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Stilles Chaos

| Hans Christian Leitich |

Ein humanistischer Grundton, stimmige bis bittere und einige kuriose Momente sowie Hauptdarsteller Nanni Moretti tragen eine Parabel über Midlife-Krise und Manager-Defekte.

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Eigentlich sollte er längst Italiens Kulturminister sein. Inzwischen beweist Nanni Moretti erneut, dass er am überzeugendsten wirkt, wenn er Bürger mittleren Alters darstellt, die eine schwierige Krise zu überwinden haben, sich um ein Kind zu kümmern haben – und dabei Fassade zu bewahren. Universitätsdozent war er in La seconda volta, Psychotherapeut in La stanza del figlio, und nun ist er Top-Manager eines Pay-TV-Senders, der nach dem plötzlichen Tod seiner Frau – charakterlich unfähig, Trauer zuzulassen – in eine Ritualisierung seines Alltags flüchtet, in eine Obsession für Listen und repetitive Tätigkeiten. Seine kleine Tochter muss er zur Schule bringen und abholen, die Zeit dazwischen verbringt er im Park und Café vis-à-vis, wo man in ihm bald einen etwas sonderlichen Weisen sieht. Dabei bleibt er strikt bei kleinen Gesten, der ebenfalls kriselnden Schwägerin kann er keine Hilfe bieten.

Dieses Aussteigertum kann durchgehen, weil sich seine Firma in einer Stillhaltephase vor einer Übernahme befindet, aber irgendwann drängt die Frage, ob und wie eine Rückkehr ins aktive Leben möglich ist. Der einzige, der in diese Isolation vordringen kann, ist sein Bruder: Alessandro Gassmann beeindruckt als echter Schlawiner. Gemeinsam retten sie eine Frau vor dem Ertrinken – und diese erhält eine symbolhafte Rolle beim Porträt von Managern, die (à la Silvio B.), eitel und kontrollfixiert, in Frauen kaum mehr als einen dekorativen Aufputz zu sehen vermögen.

Caos calmo, vom TV-Routinier Antonello Grimaldi auf Basis eines prämierten Bestsellers zurückhaltend inszeniert, ist nicht ohne Bezüge zu Italiens Medienszene. Die Pay-TV-Firmengeschichte erinnert an jene der italienischen CanalPlus-Tochter Tele+, die 2003 an Rupert Murdochs News Corp verkauft wurde. Dabei fällt es dem langjährigen Moretti-Vertrauten Silvio Orlando zu, als Personalchef eine an der katholischen Dreifaltigkeit orientierte Managementtheorie zu propagieren, wonach dem Junior-Chef unter dem einsamen Gottvater die eigentliche Gestalterrolle zufiele und auch ein Heiliger Geist zu besetzen wäre. Vielsagend wirkt dabei, dass anlässlich der Premiere ein mittlerer Skandal konstruiert wurde – bezüglich einer expliziten Sexszene, einer Art kathartischer Traumsequenz. Skurril wirkt, wie Caos calmo Medienmanagement auf diskrete Begegnungen mit Top-Stars in Kurzrollen reduziert: mit Hippolyte Girardot, Denis Podalydès, Charles Berling und schließlich, ganz ikonisch, mit Roman Polanski.