Animationsfilm – Abheben

Abheben

| Alexandra Seitz |

„Spirited Away. Die phantastischen Welten des Hayao Miyazaki“ heißt eine Retrospektive der universellen Wunderwerke des Anime-Humanisten. Vom 17. bis 24. September im Filmcasino Wien.

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Die Überraschung war groß, als im Jahr 2002 der Goldene Berlinale-Bär ex aequo vergeben wurde: Miyazaki Hayaos Anime Chihiros Reise ins Zauberland (im folgenden Jahr dann noch mit dem Oscar ausgezeichnet) teilte sich die hohe Ehre mit Paul Greengrass’ Dokudrama Bloody Sunday. Mit der umstrittenen Entscheidung wurden zwei konträre, je meisterlich umgesetzte Erzählformen unter einem Auszeichnungs-Hut zusammengefasst: dokumentarischer Realismus und phantastisches Fabulieren. Doch die krasse Kombination filmästhetischer Gegensätze meinte keineswegs auch die Opposition von Gewalt und Chaos versus Spiritualität und Ethik, oder die von gesellschaftlicher versus individueller Entwicklung. Miyazakis filmische Universen sind artifiziell und erlauben Vorkommnisse, denen jenseits der Leinwand die Gesetze der Physik und die fortschreitende Säkularisierung der Welt entgegenstehen, doch auch sie erzählen – wie der durch den Bären mit ihm verknüpfte Bloody Sunday, der den fürchterlichen Moment gestaltet, in dem eine Zivilgesellschaft ins Terroristische kippt – vom Verhältnis von Katastrophe und Paradies, von der dünnen Grenze und vom labilen Gleichgewicht, von inhärenten Widersprüchen und ausweglosen Manövern.

Zugleich sind sie Wunderwerke, die jeden, der sie sieht, egal wie alt er ist, mit der Kraft ihrer Ideen und der Gewalt ihrer Schönheit glücklich machen. Und vom 17. bis 24. September kann man sie im Rahmen einer längst überfälligen Retrospektive, die das Wiener Filmcasino dem unbestrittenen Anime-Großmeister widmet, endlich einmal alle zusammen auf der Leinwand sehen. Von Miyzakis Erstlingswerk (Lupin iii: Das Schloss des Cagliostro, die turbulente Geschichte eines tollkühnen Meisterdiebes) über seinen Lieblingsfilm (Porco Rosso, die sanft-melancholische Annäherung an einen Flieger mit Schweinegesicht) bis zu seinem neuesten Kunststück (Ponyo, eine Variation auf Hans Christian Andersens Märchen Die kleine Meerjungfrau).

Und natürlich darf sich auch Totoro endlich großformatig schütteln, die Titelfigur von Mein Nachbar Totoro, das Wappentier von Studio Ghibli, das auf der ganzen Welt verehrte und geliebte Freiheitswuschelwesen der Phantasie. Menschen eher nüchternen Naturells sehen in Totoro eine kindliche Kompensationsphantasie, die zwei kleinen Mädchen durch eine schwierige Zeit der Umbrüche hilft. Jenen mit etwas mehr Einbildungskraft allerdings wird ein großer Baum danach nie wieder wie einfach nur ein großer Baum erscheinen. Er könnte auch die Wohnstätte eines wundersamen Riesenpelzviechs sein, das des Nachts auf den Ästen sitzt und Flöte spielt.

Daraus, dass immer wieder Kinder die Helden der Filme Miyazakis sind, sollte man nicht schließen, dass diese sich auch ausschließlich an Kinder richten. Es ist nur so, dass Miyazaki Hayao die Rettung der Welt in die Hände der Kinder legt. Weil die Welt in den Händen der Kinder jener wunderbare Ort bleiben kann, der sie ist. Bevölkert von Göttern, Dämonen und Geistern, Hexen, Zauberern und magischen Wesen und im Einklang mit den Energien des Kosmos.