Lino Brocka im Gespräch mit Ralph Umard
Wie wurden Sie Filmregisseur?
Nun, ich wollte ursprünglich gar nicht Regisseur werden, sondern Schauspieler und Sänger. Nur hat das nicht so geklappt, wie ich mir das dachte. Ich komme vom Theater her, dort hatte ich auch meine ersten Regie-Erfahrungen gesammelt. Als ich 1970 meinen ersten Kinofilm drehte, hatte ich schon einige Male für das Fernsehen gearbeitet. Mitte der Sechziger Jahre war ich auch Regieassistent von Monte Hellman bei seinem Film Flight To Fury, der hier auf den Philippinen mit Jack Nicholson gedreht wurde. Als ich als Regisseur anfing, da war unsere Filmwirtschaft so etwas wie ein geschlossener Zirkel, in den man nur über Beziehungen, als Freund eines Produzenten hineinkam, oder aber man lernte sein Handwerk von der Pike auf, begann als Cutter oder Drehbuchautor. Leute mit College-Ausbildung, so wie mich, wollte man nicht haben, offenbar befürchtete man aufsässiges Verhalten oder zu anspruchsvolle Filme. Doch aufgrund einiger erfolgreicher Fernsehinszenierungen bekam ich ein Angebot. Mir war gleich klar, dass der erste Kinofilm, den ich machen durfte, nicht mein Film, sondern der des Produzenten sein würde. Also machte ich 1970 so eine Art Remake von The Sound of Music, und der Film wurde ein Renner, er spielte eine Unmenge Geld ein. Mein Erfolg ebnete den Weg für andere junge Regisseure, plötzlich wollten alle Produzenten junge Leute vom College oder vom Theater haben.
Einen offiziellen Ausbildungsweg gab es nicht?
Nein, eine nationale Filmhochschule haben wir nicht (übrigens bis heute nicht, Anm. des Autors). Auch keine Schauspielschule, und so ist es nicht immer ganz einfach, geeignete Darsteller für seine Filme zu finden. Die großen Stars sind alle fest an Produktionsfirmen gebunden, will man sie ausleihen, muss man viel Geld ausgeben. Daher versuche ich, mit Hilfe von Workshops einen eigenen Nachwuchs heranzubilden, das Fernsehen unterstützt mich dabei, stellt Kameras und Räume zum Üben zur Verfügung.
Wie ist die Filmwirtschaft organisiert?
Die großen Filmgesellschaften bei uns sind Privatunternehmen, meist Familienbetriebe, die ihr eigenes Geld investieren. Geleitet werden sie üblicherweise autokratisch von einer Person. Regal Films gehört zum Beispiel einer Chinesin, „Mutter“ Lilly. Es gibt drei große Produktionsgesellschaften, und ich arbeite für sie alle.
Wo kommen die Ideen für Ihre Drehbücher her?
Die aufregendsten Geschichten liefert ja das Leben selber, man braucht sich nur umzuschauen, die ganzen Dramen, die ganze Gewalt, das braucht man gar nicht mal mehr aufzuarbeiten. Besonders die Action-Filme hier reflektieren bei uns nur die Realität, und deshalb sind sie auch so brutal und gewalttätig, genau wie das Leben. Viele der Gangster hier waren ursprünglich ganz ordentliche Jungs, die dann durch die Polizei oder das Militär brutalisiert worden waren. Man hatte ihre Frauen oder Schwestern vergewaltigt, also gingen sie in den Untergrund und wurden Gangster. Mit den kommunistischen Guerillas ist es übrigens das gleiche. Man hat ihnen Unrecht getan. Die Gerichte und Anwälte helfen nicht, die sind von den Reichen gekauft. Was bleibt ihnen also übrig, als zur Waffe zu greifen und sich selbst zu helfen?
Sie haben öfters Filme über Prostitution und soziales Unrecht gemacht.
Naja, die meisten meiner Filme waren reine Kommerzproduktionen, Regenbogen-Kino. Aber durch sie konnte ich Filme mit einem sozialen Anliegen realisieren, und sie spiegeln die Realität wider: Schauen Sie sich nur mal die Kinder und Jugendlichen in Manila an. Viele von ihnen haben nicht mal genug zu essen. Was passiert also? Schon in jungen Jahren sind sie gezwungen, zu arbeiten, Prostituierte zu werden. Sie brauchen Geld, das Leben wird immer härter für sie. Die junge Generation hat mit schweren ökonomischen Problemen zu kämpfen. Jugendliche sind bereit, ihren Körper für wenig Geld zu verkaufen, sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Ich kämpfe für die Armen und Besitzlosen, gegen Schiebung, Korruption, polizeiliche Willkür und Menschenrechtsverletzungen. Diese Prostituierten in den Bars, auch die Barbesitzer, zahlen Schutzgelder an die Polizei. So verdienen die Polizisten ihren Lebensunterhalt, von den Prostituierten, den Bars, den Saunas, den Bordellen, den Schwulen-Kneipen, sie leben auf jedermanns Kosten, und das sollte eigentlich illegal sein. Doch jeder akzeptiert das und toleriert das. Deshalb ist das alles hier auch so eine einzige, große Heuchelei. Es ist alles so frustrierend, ein Haufen Bullshit!
Kann Film dazu beitragen, die Einstellung der Leute zu verändern?
Ich glaube, ja. Film kann Leuten etwas bewusst machen. Ich behaupte nicht, dass Filme eine Revolution auslösen können, sicher nicht. Aber sie können dazu beitragen, indem sie dem Volk bestimmte Tatsachen klar machen. Die ganz harten Ideologen wollen immer, dass ich in meinen Filmen Lösungen präsentiere. Dazu sage ich nein. Die Aufgabe eines Filmemachers ist es, die Probleme aufzuzeigen, nicht aber, Programme aufzustellen und den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben. Das ist Propaganda.
Das Interview fand 1988 in Lino Brockas Haus in Quezon City
(Metro Manila) statt.