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Kleine Tricks

| Reinhard Bradatsch |

Tragikomische Erzählung über das Aufwachsen in der polnischen Provinz.

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Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein in dem kleinen Kaff, wo der siebenjährige Stefek mit seiner Mutter und Schwester Elka lebt. Das einzige, was hier an die Geschwindigkeit und Hektik des modernen Alltags erinnert, sind die mehrmals täglich im Bahnhof haltenden Züge. Ebendort verbringen auch Stefek und die bereits volljährige Elka – verkörpert von den grandiosen Laiendarstellern Damian Ul und Ewelina Walendziak – die meiste Zeit: zusehen, wie gut gekleidete Damen und Herren mit Aktenkoffern zwecks Broterwerbs den Mief der Provinz Richtung Breslau verlassen. In einem von ihnen vermeint Stefek seinen Vater zu erkennen, der vor Jahren der Familie den Rücken gekehrt hat. Mit allen (unerlaubten und erlaubten) Mitteln versucht der Dreikäsehoch, seinen angeblichen Erzeuger unbemerkt zum Bleiben zu bewegen. Seine kleinen Tricks: Zinnsoldaten auf den Bahngleisen, eine verriegelte Bar oder ein irregeleiteter Blumenstrauß.

Stefeks Streiche strahlen dabei ebenso viel Charme aus wie die sonstigen Schrulligkeiten der Bewohner eines Mikrokosmos, der sich nur auf den ersten Blick wie ein im Stich gelassenes, ex-kommunistisches Vorzeigemodell präsentiert. Die Tristesse abbruchreifer Wohnbaracken und schummriger Tanzlokale kontrastiert Regisseur Andrzej Jakimowski gekonnt mit der Helligkeit und Farbsättigung seiner Bilder. Auch die Charaktere spiegeln die Entspanntheit des Kleinstadtlebens wieder: Für Stefek ist es selbstverständlich, dass seine Schwester anstelle seiner vielbeschäftigten Mutter die Erziehung übernommen hat; für Elka wiederum stellt es kein Problem dar, ihren Bruder zum Picknick mit ihrem Freund mitzunehmen. Vielmehr lernt Stefek durch sie, die Widrigkeiten des Alltags zu überlisten und das Schicksal zu seinen Gunsten zu beeinflussen: Etwa wie man es ohne viel Zutun schafft, dass ein Straßenhändler sämtliche Äpfel verkauft oder dass müde Tauben ihren Schlag verlassen. Schließlich steht Stefek vor seinem Meisterstück: Wird es ihm gelingen, seine Familie wieder zu vereinen? Auch wenn man versucht ist, das, was uns Jakimowski mit jeder Menge Humor und einem Schuss Naivität als Idealbild verkauft, als infantile Märchenwelt abzutun: Der gemächliche Rhythmus und die wohltuende Unaufgeregtheit von Kleine Tricks entschädigen für so manchen Griff in die „Heile Welt“-Kiste. Mit seinem warmherzigen Plädoyer für das einfache und ursprüngliche (Land-)Leben schafft der 46-jährige Filmemacher zudem einen gezielten Kontrapunkt zur gegenwärtigen Düsternis im polnischen Kino.