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Film und Bühne

Film und Bühne

So ein Theater mit dem Film!

| Erna Cuesta |

Das Kino und die Bühne pflegen eine lang anhaltende Wechselbeziehung, die von Konkurrenz, aber auch gegenseitiger Befruchtung und Inspiration geprägt ist.

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Was ist los im Staate Österreich? Als hätte Shakes-peare diese Frage für die wichtigste kulturelle Nebensache der Welt erdacht, fokussiert sich alle Jahre wieder heißes Rätselraten auf den sommerlichen Salzburger Domplatz. Wer wird das zumeist Blonde Gift verkörpern, das dem reichen Jedermann bei Spiel und  Sterben zusieht? Diesem nicht zur Seite steht, aber regelmäßig die Show stiehlt? Zumindest medial mit ihrem „Kurzauftritt“ mehr Aufsehen erregt als das ganze Hofmannsthal’sche Stück? Wer wird sie also diesmal verkörpern, die Buhlschaft, jene seltsame Rolle, die in jeder Hinsicht Eitelkeiten und Befindlichkeiten befriedigt? Die Antwort heuer lautet: Birgit Minichmayr. In der Vergangenheit schillerten Christiane Hörbiger, Judith Holzmeister, Senta Berger, Elisabeth Trissenaar.

Theatergrößen. Seit einigen Jahren fischt man für die Auswahl von Jedermanns Frau in anderen Gewässern, greift nach Film-Stars und -Sternchen. Da waren dann plötzlich Veronica Ferres, Nina Hoss, Marie Bäumer, Sophie von Kessel die Zugpferde. Marketingtechnisch eine sichere Bank, denn mit der Film- und Fernsehbesetzung zeigt man sich künstlerisch innovativ, will dem traditionellen Werk einen frischen Wind verpassen. (Als angenehme Begleiterscheinung schmückt die Buhlschaft jede Aktricen-Biografie.) Da kommt es dann gar nicht mehr so sehr auf die schauspielerische Leistung an, oder darauf, ob die Damen mit dem Jedermann sozialisiert wurden oder sonst einen Bezug mit der theatralischen Muttermilch aufgesogen haben. Und für den ultimativen Kick kann dann schon einmal der Tod mit Frau Tatort-Kommissarin Ulrike Folkert oder der Teufel mit Ben Becker, bekannt aus Funk und Fernsehen, besetzt werden.

Warum das ganze Theater? Bedingt durch das Zeitalter der Globalisierung, in dem jeder alles kann und macht, sind die Grenzen, das Gemeinsame oder Trennende von Film und Theater in Auflösung begriffen. Oder wird in der Verzweiflung  bloß nach Glanz in einem anderen Genre gesucht? Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass ein Schauspieler von heute auf die Strahlkraft (und das Geld) der Filmbranche verzichten will und kann. Auch ist der Ruhm auf Zelluloid der schnellere, die Sporen auf den Bühnenbrettern sind da schon mühsamer verdient. Im Umkehrschwung allerdings lässt kein gefeierter Film- und Fernsehstar die Gelegenheit aus, auf seine glorreiche Theatervergangenheit, seine ewigliche Treue zur Königsdisziplin oder auf Herzensprojekte in den großen Häusern hinzuweisen. Genres also, die einander bedingen.

Von der Leinwand auf die Bühne – und umgekehrt

Das große Raunen und Staunen ging durch die Kulturlandschaft, als Dogma-Guru Lars von Trier im Jahr 2003 seinen Kultfilm Dogville vorlegte. Da hat der Film die ausgereiftesten Techniken, die spektakulärsten Bildwelten – und dann diese Form von Reduktion, von purster Theatralik, ein Stück Text, Kammerspiel und Stille auf Großleinwand, ganz im Sinne und Stil des Brecht’schen Theaters. Wer oder was wurde da in Frage gestellt oder neu definiert? Niemand. Klassische Denkformen in unglaublicher Konsequenz zu sprengen, war wohl die Devise. Umso spannender dann die Versuche Dogville, den Film (oder doch das Theaterstück?), auf die Bühne zu bringen – mit filmischen Mitteln …  So zumindest ist es das Wiener Volkstheater angegangen. Wie aber mit den eindringlichen und ausdrucksstarken Großaufnahmen auf dem Theater und der poetischen Brutalität von Stille umgehen, die sich in das Gemüt des Kinogehers hineinarbeiten? Eine Stärke des Films, die im Parkett und den Rängen am Theater verloren geht und ein bisschen wie verzweifeltes Ringen um die Sogwirkung der Traumfabrik wirkt. Kein leichtes Unterfangen. Das Psycho-Kammerspiel gelingt weder mit großen Gesten noch mit nuancenreichem Spiel. Da ist der Film einfach eine zu große Vorgabe.

Anders ist das Experiment mit Aus dem Leben der Marionetten ausgegangen. Kein geringerer als Ingmar Bergman, der Autorenfilmer und Extravaganzmeister in Sachen Psychosen, Neurosen und sonstigem ganz normalen Wahnsinn, hat 1980 das Drehbuch geschrieben und einen seiner kommerziell schwächsten, für das Fernsehen produzierten Filme gedreht. Fasziniert vom dialoglastigen Werk über die gutbürgerlichen Gesellschaft und ihrer triebhaften Abgründe, ist die Wiener Josefstadt ans Werk gegangen. (Kleines Detail am Rande: Die Hauptrolle des erfolgreichen und beziehungsgeschädigten Mannes wurde mit dem Film-und Fernsehstar Bernhard Schir besetzt …) Gleich zu Beginn des Stücks ein Videoclip des Grauens: Licht, Musik und „Schnittbilder“, dahinter zu erahnen – der Mord. Die Dramaturgie hält sich bis zum bitteren Ende an eine Sequenzenkette aus einem Filmriss nach dem anderen. Keine Auf- und Abgänge, kein theatralisches Eintauchen in das Drama, keine kunstvolle Entwicklung von Figuren. Die Form bestimmt das Ambiente, die Dialoge rollen die Geschichte auf. Und siehe da: Es funktioniert, auch wenn man sich im Laufe des Abends fragt, warum man eigentlich für einen Film ins Theater gegangen ist. Ein Kunststück? Vielleicht. Plötzlich entfachen auch die Darsteller eine andere Intensität, zerlegen ein Stück in eine Vielfalt von kleinen Szenen, die, in sich geschlossen, sich selbst genügen, aber auch im Ganzen aufgehen. Fragt man dann jene Künstler, die am Set ebenso zu Hause sind wie in den Kulissen, wo denn der gedankliche Unterschied liegt, heißt es: in der Zeit, der Ehrlichkeit und der Unmittelbarkeit.

Konkurrenzkampf mit Minderwertigkeitskomplex

Aus der Affäre ziehen sich da „Multitasking“-Künstler à la Falk Richter: Der Deutsche ist hauptberuflich Regisseur, schreibt sich nebenberuflich aber auch manchen Theatertext gleich selbst und kramt, was die Umsetzung betrifft, gehörig in der Filmtrickkiste. Videoästhetik vom Feinsten (die Computerspielindustrie sollte vor Neid erblassen), ein Soundteppich in Hollywood-Reinkultur, das gab es beispielsweise am Wiener Burgtheater mit Shakespeares Julius Cäsar – ein Politthriller, der von den ehrwürdigen, anno dazumal ausschließlich an Schauspielkunst interessierten Inszenierungen aus dem Hause Peter Stein meilenweit entfernt ist. Der mediale Widerhall ist ihm dennoch sicher – und der Effekt beim Publikum auch. Andere Zeiten, andere Sitten. Mit den Mitteln der Jetzt-Zeit arbeiten viele der jüngeren Köpfe, gesprochen wird in Bildern. Immer wieder tönt der Ruf nach der Entvisualisierung, nach dem Kampf gegen die Sinnes-Überfrachtung und das Diktat der technischen Effekte. Aber auf der Suche nach Neuem und Besserem katapultiert sich die Filmindustrie in Schwindel erregende Höhen, zu denen das Theater nur schwer aufsteigen kann … Im vermeintlichen Konkurrenzkampf mit einem Minderwertigkeitskomplex behaftet, hinkt es oft hinterher und droht am Vergessen der eigenen Stärken zu scheitern. Theater ist und bleibt wahrhaftig, Film ist und bleibt eine der genialsten „Lügen“ … Licht, Farbe, Bildkomposition können einem Film das gewisse Etwas verleihen und ihn tragen, über menschliche Darstellungsschwächen hinwegtäuschen. Das Theater ist auf seine Schauspieler angewiesen – mit ihnen steht und fällt oft ein ganzes Konzept, und mag es noch so originell sein. Mit ihnen sind aber auch Sternstunden möglich, ungeachtet des inszenatorischen Umfeldes.

Die Kunstform Theater auf die Spitze getrieben und dabei das Genre Film ausgereizt hat Extremdenker Charlie Kaufman in seinem jüngsten Opus Synecdoche, New York. Eigentlich ein Stück im Stück und Film im Film – oder doch ein Film-Stück oder ein Stück Film? Die Verwirrung ist grenzenlos aber genial. Hauptdarsteller, Theaterregisseur und Hollywood Outcast-Star Philip Seymour Hoffman, „ein Workaholic in Haupt- und Nebenrollen, ein Theatertier“, so die Süddeutsche Zeitung, spricht als Inhaltsangabe von einem unmöglichen, utopischen Werk. Er spielt darin einen Regisseur, der in einer Halle ganz New York nachbauen lässt und über 20 Jahre ein Theaterstück probt, das zeitversetzt eins zu eins der Spiegel seines Lebens ist – und daher weder ein Ende noch eine Aufführung erlebt. Die Dramaturgie gibt der Alltag vor, der Alltag wird von der Dramaturgie bestimmt. Und das Ganze aus Liebe zu einer Frau und aus Angst vor dem Tod! Eine Film- und Handlungsebene überschneidet die andere; mit theatralischer Glaubwürdigkeit gepaart, vereint Synecdoche, New York zwei Kunstformen inhaltlich, gedanklich und formal, lässt ihnen aber auch ihren Freiraum … Ein kleines Wunderwerk ist die Moral von der Geschichte: dass nämlich alle Kunst Leben ist und daher weder in der Phantasie noch in der Realität eine Grenze kennt! Zu guter Letzt wird die Frage spannend sein, wer sich wie an diesen Stoff heranwagt, um ihn auf die Bühne zu bringen …

Erna Cuesta, geboren 1967, studierte Politikwissenschaften in Wien und Paris, war Redakteurin bei Antenne Austria und langjährige Mitarbeiterin der ORF-Kulturredaktion. Derzeit arbeitet sie als Senior Consultant und Mediencoach bei media consult und moderiert das wöchentliche Kulturmagazin „Highlights“ auf ATV.