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Der Kameramörder

Diagonale | Der Kameramörder

Trügerische Idylle

| Walter Gasperi |

Robert Adrian Pejos Verfilmung von Thomas Glavinics Roman „Der Kameramörder“, die Ende März auch in die Kinos kommt, eröffnet die Diagonale 2010.

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Mit seinem Roman „Der Kameramörder“ gelang Thomas Glavinic 2001 ein Bestseller (Thomas Glavinic im Interview). Über 100.000 Mal wurde der mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnete Krimi inzwischen verkauft. Der Erfolg dürfte weniger der scharfen Abrechnung mit der Sensationsgier der Medien und des Publikums geschuldet sein als vielmehr der verstörenden, gleichzeitig suggestive Kraft entwickelnden Form. Konsequent aus subjektiver Perspektive lässt Glavinic seinen Protagonisten protokollartig in kurzen, abgehackten Sätzen retrospektiv berichten: Während der Ich-Erzähler mit Lebensgefährtin und befreundetem Paar das Osterwochenende auf einem Hof in der Weststeiermark verbringt, werden in der Nähe zwei Kinder ermordet. Über Teletext und TV-Nachrichten sind die zwei Paare immer auf dem neuesten Stand der Ermittlungen und schließlich wird sogar ein Video, in dem der Mörder seine Tat festgehalten hat und das er einem Privatsender zugespielt hat, im Fernsehen ausgestrahlt.

Pejo hat für seine österreichisch-schweizerisch-ungarische Koproduktion die Handlung an das Ostufer des Neusiedlersees verlegt (tatsächlich gedreht wurde in Südungarn). Scheint er sich mit den ersten wackeligen Videobildern, in denen der unsichtbar bleibende Täter mit der Kamera Kinder durch ein Schilffeld verfolgt, an Glavinics Romanstil zu orientieren, so ersetzt sogleich eine Flugaufnahme vom Neusiedlersee und einem Designer-Haus an dessen Ufer dieses subjektive Erzählen durch eine objektivierende Perspektive. Nicht von innen heraus, sondern von außen blickt Pejo auf das hier wohnende Paar Thomas (Merab Ninidze) und Sonja (Dorka Gryllus), das wenig später Besuch von Heinrich (Andreas Lust) und Eva (Ursina Lardi) erhält.

Wie der Roman konzentriert sich auch die Verfilmung ganz auf die beiden, weitgehend von biografischem Hintergrund befreiten Paare. Sukzessive werden dabei immer deutlichere Indizien für den Mord an zwei verschwundenen Kindern gesetzt und schleichend steigert Pejo so in der ersten Hälfte die Spannung. Das Thema der medialen Vermarktung und des Voyeurismus der Masse wird allerdings in diesem Kammerspiel im Widescreenformat kaum entwickelt und vertieft. Der Fokus liegt vielmehr auf der Labilität der Beziehung der vier Protagonisten. Verschärfend kommt hier gegenüber dem Buch dazu, dass Pejo Eva zur Ex-Freundin von Thomas macht.

Da wird nach dem gelösten Beginn mit Spaziergang durch das Schilfgebiet und Abendessen auf der Terrasse bald deutlich, dass die Idylle trügt und sich hinter den wohlanständigen Fassaden womöglich Abgründe verbergen: Heinrich outet sich als Fan von Snuff-Videos, gänzlich undurchschaubar bleibt Thomas. Gespiegelt wird diese menschliche Ambivalenz auf der visuellen Ebene durch die Situierung an der ungarisch-österreichischen Grenze mit fließendem Sprachwechsel, dem Spiel mit Innen und Außen, Wasser und Land und dem trügerischen Schilfgürtel. Nur Dringlichkeit gewinnen diese Bilder leider nie, wirken vielmehr gefällig-glatt und aus dem Designer-Katalog wie die Ausstattung des Hauses am See.

Getragen werden müsste dieser Psychothriller somit von den Schauspielern. Doch außer der von Dorka Gryllus gespielten Sonja, die bald in einem Wechselbad der Gefühle zwischen Liebe, Eifersucht und schwererem Verdacht hin- und hergerissen ist, gewinnen die anderen drei Protagonisten kaum Konturen und bleiben dem Zuschauer somit fremd. Zudem gelingt es Pejo nicht, schwankend zwischen Unterordnung unter den Roman und Durchleuchtung des Beziehungsgefüges, Szenen zu verdichten. Ärgerlich wirkt es, wenn hier mehrfach Fährten der Verunsicherung gelegt werden, die in der Folge nie auch nur ansatzweise aufgeklärt werden.

Mit Fortdauer verflüchtigt sich so die Spannung, und der Film entwickelt sich in Richtung eines beliebigen, ziemlich zähen Whodunit-TV-Krimis, wobei dann auch das von Glavinics Roman abweichende Ende in keiner Weise schlüssig wirkt, sondern einzig darauf angelegt scheint, den Zuschauer zu irritieren.