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hammett usa 1982

Dossier Gangsterfilm

Dichtung, Wahrheit und blaue Bohnen

| Oliver Stangl |

Wim WendersRetro-Noir „Hammett“ (1982) ist der grandios gescheiterte Versuch, die Biografie des legendären Schriftstellers postmodern aufzubereiten.

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„I’ve been as bad an influence on American literature as anyone I can think of.“ (Dashiell Hammett)

Als die Kamera durch das Fenster des schäbigen Apartmenthauses ins Innere eindringt, ist man zunächst nicht sicher, ob man in einer Detektei oder der Wohnung eines Schriftstellers gelandet ist: Ein Mann sitzt im Halbdunkel am Schreibtisch, wie besessen in seine mechanische Schreibmaschine tippend. Die Schatten der Jalousien wirken wie Gitterstäbe, das Halbdunkel erzeugt ein Gefühl der Klaustrophobie. Ist die Sekretärin gerade nicht da, muss sich der Ermittler selbst um den Papierkram kümmern? Als das Gesicht des Mannes sichtbar wird – schmales Oberlippenbärtchen, die Augen gleichsam in Höhlen, die grauen Haare aufgetürmt – weiß man, dass beide Eindrücke irgendwie stimmen: Es ist kein anderer als Samuel Dashiell Hammett, Pinkerton-Mann und Verfasser so grandioser Hard-boiled novels wie The Maltese Falcon oder The Dain Curse. Hammett (1982): Ein Film, den zwar nur wenige gesehen haben, dessen katastrophale Produktionsgeschichte aber legendär ist. Dabei hatte alles vielversprechend begonnen. Francis Ford Coppola und Produzent Fred Roos erwarben in den Siebziger Jahren die Filmrechte an Joe Gores’ Roman Hammett. Gores, der früher selbst als Privatdetektiv in San Francisco gearbeitet hatte, vermischte in seinem Roman die Vita Hammetts – konkret geht es um die Phase in Hammetts Leben, in der Red Harvest entstand – mit einem fiktiven Kriminalfall. Ein spannender Stoff also, der sich scheinbar ideal für einen Thriller mit Arthouse-Touch eignen würde. Als Regisseur verpflichtete man Wim Wenders, der mit dem Neo-noir Der Amerikanische Freund (1977), einer sehr freien Highsmith-Adaption, bereits seine Vorliebe für die Mythen und Bilderwelten des US-Kinos bewiesen hatte und dem man künstlerische Freiheit und für seine Verhältnisse viel Geld garantierte. Die Arbeit am Set verlief zunächst reibungslos, doch als die Dreharbeiten sich der Endphase näherten, begannen die Probleme. Mit Wenders Arbeit unzufrieden – angeblich hatte der Regisseur sich „zu stark“ auf die Rolle des Schriftstellers als die des Detektivs konzentriert – wurden von Coppola umfangreiche Nachdrehs angeordnet, mehr als zwei Drittel der bereits gedrehten Szenen wurden wieder entfernt. Die Rollen, die ursprünglich Brian Keith und Ronee Blakely (Wenders’ damalige Frau, von der er sich während der Dreharbeiten trennte) gespielt hatten, wurden in der neuen Version von Peter Boyle und Marilu Henner verkörpert; der fertige Film hat mit der Romanvorlage nur noch leichte Ähnlichkeit. Bis heute halten sich (von Wenders dementierte) Gerüchte, wonach Coppola selbst bei einigen der nachgedrehten Szenen Regie geführt hätte. Als der Film in die Kinos kam, hatte er kaum Zuseher, die Kritik reagierte verhalten; Hammett geriet schnell in Vergessenheit. Zu Unrecht – denn bei allen Mängeln, die das Werk unbestritten hat, ist ein erneuter Blick überaus lohnenswert.

Zurück zum Anfang also: Hammett (von Frederic Forrest mit geradezu unheimlicher Ähnlichkeit, Gespür für kleine Gesten und einem melancholischen Blick, der um die Verkommenheit der Welt weiß, verkörpert) tippt THE END in die Schreibmaschine und legt sich erschöpft aufs Bett, worauf die eben fertig gestellte Story vor seinem inneren Auge (oder ist es ein Traum?) abläuft: Ein namenloser Detektiv (der Continental Op aus Hammetts Storys) überführt eine Kollegin des Mordes und des versuchten Betrugs. („Letztes Jahr hätte ich sie beinahe geheiratet. Ich glaube es war gut, dass ich’s doch nicht getan habe.“) Hammett schreckt hoch, erleidet einen Hustenanfall, übergibt sich, genehmigt sich eine Zigarette, trinkt ein Glas Whiskey. Als er zurück ins Wohnzimmer kommt, steht der namenlose Detektiv (Peter Boyle) aus der Story im Zimmer. Er habe sich die Story durchgelesen, sie erinnere ihn an seine Zeit bei Pinkerton, als er einen jungen Assistenten namens Hammett gehabt und diesem das Leben gerettet habe. Auf diese Weise etabliert der Film in wenigen Minuten wesentliche Eckpunkte der Hammett’schen Biografie: die frühere Tätigkeit als Detektiv bei der legendären Agentur Pinkerton (die er, wie wir im Film auch erfahren, verließ, als deren Detektive als Streikbrecher eingesetzt wurden), der Versuch, sich in San Francisco mittels Storys für das Black Mask Magazin eine Existenz als Schriftsteller aufzubauen, der Alkoholismus und die Lungentuberkulose. Gleichzeitig ist durch das Auftauchen der fiktiven Figur in der Handlungsebene auch der Übergang zwischen Fiktion und Realität fließend. Diesen Thematiken – dem Einfluss der Schriftstellerbiografie auf das Werk und dem Wechselspiel von Fiktion und Realität – bleibt der Film auch weiterhin verpflichtet. (Als wir kurz darauf Hammetts Nachbarin begegnen, sehen wir, dass sie die Vorlage für die Frauenfigur der Kriminalstory ist. Die Figuren sind also gleich mehrfach fiktiv: einerseits als Akteure auf der Handlungsebene des Films, andererseits als von Hammett in einer wiederum fiktiven, nur im Film existierenden Story zu Charakteren verarbeitet). Der Freund bittet ihn um einen Gefallen: Eine junge, zur Prostitution gezwungene Chinesin ist verschwunden. Hammett soll ihn nach Chinatown begleiten, um sie zu suchen. Die nun anhebende Story an sich ist relativ verworren und erinnert – besonders in Form eines Subplots, der sich um Erpressung mittels pornografischer Fotos dreht – teilweise an Raymond Chandler, der in The Big Sleep mit einem ähnlichen Handlungsmuster operierte. Hammett begegnet Good Cops und Bad Cops, der Chinesen-Mafia und skrupellosen Wirtschaftsbossen, die die Stadt kontrollieren, jeder Menge exzentrischer Charaktere und natürlich einer Femme fatale. Darüber hinaus wird ihm noch das Manuskript, an dem er anfangs arbeitete, abgenommen; es wieder aufzutreiben, scheint ein beinahe größerer Antrieb zu sein als die Suche nach dem im Laufe der Ermittlungen verschwindenden Freund. Am Ende wird der Beginn des Films, die Story in der Story reflektiert: Hammetts Freund hat ein doppeltes Spiel gespielt, ihn benutzt, um mit der jungen Chinesin, in Wahrheit eine eiskalte Verbrecherin, gemeinsame Sache zu machen und die (skrupellosen) Wirtschaftsbosse mit pornografischen Fotos zu erpressen. Die gnadenlose Welt seiner Geschichten, in der Vertrauen tödlich sein kann, ist bittere Realität. Da mag es nur ein schwacher Trost sein, dass die Bösen schlussendlich sterben müssen.

Visuell weiß der Film zu beeindrucken: Dean Tavoularis’ Sets sind wundervoll, dem Studiokino der Dreißiger und Vierziger Jahr nachempfunden – mit Ausnahme einiger Straßenszenen wurde fast der gesamte Film in den Ateliers der Zoetrope Studios gedreht. Kameramann Joseph Biroc sorgt für eine wunderschöne visuelle Hommage an den Film noir, der düstere Look und die vielen Schatten lassen einen oftmals vergessen, dass man eigentlich einen Farbfilm sieht. Chinesische Opium-Höhlen sind ebenso faszinierend eingefangen wie ein Verlagshaus, das mit seinen langen Gängen und einem Glasplafond an Kafka denken lässt. Auch die Dialoge sind der Sprache des Film noir nachempfunden; als seine Nachbarin ihn fragt, warum er sich in gefährliche Dinge einmischt: „Wer bist du eigentlich – Hammett der Schriftsteller oder Hammett der Detektiv?“, antwortet er: „Du hast den Idioten vergessen.“ Mehrfach ironisiert wird der Unterschied zwischen Realität und Fiktion, etwa in einer Szene, in der der chinesische Obermafioso einen zusammengeschlagenen Hammett wissen lässt, dass er nicht so leicht zu handhaben sei wie dessen Romanfiguren. In kaum verschlüsselter Form treten Figuren aus dem Hammett’schen Kosmos auf: Roy Kinnear orientiert sich an Sydney Greenstreets Kasper Gutman aus John Hustons The Maltese Falcon (1941). Greenstreets damaliger Gehilfe Elisha Cook Jr. übernimmt hier, als gleichsam lebendes Zitat, die Rolle eines Taxifahrers und Gehilfen Hammetts. Doch sind dies keine Zitate um des Zitierens willen – die Anspielungen haben ihren Sinn: Am Ende sieht man Hammett wieder am Schreibtisch sitzen, die Arbeit am Maltese Falcon aufnehmend. In Schwarzweiß tauchen sie auf, die Figuren des Kriminalfalls und werden zu Romanfiguren. Der Fall, an dem er im (Film-)Leben scheiterte, wird zur Inspiration für ein literarisches Meisterwerk. Ebenso vielfältig die filmischen Anspielungen: Einstellungen von John Hustons The Maltese Falcon werden ebenso zitiert wie Orson Welles Lady from Shanghai; ein in diesem Fall durchaus vielschichtiges Spiel mit cineastischer Ikonographie. Dass wir Hammett in einer Welt sehen, die sowohl seinem literarischen Universum als auch dem klassischen Film noir entspricht, ist ein gelungener Kunstgriff, der es Wenders erlaubt, sowohl über den Einfluss des Lebens auf das Werk als auch über die Macht der schon ikonenhaft gewordenen Bilder des Film noir zu reflektieren. (Auch ein Kurzauftritt der Regielegende Sam Fuller, den Wenders bereits in Der Amerikanische Freund eingesetzt hatte, zeugt von der Vorliebe des Regisseurs für filmische Referenzen.) Das Motiv des Autors, der durch eine Welt taumelt, die mit eigenen literarischen Figuren angereichert ist, wurde unter anderem von Steven Soderbergh (Kafka) und David Cronenberg (Naked Lunch) aufgegriffen; Mark Frost, Miterfinder von Twin Peaks, verstrickte in seinem Roman The List of Seven (1993), Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle in einen mysteriösen Fall. Die Grautöne, die im Film vorherrschen, weisen darüber hinaus auf Joel und Ethan Coens 1990 entstandenes Meisterwerk Miller’s Crossing (übrigens eine Verfilmung des Hammett-Romans The Glass Key, wenn auch ohne Angabe der Vorlage) voraus. So grandios der Film auf der Meta-Ebene funktioniert, so viele Anspielungen es für Kenner des Hammett’schen Werks und des Film noir auch geben mag – überzeugende Charaktere gibt es neben der Hauptfigur kaum. Und das ist das große Manko des Films. So gern man Forrest beim Spielen zusieht, der Rest des Personals gleicht größtenteils Schattenrissen. Auch die Kriminalstory mit der obligaten Kritik an Kapitalismus und Korruption vermag einfach nicht mitzureißen, der an sich simple Plot wird unnötig in die Länge gezogen. Ob daran die chaotische Produktionsgeschichte schuld war oder man vor lauter Hommage auf emotionale Anker vergessen hat, sei dahingestellt. Hammett ist kein schlechter Film, beileibe nicht – aber ein guter Film, der das Zeug zum Meisterwerk gehabt hätte. Dieser vertanen Möglichkeit mag man mit ähnlich melancholischen Augen nachblicken wie Frederic Forrest sie in diesem Film hat.