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Der Weg nach Mekka – Islam mit menschlichem Antlitz

Islam mit menschlichem Antlitz

| Gunnar Landsgesell |

Ein jüdischer Wiener wurde in den Zwanziger Jahren zum Muslim. Er bereiste den Orient und übersetzte den Koran neu. Der Weg nach Mekka wägt das Erbe von Muhammad Asad für die Gegenwart ab.

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Auf manchen Fotos sieht er beinahe aus wie der weiße Malcolm X: kantige Gesichtszüge, Oberlippen- und Kinnbart, stechender Blick. Die Pilgerfahrt nach Mekka erlebte auch er als Ritus einer unerhörten Völkerverständigung, ohne Rücksicht auf Hautfarbe und Nation. Auch wenn in Der Weg nach Mekka vom späten Malcolm X und seinem toleranten Islamverständnis als Schlüssel für friedliche Koexistenz keine Rede ist, ist der Angelpunkt des Porträts von Muhammad Asad ebenso die Frage nach den Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens. Der Jude aus Wien, geboren als Leopold Weiß, war als Zeitungsreporter in den Zwanziger Jahren in den arabischen Raum gereist und dort – fasziniert von ursprünglichen Gesellschaften und wohl auch eigenen Orient-Projektionen – bald schon zum Islam übergetreten. Der Witz an der Geschichte: Weiß’ Verständnis kultureller und religiöser Fragen war geprägt von europäischen Werten wie Liberalismus, die er an den Stationen seiner langen Reise freizügig – selbst als Freund des saudischen Königs– ausgetauscht hatte. In den letzten 17 Jahren seines Lebens goss er seine Auslegung des Islam sogar in eine eigene Koran-Übersetzung.

Aus dieser Überschreitung der Kulturen erhält das Roadmovie von Georg Misch und seinem kleinen Team letztlich auch Gesicht und Form. Was eine weitere historisierende „Spurensuche“ im globalen Filmschaffen werden hätte können, ist ein zeitlich unbeschwert driftender, bunter Diskussionsentwurf über die Möglichkeiten und vergebenen Chancen muslimischer Lebensrealitäten geworden. Viele der Zeichen, mit denen Misch in seinem Film arbeitet, werden dabei nicht allein als Erinnerung, als Reminiszenz positioniert, sondern als Wegmarken, die örtlich, ideell, dramaturgisch ein Leitsystem heutiger Asad-Rezeption bilden. Ein historischer Salonwagen, der, wie Misch erzählt, extra an einen Zug in Saudi Arabien gehängt wurde, beschwört nicht die Zeit von damals, sondern wird zur Kulisse einer erstaunlich kritischen Politreflexion zweier Publizisten. Die Fotos aus den Familienalben, auf denen Muhammad Asad periodisch zu sehen ist: Sie drücken nicht Vergänglichkeit aus, sondern nehmen Lebensstationen immer wieder als Ausgangspunkt für die Abgleichung damaliger Aspirationen mit den Realitäten von heute.

Mit Palästina, Saudi Arabien, Pakistan oder Tunesien war Asad ironischerweise an Orten aktiv, die heute nicht gerade für ein Übermaß an Demokratie und gesellschaftlichem Liberalismus bekannt sind. Die Bilder aus Der Weg nach Mekka legen nahe, dass seit der Fundamentalisierung des Islam Ende der Siebziger Jahre die Bewegungs- und Diskursräume von damals verschlossen sind. In Palästina fällt inmitten von Schrott ein Beduine von einem Kamel. Er ist nicht länger Beduine, weil die Grenzen zu Israel die alten Wanderrouten absperren. Er besitzt keine Kamelherde mehr und er hat das Reiten verlernt. Die Freiheit von Gedanken begrenzt der Müllplatz eines verrotteten Erbes. In Saudi Arabien spricht der langjährige ehemalige Ölminister Scheich Ahmed Zaki-Yamani trocken ein atemraubendes Urteil über das Königshaus und ihre sektiererische wahhabitische Heilslehre: Natürlich sei die Mehrheit der Muslime gegen den Gesichtsschleier, aber in diesem Land sei nur noch eine einzige Meinung erlaubt. Das müsse man ändern, Asad wäre dabei hilfreich. Was Kameramann Joerg Burger hier in einer frontalen, ganz auf die Person fokussierten Aufnahme, wie sie selten in diesem Film zu sehen ist, auf Celluloid bannt, unter einer Moscheekuppel im Reich der Gralswächter des Propheten, hat den Anschein einer Widerstandszelle, die im Verborgenen keimt. Dieses Bild hat ähnlichen Charakter wie das jener palästinensischen Pilger, die am Checkpoint zu Israel aufgehalten werden. Deren Wortführer preist Asad für dessen humanistische Islaminterpretation, um danach einen Grenzsoldaten für einen Disput vor die Kamera zu locken.

Misch konnte, wie er selbst erzählt, an all den Schauplätzen kaum jemand finden, der sich negativ über Asad äußerte. Doch hinter den Bildoberflächen, auf den Routen des Sakralen, gärt es zuweilen. Nur in den Nischen dieses Films wird deutlich, dass der Reformer Asad, trotz aller Lobgesänge auf seine Bedeutung, kaum eines seiner Ziele erreichen konnte, etwa eine offene Diskussion über Lehren und gesellschaftliche Ordnungen. So weist das Porträt Asads durch den vorgefundenen, ostentativen Konsens auch darauf hin, dass dieser vielfach um den Preis des Schweigens erzielt wurde. Das gilt auch für Wien, wo eine kleine Kommission vor der Kamera eine Straßenbenennung für Asad vornehmen möchte. Angesichts des ersten schmalen Weges wird deutlich, dass Postanschriften auf einer zukünftigen „Muhammad-Asad-Straße“ möglichst vermieden werden sollten. In Europa scheint der Konvertit der größte Außenseiter. Auch im andalusischen Granada, wo Asad zuletzt lebte und begraben ist, duldet der islamische Gemeindevorsteher sein Grab nur widerwillig. Es ragt zu sehr aus der Erde, meint er, absenken müsse man es. Nur im pakistanischen Lahore, wo überlebensgroße Porträts von Asad angefertigt werden, trifft sich eine Gruppe von „Asadianern“, darunter eine Frau, um vor der Kamera über Asads modernen Koran-Entwurf zu diskutieren, gerade was die Gleichstellung von Frauen betrifft. So bleibt der Wandler zwischen den Kulturen ein Heimatloser mit hoher symbolischer Achtung in der Fremde.

 

„Asad war der Schlüssel“

Georg Misch über den aufwändigen Dreh von Der Weg nach Mekka, ein mobiles Drehkonzept und neue Freunde.

Der Film hat Schauplätze auf der halben Welt, oftmals keine einfachen Milieus. War es schwierig, das Projekt zu organisieren?
Es war eine lange Reise, eine komplexe Recherche und ein aufwändig produzierter Film für ganze 300.000 Euro. Ich habe im Geist eines Roadmovies mit einem Miniteam gedreht, mit Kameramann Joerg Burger und Hjalti Bager-Jonathansson als Tonmeister. Wir haben in der Hitze der saudischen Wüste gedreht und bei minus 18 Grad in der Ukraine.

Wussten Sie, welche Asad-Resonanz Sie erwarten würde?
Das war schwer vorauszusagen. Das Schöne an Planungen ist, dass die Realität diese oft übertrifft. Asad hatte eine romantisch-orientalistische Assoziation dieser Beduinen, davon ist nichts über. Am Anfang der Szene steht das Zitat, Juden und Araber verstehen sich nicht.

Wie stellt man es an, in Saudi Arabien zu drehen?
Das war extrem schwierig, wir haben eineinhalb Jahre lang um eine Einreise ersucht. Zwei Wochen vor Drehbeginn erhielten wir die Zusage. Als wir dort waren, wurden wir aber begeistert unterstützt. In solchen Momenten erhält man andere Eindrücke eines Ortes, der sehr verschlossen wirkt. Wir fühlten uns wie unter Freunden. Asad war der Schlüssel dazu.

Asad ist im Film allseits anerkannt, wie das?
Das war wirklich irritierend, wie wenig kritische Stimmen es gab. Vielleicht, weil niemand bereit war, Kritik vor der Kamera zu äußern. In Pakistan und Saudi Arabien ist er überall ein Begriff, nur jüngere Generationen wissen teils nichts mehr über ihn.

Der Weg nach Mekka ist ein Film in Bewegung, Mobilität dominiert die Bilder. Konzept?
Ja. Ich versuche Talking Heads zu vermeiden. Ich suche Situationen als Begegnungen, mit einem Austausch vor der Kamera; Szenen wie auf Autopilot.

In Wien suchen in einer Szene etwas holprig Gemeindevertreter eine Straße zur Widmung für Asad – Realsatire oder zeitlicher Zufall?
Die Idee bestand in Wien schon seit Jahren, ich habe für den Film daran erinnert. Ich habe für all die schönen Szenen aus der halben Welt noch verzweifelt nach einer gesucht, die hier verortet ist. Die Einweihung des Platzes vor der UNO war dann wirklich erstaunlich. Das Bundesheer spielte Marschmusik, Botschafter und politische Vertreter waren zugegen. Das wird es auf der DVD zu sehen geben.

Im Film wird immer wieder die Gegenwart mit der Vergangenheit abgeglichen, über verschwundene Freiheiten oder nicht eingetretene Visionen. Das übersteigt eine klassische Biografie deutlich.
Ich fand die Biografie von Asad sehr spannend, eine Rückwärtsblende hat mir aber nicht ausgereicht. Ich wollte nicht archäologisch arbeiten, Fakten reproduzieren. Das war im Jahr 2000. Als durch 9/11 der Islam und der Konflikt mit dem Wes-ten enorm an Bedeutung gewannen, dachte ich mir, dieser Stoff muss nicht rückwärtsgewandt aufgelöst werden, der ist sehr aktuell. Wir machen ein Roadmovie und Asad ist der Reiseführer aus der Vergangenheit, der die Gegenwart erklärt.