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Thomas Ruff – Vom Abbild zum Bild

Vom Abbild zum Bild

| Tina Glaser |

In der aktuellen Ausstellung Oberflächen, Tiefen“ der Kunsthalle Wien sieht man die spannenden Ergebnisse des skeptischen Fotografen Thomas Ruff zur Erforschung des Sichtbaren in der Fotografie.

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Bei dem Bild Cassini 14 2009 aus der neuen Serie Cassini von Thomas Ruff denkt man zunächst nicht unmittelbar an eine Fotografie. Eher sucht man sich in den Formen, die weder so recht flächig noch räumlich sein wollen, zurecht zu finden. Ursprünglich stammt das Bild von der NASA/ESA-Sonde Cassini-Huygens, die Aufnahmen des Planeten Saturn, seiner Ringe und Monde zur Erde schickte. Die Fotografie, ihr dokumentarischer Charakter, wird von der Forschung als Hilfsmittel benutzt, um die Realität festzuhalten, sie messbar zu machen – das Foto als Tatsache (man denke auch an Tatort-Fotos bei polizeilichen Ermittlungen). Thomas Ruffs Arbeit zeigt nun einen Ausschnitt eines Saturnrings und auch wieder nicht. Diese wie andere Aufnahmen der Cassini-Serie wurden von ihm digital bearbeitet.

Der deutsche Fotograf interessiert sich seit seiner Kindheit für den Weltraum. Angesichts des Weltraums wird uns klar, wie begrenzt unsere Vorstellungswelt ist, wie zweifelhaft unser Glaube an die Messbarkeit der Dinge. Ein Blick in den Sternenhimmel genügt. Die Ringe des Saturn sind in kosmischen Maßstäben gesehen so dünn wie eine Rasierklinge, in Cassini 14 2009 sind sie flächig wie die Spur eines breiten Pinsels. Die Fotografie als Aufzeichnungsorgan, als Apparat der Wirklichkeit – eben das ist sie nicht, so Ruff, denn „die Wirklichkeit vor der Kamera ist die Wirklichkeit ersten Grades, die Abbildung der Wirklichkeit vor der Kamera ist die Wirklichkeit zweiten Grades, danach gibt es noch alle möglichen Abstufungen und Verfälschungen.“

Fotografie als belichtetes Papier

Thomas Ruff, der in den Siebziger Jahren bei dem berühmten Fotografenehepaar Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Akademie studierte, begann zunächst Innenräume seiner nächsten Umgebung zu fotografieren – allerdings, einer der Unterschiede zwischen ihm und den Bechers, in Farbe. Die Serie Interieurs zeichnet sich durch kompositorische Klarheit und eine merkwürdige Stille aus. Zwar sind es bewohnte Räume, doch findet man wenig Hinweis auf Privatheit. Zugunsten der Komposition werden kleinere Änderungen durchgeführt, Gegenstände so platziert oder verrückt, dass der Blick an Oberflächen hängen bleibt, statt in die räumliche Tiefe zu wandern. Währendessen beginnt er mit einer anderen Serie, die trotz unterschiedlichen Inhalts das Interesse an Oberfläche weiter forciert: die Porträts. Von 1980 bis 1991 fotografierte er seine Freunde und Bekannten. Er experimentierte mit Hintergrundfarbe und der Größe. Zunächst noch in kleinerem Format, waren die Porträts bald von beachtlicher Größe und die Modelle mit ernstem Gesichtsausdruck allesamt streng frontal positioniert. Wie in den Interieurs geht es hier nicht so sehr um einen Einblick in etwas sondern einen Anblick von etwas. Haltung und Ausdruck der Porträtierten verweigern eine Bildhandlung, die extrem vergrößerten Texturen von Haut und Haaren verschließen sich zu einer Oberfläche. Die Fotografie wird als das gezeigt, was sie laut Ruff ist – eine Fläche, „belichtetes Papier“.

In der zwischen 1987 und 1991 entstandenen Werkgruppe Häuser findet man Anknüpfung wie Abweichung zu Bernd und Hilla Becher. Im Unterschied zu den Lehrern, die vorwiegend zum Abriss stehende Industriebauten dokumentieren, geht Ruff eher pragmatisch denn systematisch vor. Es sind die Häuser in der Umgebung, die er fotografiert. Wie schon bei den Interieurs sind auch hier kleine Retuschen nötig, ein Straßenschild wird entfernt, ein Fenster geschlossen, um den oberflächigen Charakter nicht zu zerstören. Diese Manipulationen werden jedoch sparsam eingesetzt. „Ich ging nach der Devise vor: so wenig Retusche wie möglich, so viel wie nötig.“ Schwarzweiße Fotografien will Ruff nicht machen. „Wir sehen in Farbe und nicht in Schwarzweiß.“ Immer geht es ihm darum zu zeigen, dass die Fotografie nicht über das äußerlich Sichtbare hinausgehen kann.

Vernachlässigen der Autorenschaft

Durch die Häuser-Serie werden die Basler Architekten Herzog & de Meuron, ähnlich im konzeptuellen Ansatz, auf Ruff aufmerksam. Er soll das von ihnen geplante Lagerhaus der Firma Ricola in Laufen für die 1991 stattfindende Architektur-Biennale in Venedig fotografieren. Ruff machte das Foto nicht selbst, sondern ließ das Gebäude nach seinen Angaben fotografieren und setzte die Aufnahmen dann digital zu einem Bild zusammen. Das Moment der Entsubjektivierung verbindet Ruff wieder mit den Bechers. In der Serie Sterne treibt er den Entschluss, nicht von „eigener Hand“ zu fotografieren, so weit, dass er auf Negative eines Archivs des European Southern Observatory (ESO) zurückgreift. Selbst die Titel, wie „15h 00m/–50°“, entsprechen den astronomischen Koordinaten der ESO-Negative. Trotzdem geht es Ruff nicht um eine kategorische Verweigerung der Autorenschaft. Immer bleibt er erfrischend experimentierfreudig in Themen wie Techniken. Mitunter verwendet er auch historische Verfahren, wie die Stereofotografie, der er ebenfalls eine Serie widmet.

In der Zeitungsfotos-Serie (1990–91) wählt er, diesmal aus eigenem Archiv (2.500 Zeitungsausschnitte aus der deutschen Presse), 400 Fotos aus. Alle werden um 100 Prozent vergrößert und verlieren ihre Bildunterschrift. Die nun verwaisten, weil ohne Kontext stehenden Fotografien sollen zeigen, was (ohne Text) in sie eingeschrieben ist. „Mich hat immer die Bildersprache, der Informationsgehalt eines Bildes interessiert – unabhängig von dem Kontext, in dem das Bild erscheint.“

1992 machte Ruff, zunächst in Düsseldorf, eine Reihe grünlicher Bilder, die unter Verwendung einer speziellen Technik entstehen. Die für militärische Zwecke entwickelte Technologie eines Restlichtverstärkers wurde in der Kriegsberichterstattung im ersten Golfkrieg verwendet. Mit dessen Hilfe konnte man das Geschehen bei Nacht sehen. Durch diese Nachtsichttechnik werden Hinterhöfe, Straßen, Parkplätze in Ruffs Nacht-Serie zu Orten latenter Bedrohung. Wieder werden wir mit Bildern konfrontiert, die wir schon im Kopf haben. „Viele Leute gucken durch die Fotos hindurch auf das, was sie erkennen wollen. Die sehen überhaupt nicht, dass das ein fotografisches Bild ist.“ Denn letztlich, so Ruffs Auffassung, nimmt die Kamera Realität nicht auf, sondern projiziert. Sie überdeckt das, was sie abbildet, erzeugt Unschärfe, wie auf den Pornobildern der Serie Nudes (1999), in der Ruff, diesmal aus dem Internet, vorhandene Bilder nahm und sie digital bearbeitete. Er macht aus einem bereits vorhandenen Bild ein weiteres, anderes Bild.

Gerade dadurch gewinnen Ruffs Bilder an Eigenständigkeit, sind nicht mehr bloße Abbilder, sondern Bilder. Er denkt mit den Mitteln der Fotografie über die Möglichkeiten und Begrenztheiten der Fotografie nach und setzt seine Arbeit dem ewigen Vorwurf entgegen, die Fotografie könne nur dokumentieren. „Ich gehe davon aus, dass die Fotografie nur die Oberfläche der Dinge abbilden kann.“ Oberfläche – der wunde Punkt der Fotografie. Ruff affirmiert ihre Oberflächlichkeit und gewinnt dadurch auf einer anderen Ebene, woran sie scheinbar Mangel leidet: Tiefe.

 

Thomas Ruff, Jahrgang 1958, studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie neben Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte und Thomas Struth als Schüler von Bernd und Hilla Becher. Dem vielseitigen und kritischen Fotografen widmet die Kunsthalle Wien nun erstmals in Österreich eine Ausstellung, die elf Werkgruppen (rund 150 Werke) umfasst. Dabei sind sowohl Werke der Serie Porträts, mit denen Ruff in den Achtziger Jahren berühmt wurde, als auch Bilder aus den neuesten Serien Cassini und Zycles zu sehen. Die Ausstellung ist noch bis 13. September in der Halle 1 der Kunsthalle Wien zu sehen.

Die Zitate stammen aus einem Interview von Gerald Matt mit Thomas Ruff, abgedruckt im Katalog der Ausstellung sowie aus: Thomas Ruff, Fotografien 1979 bis heute. Verlag Walther König, Köln 2001.