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Up in the Air

Up in the Air

Come fly with me

| Pamela Jahn |

Jason Reitman beweist mit „Up in the Air“, dass er zu den originelleren Regisseuren Holllywoods zählt.

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Who the fuck are you?“ Gute Frage, denkt sich auch Ryan Bingham, der adrette Herr im silbergrauen Anzug mit passender Haarfarbe, als sie ihm in einer explosiven Mischung aus Wut, Verzweiflung und Unverständnis an den Kopf geworfen wird. „Who am I?“ Doch noch im selben Augenblick prallen die Worte an ihm ab wie Wasserperlen an einem Marmorberg, hat er für den zerknirschten, weil gerade gefeuerten Fragesteller eine ebenso standardisierte wie völlig nichtssagende Antwort parat, die ihn zügig zum nächsten Punkt im motivationsorientierten Trennungsgespräch bringt. Denn der Mann ist auf seinem Gebiet das, was man einen Profi nennt: Ryan Bingham ist Entlassungs-Spezialist. Beeindruckende 322 Tage im Jahr fliegt er im Auftrag krisengeschüttelter Unternehmen kreuz und quer durch die USA, um anstelle hasenfüßiger Manager deren Angestellte wegzurationalisieren, höflich, eloquent, effektiv. Und Bingham, so unverständlich es dem Durchschnittsarbeitnehmer scheinen mag, liebt seinen Job. Und er liebt die verführerische Leichtigkeit des Ungebundenseins, die ein Dasein als moderner Unterwegsmensch mit sich bringt. Entsprechend hat er sich mit seinem Nomadenleben zwischen Business Lounges und Flughafenhotelbars perfekt arrangiert und das Reisen buchstäblich zu einer Kunstform entwickelt, bei der es für ihn letztlich nur ein Ziel gibt: Er will die bei zehn Millionen Flugmeilen fällige Superplatinum-Vielfliegerkarte ergattern, die ihm in seiner Sammlung als einzige noch fehlt. Kurzum: Der Weg ist das Ziel, und so erklärt es auch Binghams watteweiche Stimme aus dem Off dem Zuschauer gleich zu Beginn des Film, entschieden, einladend, charmant: „To know me, is to fly with me.“

Apropos charmant: Es soll nicht unter das Plastik-Klapptischerl fallen, dass es Mr. Nespresso ist, der uns Ryan Binghams Lebensphilosophie näherzubringen versucht. Zu großer Form läuft er auf in dieser Rolle, die ihm buchstäblich auf den Leib geschrieben scheint, einschließlich der offenen Verzweiflung, die er bereits in Michael Clayton zur Perfektion in jedem einzelnen Gesichtszug fest verankert hatte. Nur darf er diesmal komischer sein, verständnisvoller und sexier. Gemischt mit einer natürlichen Selbstironie, die unmittelbar an Cary Grant erinnert und ein Stück weit eben auch an George Clooney selbst.

Natürlich dauert es auch in Up in the Air nicht lange, bis sich die Dinge verkomplizieren, und zwar derart, dass Bingham selbst auf den beruflichen Schleudersitz katapultiert wird. Es ist die ehrgeizige junge Harvard-Absolventin Natalie (Anna Kendrick) die ihm einen Strich durch die wohl kalkulierte Rechnung macht, als sie seinen Chef Craig (Jason Bateman) davon überzeugt, dass sich im Zeitalter von Webcams und Internettelefonie auch im professionellen Entlassungsbusiness Modernisierungen durchführen lassen. Bingham jedoch würde diese Methode künftig an den Schreibtisch fesseln. Verzweifelt kämpft er bei seinem Freund und Vorgesetzten dagegen an, mit dem unbefriedigenden Ergebnis, dass er Natalie auf seinem nächsten – und letzten! – Einsatzflug mitnehmen soll, um ihr die mangelnde Praxis im Umgang mit Entlassungsopfern zu vermitteln. Nolens volens macht sich das ungleiche Paar auf Reisen. Man muss sich anschauen, wie geschickt Regisseur Jason Reitman die natürliche Gegensätzlichkeit der Schauspielerstaturen in die Platzkämpfe seiner Figuren eingehen lässt. Und wie er aus ihrer natürlichen Feindschaft in einem herrlichen Zusammenspiel aus bissigen Dialogen, ruhigen Momenten und gezielt eingesetzter Situationskomik eine kleine Generationenstudie macht, während die Zwischenstopps, die Bingham mit seiner übereifrigen Schülerin im Schlepptau zurücklegt, für beide Beteiligten kurze Stationen auf dem Weg zum eigenen Ich bedeuten.

Krisenszenarien

Vielleicht ist dies der passende Moment, um etwaige Missverständnisse auszuräumen: Up in the Air ist nicht, wie vielerorts bemerkt worden ist, in erster Linie ein weiterer oder vielleicht sogar der ultimative Film zur Krise. Der Film will es zumindest nicht sein. Was wie ein gewiefter Schachzug wirkt, dass der Film mitten hineinfällt in die globale Wirtschaftsmisere, ist im Grunde purer Zufall. Denn die Geschichte, der sich Reitman in seinem dritten Film widmet, ist zunächst einmal reine Fiktion. Schon deshalb, weil sie auf dem 2001 veröffentlichten gleichnamigen Roman von Walter Kirn beruht. Nun verhält es sich aber so, dass das Kino ein vergleichsweise langsames Medium ist, und die Welt, in der eine Filmidee geboren wurde, am Tag der Premiere schon längst nicht mehr dieselbe ist. Entsprechend hat die Rezession Up in the Air eine Aktualität beschert, die in der langwierigen Entstehungsgeschichte des Films zunächst nicht abzusehen war.

Bevor Jason Reitman 2002 gemeinsam mit Sheldon Turner die Arbeit am Drehbuch aufnahm, hatte man zunächst Jay Roach als Regisseur für die Adaption von Kirns Romanvorlage vorgesehen. Glücklicherweise, wie man aus heutiger Sicht sagen kann, kam dieser ursprüngliche Deal nicht zustande und so einigte man sich schließlich mit Reitman, dessen erste Regiearbeit Thank You for Smoking, eine furiose Satire über die Tabakindustrie in den USA, zu diesem Zeitpunkt noch niemand realisieren wollte. Weitere sechs Jahre sollten vergehen, bis das endgültige Drehbuch zu Up in the Air vorlag. In der Zwischenzeit gelang es Reitman jedoch nicht nur, sein Regiedebüt zu feiern, sondern mit der hochunterhaltsamen Teenager-Komödie Juno auf einen Schlag in die obere Liga der Hollywood-Regisseure aufzusteigen. Doch als endlich Zeit, Geld und Cast zur Verfügung standen und die Dreharbeiten zu Up in the Air begannen, war mit Themen wie Massenentlassungen und Arbeitsplatzrationalisierung plötzlich nicht mehr ohne weiteres zu spaßen. Da waren Binghams Kollegen im wirklichen Leben bereits rund um die Uhr und um den Globus im Einsatz.

Dabei ist es erstaunlich, wie diese gewichtigen Sujets den Film dennoch in keiner Weise aus dem Gleichgewicht bringen oder beschweren. Im Gegenteil, während er im strammen Terminplan fortschreitet, weitere Figuren, Orte und Schicksale in sich aufnimmt, scheint er immer rhythmischer, sanfter zu werden. Souverän bewegt sich Reitman auf einer schmalen Gratwanderung zwischen den Abgründen der konventionellen Komödie auf der einen und dem Melodrama auf der anderen Seite. Und der weltmännische Charme, die elegante Nonchalance eines George Clooney ist für ein solches Unternehmen wie geschaffen. Man könnte hier auch von einem kleinen Kunststück sprechen. Ein Kunststück, das die Regeln des Kinoerzählens auf intelligente Weise bricht und daran erinnert, dass man auch heutzutage noch mit einem cleveren Drehbuch und exzellenten Schauspielern zauberhafte, geistreiche und unangestrengt humorvolle Kinounterhaltung produzieren kann – ganz ohne 3-D, Pixar oder Musical-Tamtam.

Nur die Liebe darf natürlich auch hier nicht ganz ausgeklammert werden, zumal sie im Wesentlichen dazu beiträgt, den Zuschauer spüren zu lassen, dass Bingham nicht gefühllos ist, sondern nur äußerst ungern die Kontrolle abgibt, nicht angreifbar sein will. In Up in the Air wird die sich langsam entfaltende „casual“-Beziehung zwischen ihm und Alex, einem andauernden One-Night-Stand, jedoch nicht vom Schicksal bestimmt, sondern vom Terminkalender der beiden Geschäftsleute, die einander – wo auch sonst – in einer Hotelbar zum ersten Mal begegnen und beim Loyalty-Card-Duell näherkommen. In dieser wundervollen kleinen Szene wird schnell klar: Alex, gespielt von der atemberaubenden Vera Farmiga, ist der perfekte weibliche Gegenpart zu Ryan, sogar noch einen Tick abgebrühter, geheimnisvoller, offensiver („Just think of me as you, but with a vagina.“). Am skrupellosesten, und man kann auch sagen: bemerkenswertesten agiert jedoch Anna Kendrick in ihrer Rolle der verbissenen Studienabsolventin, die Bingham das Fürchten lehrt und sich damit am Ende mehr als seinen Respekt verdient.

Greifbare Schieflage

Wenn Up in the Air ein Film zur Krise ist, dann deshalb, weil er blufft, weil er so tut, als ginge es allein ums große Ganze. Dabei geht es in Wirklichkeit um die vielen kleinen Beziehungs-, Familien- und Midlife-Krisen, die das Leben ohnehin mit sich bringt, unabhängig davon, wie es der Weltwirtschaft gerade geht. Was die aktuelle Schieflage wiederum unmittelbar greifbar macht, sind die dokumentarhaft zusammengeschnittenen Interviews mit Ex-Angestellten, für die Reitman Menschen castete, die tatsächlich im Rahmen der Rezession entlassen worden waren.

Dennoch ist Up in the Air alles in allem ein hoffnungsvoller Film. Weil er vor Augen führt, dass das Leben ein großes Aneinander vorbei ist, bei dem Chancen kommen und gehen, sich nicht immer die Richtigen treffen. Und dass es trotzdem genügen kann, wenn zwei Menschen für eine Weile daran glauben, dass sie tatsächlich füreinander geschaffen sind. Auch weil Reitmans Inszenierung zeigt, dass Heimat ein Gefühl der Zugehörigkeit sein kann, das weniger mit Familie als mit einem Ort zu tun hat, der Sicherheit und Geborgenheit bietet, ohne Bindungspflicht und nervige Fragen – und das bei nur geringem Aufpreis. Am Ende ist Ryan Bingham zurückgekehrt in die transitorische Businesswelt, aus der ihn sein Ausflug in die zwischenmenschlichen Komplikationen herausgerissen hat. Er ist zu Hause. Über den Wolken. Und wir mit ihm.