz erscheinen mag. Dass Soderbergh dafür teilweise nur sattsam bekannte, eindimensionale Bilder (Che und Fidel im Kampfanzug, dicke Zigarren paffend) findet oder Klischees überstrapaziert (etwa Che, der Volksbildner, der penibel darauf achtet, dass seine nur mangelhaft gebildeten Mitstreiter auch in Kampfpausen ihre Rechenaufgaben machen), muss sich seine Inszenierung ankreiden lassen. Che – Revolucion erweckt auf den ersten Blick dann auch den Eindruck einer Hagiografie, die streckenweise der Mythenbildung um die Person Ches – der sogar von Wolf Biermann in einem seiner Lieder zum „Christus mit der Knarre“ verklärt wurde – weiterhin Vorschub leistet. Soderbergh gelingt es jedoch auch, die Faszination, die von dem charismatischen Kämpfer für soziale Veränderungen zweifellos ausging, deutlich zu machen, deutet jedoch ebenfalls bereits an, woran der in manchen Fragen unbeirrbare Dogmatiker letztendlich scheitern sollte.

Für sich allein betrachtet, würde Che – Revolucion dennoch eine unvollständige Sache bleiben, die streckenweise über Revolutionsromantik nicht hinauszukommen droht. Doch Soderberghs Konzept wird erst im Zusammenhang mit Che – Guerilla deutlich. Der zweite Teil behandelt nahezu ausschließlich Ches Versuch, die Revolution kubanischen Musters nach Bolivien zu tragen. Nachdem er von allen Parteiämtern und Funktionen in Kuba zurückgetreten war, reiste Che Ende 1966 unter falschem Namen heimlich in Bolivien ein, um mit einigen anderen Revolutionsgefährten eine Befreiungsarmee aufzubauen. Soderbergh zeigt dieses Unterfangen mit einer strikt linearen, chronologisch ablaufenden Erzählweise, die zu einer Chronik eines vorhersehbaren Scheiterns mit all seinen bitteren Konsequenzen gerät. Denn alle Muster, die im Verlauf der kubanischen Revolution noch erfolgreich waren, ließen sich nicht einfach eins zu eins auf andere Länder übertragen – was Che, der zuvor mit seinem Revolutionsexport bereits im Kongo kläglich Schiffbruch erlitten hatte, eigentlich bewusst sein hätte müssen, blieben er und seine Mitkämpfer auch in Bolivien von Anfang an isoliert. Die arme Landbevölkerung, Zielgruppe Ches, blieb gegenüber den ausländischen Revolutionären stets misstrauisch, auch die lokale Kommu-nistische Partei versagte seiner Truppe die Unterstützung des bewaffneten Kampfes. Es sind wieder Impressionen aus dem fast ein Jahr lang dauernden bolivianischen Abenteuer, doch von Revolutionsromantik bleibt bei Che – Guerilla nichts mehr übrig. Die langen Märsche der auf wenige Dutzend Kämpfer beschränkten Truppe, die sich nur mehr in der Defensive befindet, durch die karge Landschaft Boliviens werden zu einem immer wiederkehrenden Bild für die Sinnlosigkeit eines Unternehmens, das längst zum Scheitern verurteilt ist. Soderbergh inszeniert Che – Guerilla betont unspektakulär und geradezu aufreizend trocken, um dadurch den physischen Verfall von Che und seinen Leuten als äußeres Zeichen der unausweichlichen Niederlage  beeindruckend ins Bild zu rücken. Gefangen in einer sturen Dogmatik und damit unfähig und vor allem unwillig, das Scheitern seiner Revolutionsträume einzugestehen, taumelt Che schließlich seinem Untergang entgegen. Und es ist ein unwürdiges, geradezu erbärmliches Ende, als der letzte Rest der Guerilla schließlich am 8. Oktober 1967 der bolivianischen Armee in die Hände fällt. Che wird verwundet gefangen genommen und am nächsten Tag auf Weisung des bolivianischen Präsidenten ermordet.

Wen angesichts von insgesamt 262 Filmminuten der Gedanke an ein monumentales Werk beschleicht, könnte nicht falscher liegen. Denn Steven Soderbergh hat mit Che keineswegs ein Panorama eines Lebensweges anhand aller signifikanten Stationen in Szene gesetzt. Die Aufspaltung auf zwei Teile ist auch kein Zeichen von Gigantomanie – vielmehr muss man Che als einen Film auffassen, um das Gesamtkonzept entsprechend zur Geltung kommen zu lassen. Denn Soderbergh hat anhand eines exemplarischen Aspekts, nämlich seines Lebens als Revolutionär, versucht, Aufstieg und Fall des Ernesto „Che“ Guevara zu verdeutlichen. Che – Guerilla erscheint dabei wie ein Spiegelbild der erfolgreichen kubanischen Revolution – nur mit derart negativen Vorzeichen, dass Che das bittere Ende eigentlich ahnen hätte müssen.

Die verschiedenen Welten des Steven Soderbergh

Dass Soderbergh die Lebensgeschichte Che Guevaras nicht als monumentales Panorama mit dazugehörigen Schauwerten sondern als unspektakuläre, tagebuchähnliche Chronik ins Bild rückt, wird angesichts seiner bisherigen Karriere aber keine wirkliche Überraschung sein. Seit er mit seinem Debütfilm sex, lies and videotape gleich einmal die Goldene Palme einstreifen konnte, führt Soderbergh als Filmemacher eine Art von Doppelexistenz. Mit routiniert inszenierten Kassenschlagern wie der Ocean’s-Trilogie, Out of Sight oder Erin Bro-ckovich verschafft sich Soderbergh die nötigen (finanziellen) Freiräume, um sich seine kleinen, idiosynkratischen Filmexperimente wie Full Frontal, The Limey oder Bubble leisten zu können. Und dazwischen platziert Soderbergh immer wieder Regiearbeiten, die seine ausgeprägte Handschrift tragen, aber dennoch auf den großen Kinomarkt abzielen. Das funktioniert künstlerisch wie kommerziell einmal besser (Traffic), bringt aber auch durchaus ambivalente Resultate mit sich, wie das Tarkowskij-Remake Solaris oder die Film-noir-Paraphrase The Good German. Und mit seinem soeben in den USA angelaufenen The Girlfriend Experience hat Soderbergh ein Experiment gewagt, bei dem er sich überhaupt nicht um die Regeln der Marketingexperten geschert hat – besetzte er die Hauptrolle einer Edelprostituierten doch mit der Hardcore-Actrice Sasha Grey, was im bekannt puritanischen Amerika vom kommerziellen Standpunkt von vorne weg einem Akt der Selbstvernichtung gleichkommt.

Es war also irgendwie abzusehen, dass ein von Soderbergh in Szene gesetztes Biopic kein konventionelles Porträt  werden würde. Mit seiner intendiert spröden Inszenierung, die auf szenische Redundanzen als Stilmittel setzt, hat Soderbergh seinen Film auch keineswegs leicht zugänglich (im Sinn von einfach konsumierbar) gemacht. Dass die beiden Teile auch noch mit zeitlichem Abstand gestartet werden, wird auch nicht gerade dazu beitragen, das Werk in seiner Gesamtheit – und nur so funktioniert der Film aus den bereits oben erwähnten Gründen – entsprechend würdigen zu können. Zudem hat Soderbergh den Film in der Originalfassung in spanischer Sprache gedreht und dabei, abgesehen von Benicio del Toro in der Titelrolle, fast völlig auf bekannte Namen verzichtet.

Dass der Regisseur auf politische Analysen verzichtet hat und weite Teile von Ernesto Guevaras Biografie, wie sein Scheitern als kubanischer Industrieminister oder seine Verantwortung für eine ganze Reihe von Todesurteilen in den nachrevolutionären Wirren, ausklammert, hat ihm einiges an Kritik eingetragen, doch ein solcher Panoramablick erschien Soderbergh ganz offenbar nicht geeignet, um Che einigermaßen fassbar zu machen. Seine Beschränkung auf eine Doppelsicht einer geglückten und eine gescheiterten Revolution offenbaren jedoch ziemlich eindrucksvoll das breite Spannungsfeld in dem sich das Bild Ches bis zum heutigen Tag bewegt – das reicht von der Einschätzung Regis Debrays, Mitkämpfer in Bolivien und Vordenker der Französischen Linken, der in ihm einen Heiligen ohne Gottesglauben sah, bis hin zur Ansicht, Comandante Che sei ein ineffektiver, politisch gescheiterter Taktiker gewesen. Steven Soderberghs Che bewegt sich dabei auf einem schmalen Grat zwischen Mythologisierung und Dekonstruktion, bei dem trotz des einen oder anderen kleinen Fehltritts schlussendlich doch die richtige Balance gefunden wird.