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Filmrestaurierung – Nikolaus Wostry über Filmrestaurierung im digitalen Zeitalter

Scanner, Laser, DI-prozess

| Carlo Hoffmann |

Nikolaus Wostry, technischer Leiter des Filmarchiv Austria, über die eigentliche Arbeit eines Filmarchivs, die Vorteile digitaler Filmrestaurierung und die Gründe, warum Hollywood die einzigartigen Filmrestaurierungsdienste in Österreich wohl nicht beanspruchen wird.

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Herr Dr. Wostry, erklären Sie uns bitte die grundsätzlichen Aufgaben eines Filmrestaurierungs-Instituts.
Filmrestaurierung ist eigentlich ein Euphemismus, denn wir restaurieren nicht die historischen Originale, sondern stellen Duplikate von diesen her. Das kann man entweder analog, also fotochemisch machen oder digital. Die Originale selbst kann man nicht restaurieren; man bewahrt sie bei möglichst optimalen klimatischen Bedingungen auf, um so ihren chemischen Verfall möglichst zu verzögern. Stoppen kann man ihn nicht.

Worin bestehen die großen Unterschiede bzw. Vorteile der digitalen Filmrestaurierung?
Die bisher einzige Methode – die fotochemische Restaurierung – kopiert Film auf Film. Eine Technik, die den Filmarchiven zur Verfügung steht, weil sie die Filmindustrie betreibt. Man muss hier feststellen, dass Filmrestaurierung immer nur im Umfeld der jeweiligen Produktionsindustrie möglich ist. Filmrestaurierung ist also quasi der „Nachmieter“ der Technik, die gerade am Markt ist. Restaurierung kann diese nur entsprechend adaptieren. Die digitale Filmrestaurierung erweitert die Palette an Eingriffsmöglichkeiten, welche die analoge Restaurierung bietet, enorm, bedeutet aber nicht, dass man von der bisherigen Vorgangsweise grundsätzlich abrückt. Das Endprodukt der digitalen Filmrestaurierung ist nicht ein digitales File, sondern wieder ein analoger Filmstreifen – ganz einfach deshalb, weil sich die enorme Datendichte eines Kinofilms digital nicht über lange Zeiträume archivieren lässt. Und natürlich, weil jedes Medium auch ästhetisch an seine Technik gebunden ist. Der analoge Film entfaltet sein ganzes Potenzial auch nur als analoger Filmstreifen. Als Instrument für Restaurierungen ist die digitale Technik jedoch enorm flexibel – und teilweise sogar die einzige Technik, die wir haben, um viele Defekte zu bearbeiten. Ein Beispiel dafür sind Flecken jeder Art: Das können durch chemischen Verfall hervorgerufene Zersetzungen sein oder mechanische Defekte und Kratzer. Dabei ist die fotografische Information des Materials angegriffen, in einzelnen Bildern möglicherweise sogar völlig vernichtet. Derartige Fehlstellen sind nur mit Hilfe so genannter digitaler Interpolation zu ergänzen, bei der aus dem vor- und nachfolgenden Bild das fehlende Zwischenbild errechnet wird.

Ein weiterer Anwendungsbereich, bei der uns die digitale Technik wesentlich mehr als die analoge Restaurierung hilft, ist der Bereich der Farbverbleichungen. Mit der Alterung kann Filmmaterial stark seine Farben verlieren oder einen extremen Farbstich, beispielsweise ins Rote, annehmen. Analog ist da nur mit größtem Aufwand etwas zu machen. Digital ist so etwas durch Restfarbenverstärkung und Unterdrückung einzelner Farbkanäle nicht nur überaus effizient, sondern auch mit relativ geringem Aufwand möglich.

Können Sie unseren Lesern die drei Hauptarbeitsschritte der digitalen Filmrestaurierung – Scannen, Digitale Restaurierung, Ausbelichtung – anhand eines genauen Beispiels beschreiben?
Zu unseren Projekten zählen die frühesten österreichischen Spielfilme der Wiener Firma Saturn, Erotikfilme aus der Zeit vor 1910. Die Überlieferungssituation der Saturn ist überraschend gut. Während weltweit etwa 90 Prozent aller Stummfilme verloren gegangen sind, hat sich von den Saturn-Filmen mehr als die Hälfte aller nachweisbaren Produktionen erhalten. Und auch das überlieferte Material ist ganz ungewöhnlich gut, da wir nicht, wie sonst üblich, abgespielte Theaterkopien haben, sondern sehr oft das Originalnegativ jenes Material also, das in der Kamera physisch anwesend war.

Die Saturn Filme sind sehr frühe Filme; die Schrumpfung des Materials ist dabei eines der größten Probleme. Durch den Alterungsprozess verliert Film seine Weichmacher, er schrumpft dadurch und wird spröde. Erschwerend kommt hinzu, dass der historische Film schon von vornherein kleiner in seiner Abmessung war als der spätere Standard. Der Archivscanner hat daher Transportorgane, die speziell auf diese Unterdimensionierung abgestimmt sein müssen. Ein weiteres Problem ist die große Sprödigkeit der Materialien. Dadurch sind schon die mechanischen Ansprüche an den Filmtransport des Scanners sehr hoch. Ein zusätzliches Problem sind Kratzer am historischen Filmmaterial. Diese Kratzer zeigen sich als störende schwarze Streifen im Bild. Das kann man digital bereinigen, aber wesentlich effizienter ist die rein physikalisch-chemische Methode, bei der man mit einer Nassabtastung im Scanner arbeitet. Dabei wird der Film bei der Abtastung mit einer – leider nicht ganz ungiftigen – Flüssigkeit benetzt, die diese Kratzer schließt. Dadurch wird das Abtast-Licht bei einem Kratzer nicht gebrochen und macht diesen unsichtbar. Die Firma ARRI hat eigens für unser Projekt ein so genanntes „Wetgate“ als Prototyp entwickelt und testet gemeinsam mit uns diese Anwendung – mit dem Ziel ein Standardmodell herauszubringen. Zur digitalen Ebene: Das Filmmaterial wird mit einer Auflösung von 6K abgetastet das sind 6.144 Bildpunkte in der Horizontalen und 4.608 in der Vertikalen. Das ist derzeit die höchstmögliche Auflösung für Filmscanner. Auch wenn historisches Filmmaterial eine geringere Auflösung hat, so ist es dennoch wichtig, so hochauflösend zu arbeiten. Zum einen, weil man immer die doppelte Auflösung braucht, wenn man möglichst verlustfrei Analoge digitalisieren möchte. Zum andern aber, weil die Auflösung nicht allein die Bildschärfe, sondern auch den Kontrastumfang bestimmt. Bei Versuchen haben wir rasch bemerkt, dass man deutlich bessere Resultate erzielen kann, wenn man in der digitalen Kette mit höchsten Auflösungen startet. Nach dem Scannen beginnt die eigentliche Restaurierungsarbeit. In einem ersten Arbeitsschritt wird die Bildunruhe korrigiert. Der große Vorteil der Digitaltechnik ist, dass sich die Kriterien der Bildstabilisation ziemlich frei wählen lassen. Man kann sie zum Beispiel auf ein im Bild unbewegliches Element hin ausrichten, oder man orientiert sich an den einkopierten Perforationlöchern des historischen Materials, um die leichte Bildunruhe des Originals zu übernehmen. Für unsere Archivarbeit wählen wir meist die zweiten Methode, da eine kaum wahrnehmbare Unruhe ein Charakteristikum der analogen Technik ist, während mit der ersteren das Bild „eingefroren“ und artifiziell wirkt. In den weiteren Arbeitsschritten kann man Bild-Defekte retouchieren. Dabei gibt es zwar automatisierte Tools, meist muss aber in Handarbeit jeder Kader einzeln bearbeitet werden. Die letzten Schritte sind dann jene Prozesse, die fotografische Eigenschaften wie Gradation, Kontrast und Farbsättigung betreffen. Am Ende der Kette steht dann die Ausbelichtung auf Film.

Zum Arbeitsprozess in Österreich: Das Scannen des historischen Materials erfolgt im Zentralfilmarchiv Laxenburg des Filmarchiv Austria, wo auch die historischen Nitromaterialien gelagert sind. Das trägt sehr zum Schutz der Originale bei. Die Restaurierung der digitalen Daten und ihre Rückbelichtung auf Film erfolgt dann in der Österreichischen Filmgalerie in Krems und die Entwicklung in einem der Filmlabors in Wien. Österreich leistet damit Pionierarbeit im Archivbereich. Es gibt auf der Welt nicht viele, die digital restaurieren können.

Der digitalen Restaurierung scheinen jetzt keine Grenzen mehr gesetzt zu sein. Aus „sehr alt“ mach „sehr neu“ scheint das Motto zu sein.
Archive sind grundsätzlich konservativ. Das bedeutet, dass sie möglichst wenige Eingriffe machen wollen; diese Eingriffe wollen sie auch dokumentieren, um sie gegebenenfalls rückgängig machen zu können. Seriöse Filmrestaurierung orientiert sich am Quellenmaterial und muss versuchen, den Funktionszusammenhang mit historischer Technik zu wahren – oder zumindest versuchen, diesen mit neuen Techniken zu simulieren.

Wird das Original-Filmmaterial in jedem Fall aufbewahrt?
Ja, natürlich! Und das nicht nur aus einer Art Respekt gegenüber den „Reliquien“ der Überlieferung, sondern auch aus einem Pragmatismus heraus: Viele technische Informationen sind nicht kopierbar, wie etwa Randbeschriftungen, die Ausführung von Klebestellen, handwerkliche Färbemethoden, die längst verschwunden sind und viele andere, scheinbar nebensächliche Dinge, die nichts mit dem Bildinhalt zu tun haben, das Medium zum Teil aber viel nachhaltiger determinieren. Noch ein Aspekt: Die volle Qualität liegt nur in der Quelle. Restaurierungstechniken verändern sich und werden teilweise immer besser. Daher ist es ist wichtig, bei jedem Techniksprung auf das Original zurückgreifen zu können.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit anderen Instituten auf internationaler Ebene?
Ohne geht es gar nicht. Die Archive leben davon, dass Film, Gott sei Dank, ein international distributiertes Medium ist. Filme aus der österreichischen Stummfilmzeit sind in den letzten Jahrzehnten überwiegend im Ausland aufgetaucht. Ohne den internationalen Kontakt wäre es unmöglich, diese Filme zu repatriieren. Und noch ein Beispiel aus der anderen Perspektive: Das Filmarchiv Austria besitzt zu dem großen deutschen Stummfilmklassiker Varieté (1925) das wichtigste Quellenmaterial. Das Filmarchiv Austria leitet daher ein Restaurierungsprojekt, in das neben der Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung noch das Bundesarchiv Film Berlin, die Library of Congress (USA) und das MoMA in New York eingebunden sind.

Gibt es schon internationale Aufträge für die digitale Filmrestaurierung, vielleicht auch von großen Hollywood-Studios?
Das glaube ich nicht, weil da der Anspruch ein grundsätzlich anderer ist. Hollywood produziert – ohne dass ich das jetzt abwertend meine – geschliffene Produkte. Gerade auf der digitalen Ebene kann man enorme Eingriffe machen und stark „polieren“. Mit jedem Eingriff entfernt man sich aber auch von der Überlieferung. Das gefährliche dabei ist, dass Restaurierung immer auch definiert, was als Defekt gerade noch tolerabel ist. Unser Anspruch ist, möglichst mit einem Minimum an Eingriffen auszukommen.

Erlauben Sie mir ein ketzerisches Wort am Schluss: Das, was der Computer kann, kann unser Hirn auch ganz gut. Es ist oft erstaunlich, wenn man am Schneidetisch Zersetzungen sieht, die fast alles an Information weg gefressen haben – dennoch sieht man Bilder. Das ist dann so etwas wie eine digitale Film-Restaurierung im Kopf. Diese gilt es zu aktivieren – um Verständnis und Respekt für das Unvollständige und Defekte zu schaffen.