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Away We Go – Finding Neverland

Finding Neverland

| Pamela Jahn |

Sam Mendes, bislang auf düstere Sujets spezialisiert, hat sich mit seinem neuen Film Away We Go erstmals dem Genre der romantischen Komödie zugewandt.

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Ließe sich von der Filmografie eines Regisseurs tatsächlich auf dessen Charakter schließen, käme man im Falle von Sam Mendes schnell zu einem Urteil: Mit dem Mann ist nicht zu spaßen. Als erster starb Kevin Spacey durch Kopfschuss (American Beauty), dann mussten Tom Hanks (Road to Perdition) und Peter Sarsgaard (Jarhead) dran glauben. Und selbst seine eigene Frau, Kate Winslet, die in seinem letzten Film, Revolutionary Road, erstmals seit Titanic wieder gemeinsam mit Leonardo DiCaprio auf der Leinwand brillierte, hat Mendes auf dem Gewissen. Eine Bilanz, auf die der 43-jährige Regisseur und Theatermann mit einem stolzen Grinsen reagiert: „Stimmt, in all meinen Filmen stirbt am Ende eine der Hauptfiguren. Deshalb war es zur Abwechslung jetzt auch mal ganz schön, einen Film zu machen, bei dem es anders ist.“ Und nicht nur das. Abgedreht in lediglich 38 Tagen, ohne große Stars und mit geringst möglichem technischen Aufwand überrascht Away We Go als charmante kleine romantische Komödie mit Indie-Touch.

Richtungswechsel

Schon auf den ersten Blick unterscheidet sich Away We Go ganz grundsätzlich von der Machart, der nahezu klinischen Präzision, mit der sich Mendes bisher kompromisslos und siegessicher durch Genres und Zeiten bewegte. „Der Film ist für mich, was Steven Soderbergh einen ‚Entschlackungsfilm’ nennt“, sagt Mendes, „der Versuch, auszubrechen aus dem Studiosystem und ohne den ganzen Schnickschnack großer Produktionen einfach einen Film zu drehen, hier und jetzt. Ich sehnte mich nach der Erfahrung, die ich damals mit American Beauty gemacht hatte, wo im Grunde niemand etwas davon wusste, bis der Film in die Kinos kam. Und das wieder einmal zu erleben war in erster Linie unheimlich befreiend.“

In diesem Sinne scheint es nur konsequent, dass Mendes sich, um den Entspannungsfaktor noch weiter zu verstärken, dem intelligent leichtfüßigen Drehbuch des verheirateten Autorenpaares Dave Eggers und Vendela Vida angenommen hat. Mit skurrilem Witz, mühelos und ungeniert, erzählt Away We Go von einem jungen Paar, Verona (Maya Rudolph) und Burt (John Krasinski), das man auf den ersten Blick ungleich nennt – sie ist bodenständig und handelt vorausschauend, er ist spontan, superoptimistisch und verträumt. Zwei Mittdreißiger, irgendwo angekommen zwar, aber dennoch nicht gefestigt in ihrem unspektakulären Lebensentwurf, die sich plötzlich mit dem eigenen Anspruch konfrontiert sehen, ihrem bevorstehenden Nachwuchs ein schönes und glückliches Heim bieten zu wollen. Die ohnehin durch Existenzfragen ins Wanken geratene Alltagsidylle wird erschüttert, als Burts wohlhabende Eltern (Catherine O’Hara und Jeff Daniels), die für die beiden nach der Geburt des Kindes die wichtigste Anlaufstelle sein sollten, mit der Überraschung aufwarten, dass sie für ein paar Jahre ihr Haus in Colorado untervermieten und nach Belgien ziehen werden. Daraufhin packen dann auch Verona und Burt ihre Koffer mit dem abenteuerlichen Entschluss, auf einer Art Exkursionsreise alle übrigen Bekannten und Verwandten, die über ganz Nordamerika verstreut leben, abzuklappern, um vielleicht in deren Nähe den perfekten Platz für ihre neue Kleinfamilie zu finden.

Somit wird die Komödie zum Road-Movie, in dem, ganz zeitgemäß, oft mehr geflogen wird als gefahren, von Colorado nach Phoenix, über Tuscon und Madison, nach Montreal, Miami und schließlich bis nach South Carolina. Doch kaum in Arizona angekommen, stellt sich Ernüchterung ein. Veronas alte Freundin und Ex-Chefin Lily (Allison Jannay), entpuppt sich als manisch-depressive, extrovertierte Egozentrikerin, die sich in der Öffentlichkeit mit Vorliebe über die eigenen miesepetrigen Kinder amüsiert während Ehemann Lowell (Jim Gaffigan) beim Lunch auf der Hunderennbahn seinem gefühlten politischen Verfolgungswahn Luft macht. Übertroffen wird das groteske Szenario erst von Burts falscher Cousine und Gender-Studies Professorin LN (grandios gespielt von Maggie Gyllenhaal) in Madison, die mit ihrem esoterischen Übermuttergehabe und Hass auf Kinderwägen („I love my children, why would I want to push them away from me?“) irgendwann den sonst unerschütterlich sanftmütigen Burt in Rage bringt. Montreal scheint da schon vielversprechender. Doch das geballte Familienglück ihrer alten College-Freunde, das ihnen dort begegnet, wird von dem Umstand überschattet, dass die Kinder adoptiert sind. Und Burts reichem Bruder in Florida gehen gegenüber der Tochter die Notlügen aus, weil die Ehefrau kürzlich mit dem Geliebten durchgebrannt ist und schließlich ist er es, der seinen Bruder verzweifelt um Hilfe bittet. Zunehmend desillusioniert ziehen Burt und Verona jedoch weiter, bis sie schließlich und unverhofft ankommen im eigenen Leben.

Anatom gesellschaftlicher Strukturen

Mendes, ein Experte in Sachen US-Mittelstandstristesse, bewegt sich erneut mit der Begeisterung eines Ethnologen, der einen unbekannten Stamm entdeckt hat, durch die amerikanische Klassengesellschaft. Und dennoch ist Away We Go mehr als eine beschwingt inszenierte Versuchsanordnung über Selbstbilder und mehr oder wenige gescheiterte Lebensmodelle, über das Wesen und die Demontage des „amerikanischen Traums“. „Ich habe nie so richtig verstanden, was der ‚amerikanische Traum’ eigentlich ist“, gesteht der Brite, der nach eigener Aussage in die USA übersiedelte, weil es dort einfacher war, das Geld für die Filme zusammenzubringen, die er machen wollte. „Mich hat Amerika einfach schon immer unheimlich fasziniert. Aber jeder hat doch seine eigene Definition davon, was er erreichen will im Leben, egal wo. Und deshalb erfasst der Begriff allein für mich ein ziemlich hohles Konzept. Mich faszinieren vielmehr Hauptfiguren, die defekt sind, unzufrieden. Helden, die ein geteiltes Ich haben. Auch wenn ich selbst überhaupt nicht unzufrieden bin, fühle ich mich dennoch gerade zu diesen Charakteren hingezogen. Und zu Fragen darüber, was es heißt, in einer Beziehung zu leben, zu seinen Kindern und Eltern ein bestimmtes Verhältnis zu haben. Ich denke, darum geht es zumindest in meinen letzten beiden Filmen. Deshalb sehe ich in Revolutionary Road nicht nur die Enttäuschung und in Away We Go jetzt vielleicht die Erfüllung des sogenannten amerikanischen Traums.“

Revolutionary Road, Sam Mendes’ Verfilmung des 1961 erschienenen Romans von Richard Yates, offenbarte die Autopsie einer Ehe, die an ihrer Banalität zerbricht. Ein großes, beklemmendes Melodram um die Entscheidungen zwischen Status, Lebensmut und Liebesglück, das im Amerika der Fünfziger Jahre spielt. Das selbstzerstörerische Wirken des Ehepaares Frank und April Wheeler fasste er in beklemmende Einstellungen und tableauhafte Bilder, die er keine Sekunde dem Zufall überließ. Kurz, es war einer jener Mendes-Filme, von dessen wunderbar verstörendem Wesen man nicht weniger als beeindruckt sein konnte. „Ich habe mich bei den Dreharbeiten zu Revolutionary Road allzu oft in gewohnten Situationen und Einstellungen wiedergefunden, für die ich keine neuen Lösungen parat hatte“, gesteht Mendes im Rückblick. „Das mag im Grunde nicht schlimm sein, wenn es wie letztendlich dem Stoff dient, den man behandelt. Ich habe allerdings das Gefühl gehasst, dass ich mich wiederhole, weil ich mit jedem Film stilistisch etwas Neues in Angriff nehmen möchte, eine neue, unbekannte Richtung einschlagen will.“

Erstaunlich ist, dass die gewichtigen Fragen, die Revolution-
ary Road
stellte – Wie wollen wir eigentlich leben? Und wo? Wie können wir ausbrechen, ohne zu zerbrechen? Und wie errettet man im Beziehungsalltag die eigenen Gefühle und Sehnsüchte? – und die in ähnlicher Form auch Away We Go behandelt, den Film diesmal in keiner Weise beschweren. Während er im langsamen Rhythmus fortschreitet, immer weitere Figuren, Orte und Schicksale in sich aufnimmt, scheint er lediglich etwas melancholischer, aber keinesfalls bedrückender zu werden. Dass es Mendes gelingt, den privaten Selbstfindungstrip seines jungen Paares vor dem Scheitern zu bewahren, liegt natürlich nicht nur am Script, sondern auch an seinen (hierzulande) bisher unbekannten Hauptdarstellern. John Krasinski und Maya Rudolph stecken mit Haut und Haaren in ihren Figuren als Burt und Verona, ohne psychologischen Ballast anzuhäufen. Allerdings liegt hier auch ein Problem des Films: Im Vergleich zu Mendes großen Dramen wirkt Away We Go, gelinde ausgedrückt, recht spannungslos. Es wird zwar ordentlich geflucht, aber nie gestritten, und das Einzige, was sich die beiden an keiner Stelle im Film beweisen müssen, ist ihre bodenlose Liebe zueinander, wie Verona treffend feststellt: „What are we going to do? No one’s in love like us, right?“ Und weil sämtliche Reibungspunkte zwischen Burt und Verona ausgeblendet bleiben, kommt der Film, obwohl er immerzu unterwegs ist, eben nur gemächlich vorwärts. Bis auf Ausgangsort und Endziel ließen sich die einzelnen Stationen ihrer Reise im Grunde beliebig variieren. Und natürlich kann man sich auch wundern, dass Verona erst ganz am Schluss auf die Idee kommt, das seit längerem leerstehende Elternhaus mit Seeblick aufzusuchen, das sich schließlich als ideales Heim herausstellt.

Wer sich jedoch gänzlich auf Mendes’ Blick, auf die unaufgeregten Bilder seiner Kamerafrau Ellen Kuras und Alexi Murdochs elegischen Akkustikgitarren-Soundtrack einlässt, der wird all die kleinen Beobachtungen zu einem amüsanten Generationsbild der Gegenwart zusammensetzen, das seinen Helden keinen Schritt voraus ist. Vielleicht war es von vornherein klar, dass die beiden ihr Kleinfamilienglück eben nicht in Phoenix finden werden, auch nicht in Montreal  oder Miami. Vielleicht ist Heimat auch einfach ein hoffnungsvoller Blick auf das ruhige Gewässer. Es kommt auf die Einstellung an, mit der man Away We Go gegenübertritt. Ein Meisterwerk im Mendes’schen Sinn ist der Film nicht, will es aber eben auch nicht sein. Spaß macht er trotzdem. Und sein nächster Film, sagt Mendes, wird wohl wieder ziemlich düster ausfallen. Tote nicht ausgeschlossen.