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A Serious Man – Joel und Ethan Coen im Gespräch

A Serious Man | Interview

Man muss seine Figuren quälen

| Dieter Oßwald |

Joel und Ethan Coen über das Funktionieren ihrer Zusammenarbeit, unabhängiges Arbeiten und ihr Verhältnis zu Jean-Luc Godard.

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Wären Sie einverstanden, dass „A Serious Man“ Ihr bislang ernsthaftester Film ist?
Ethan Coen: Unser ernsthaftester Film? Ich bin da nicht so ganz sicher. Bei No Country for Old Men gab es eigentlich auch nicht so viele Lacher …
Joel Coen: Ein paar Lacher gab es dort schon. Aber die gibt es hier schließlich auch. Wir haben allerdings schon einige Filme gemacht, die keine Komödien waren.

Wenn nicht Ihr ernsthaftester, ist es dann Ihr persönlichster Film? Immerhin geht es um allerlei existenzielle Fragen …
Ethan Coen: Persönlich ist der Film in dem Sinn, dass unsere eigenen Erfahrungen eingeflossen sind. In dieser Zeit sind wir an solch einem Ort aufgewachsen. Diese Erinnerungen haben uns zu dem Film inspiriert. Auch für den Rabbi im Film gibt es eine reale Vorlage aus unserer Kindheit.

Es geht um Moral und Religion – wie religiös leben Sie selbst?
Joel Coen: Wir stammen aus einer religiösen Familie, vor allem unsere Mutter war sehr gläubig. Ethan und ich verstehen uns heute als jüdisch, allerdings nicht im religiösen Sinn.

Hatten Sie nie Sorgen, dass Ihr Film zu sehr einem Woody Allen ähneln könnte?
Ethan Coen: Nein, solche Bedenken hatten wir überhaupt nie. Dafür sind die Unterschiede zwischen dem jüdischen Leben im Mittleren Westen und New York einfach viel zu groß – was man in Europa vielleicht gar nicht so deutlich spüren mag.

Lieben Sie Ihre Figuren eigentlich? Warum quälen Sie die so gerne?
Ethan Coen: Man muss sie quälen. Wenn ihnen nur Gutes widerfährt, bekommt man schließlich keine Geschichte. Wir haben natürlich ein anderes Verhältnis zu unseren Figuren als zu realen Menschen. Wenn ich antworte, ich liebe unsere Figuren nicht, könnte man folgern, dass ich sie hasse – was nicht zutrifft. Wichtig ist einfach, dass die Figuren funktionieren.

Wie wichtig ist es, die komischen Elemente in tragischen Situationen zu finden?
Joel Coen: Wir denken in solchen Kategorien gar nicht. Für uns zählt einfach nur, ob eine Situation die Geschichte voranbringt und passend ist – ob komisch oder tragisch, ist dabei nicht entscheidend. Deshalb haben wir auch keine Probleme damit, beides zu mischen, ohne zu überlegen, ob man bei tragischen Dingen so komisch sein darf – und umgekehrt.

Wie finden Sie die Äußerung von Jean-Luc Godard, dass er Ihre Filme hassen würde?
Ethan Coen: Wirklich? Wenn er unsere Filme hasst, dann hat er sie ja wohl angesehen – bereits das nehmen wir als großes Kompliment.
Joel Coen: Wenn ich einen Film nicht mag, würde ich nie sagen, dass ich ihn hasse. Ich würde ihn einfach schnell vergessen. Allerdings überrascht mich diese Äußerung kaum, Godard hat eben eine sehr spezielle Leidenschaft, wenn es um das Kino geht. Es muss nicht immer schlecht sein, wenn man Leuten auf die Nerven geht. Godard ist ein großes Tier – es macht Spaß, so jemandem auf die Nerven zu gehen.

Sie drehen sonst gerne mit Stars, wie leicht fiel Ihnen in diesem Fall der Verzicht auf große Namen?
Joel Coen: Es war von Anfang an klar, dass wir bei diesem Projekt keine Stars wollten, sondern Schauspieler, die man eben gerade nicht wiedererkennt. Natürlich machen Stars die Finanzierung einfacher, aber unser Budget war so bescheiden, dass es auch so funktionierte. Zum Glück haben wir alte Verträge, bei denen so etwas möglich ist. Im heutigen Klima wäre das viel schwieriger.

Gab es keine Probleme wegen des radikalen Endes?
Ethan Coen: Wir sind in der glücklichen Lage, dass man uns nach dem Verkauf eines Projekts weitgehend allein lässt und sich kaum jemand einmischt.

Früher wusste man, wer von Ihnen die Regie und wer die Produktion machte. Warum stehen nun beide Namen bei allen Funktionen?
Joel Coen: Wir sind inzwischen offensichtlich verschmolzen. Wir machen unsere Filme noch immer genauso wie zu unseren Anfangszeiten. Der einzige Unterschied liegt darin, dass wir damals unsere Namen  auf verschiedene Funktionen aufgeteilt haben – obwohl wir schon immer alles gemeinsam gemacht haben.

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit konkret aus?
Ethan Coen: Das ist ganz unspektakulär. Wir setzen uns in unserem Büro zusammen, reden über die Szenen und schreiben die Ergebnisse dann auf.

Was halten Sie davon, wenn ihre Filme mit den Prädikaten „cool“ und „Kult“ versehen werden?
Joel Coen: Solche Prädikate waren immer schon ein Rätsel für mich. Über irgendwelchen Kultstatus machen wir uns keine Gedanken – wer möchte sich schon gerne in eine Schublade stecken lassen?

Es gibt etliche Bücher, die Ihre Arbeit ausführlich analysieren. Lesen Sie solche Sachen?
Ethan Coen: Nein. Die sind ja alle auf Deutsch! (lacht)

Was machen Sie als nächstes?
Joel Coen: Wir würden gern einmal einen Horrorfilm machen, der in einer Universität spielt. Aber wir haben noch nicht einmal mit dem Schreiben dazu angefangen.