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Die Fremde

Filmkritik

Die Fremde

| Alexandra Seitz |

Ausbruchsversuch aus dem Familiengefängnis entgeht knapp der Falle des TV-Movies.

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Anfang Februar jährte sich der Todestag von Hatun Sürücü zum fünften Mal. Weil ihr westlicher Lebensstil ihrer Familie nicht passte, war die 23-jährige kurdischstämmige Frau am 7. Februar 2005 von ihrem jüngsten Bruder in Berlin-Tempelhof erschossen worden. Dieser so genannte „Ehrenmord“ trat eine umfängliche Debatte los über Leitkultur und Parallelgesellschaft, Integration und Toleranz, Gleichberechtigung und Zwangsheirat. Damit kein Missverständnis aufkommt, Feo Aladags Die Fremde ist nicht die Verfilmung von Sürücüs Geschichte. Und ob und inwiefern der Film einen tauglichen Beitrag zur Debatte liefert, muss sich noch weisen.

Fest steht aber, dass die Geschichte, die Aladag in ihrem Regiedebüt erzählt, keinen außergewöhnlichen Einzelfall darstellt, sondern als Modellfall dienen soll. Dementsprechend viele Themen, Motive, Typen und Situationen müssen Eingang finden und dementsprechend überfrachtet erscheint das Ergebnis des Öfteren.

Umay ist der Name der Heldin, die wir uns als Stellvertreterin, als Figur mit Mission, denken sollten. Umay hält es mit ihrem lieblosen Ehemann nicht mehr aus, nimmt ihren Sohn Cem, lässt die Hochhaussiedlung am Rande Istanbuls hinter sich und reist zu ihrer Familie nach Berlin, wo sie aufgewachsen ist. Die Freude von Mutter, Vater und Geschwistern über den vermeintlichen Überraschungsbesuch währt nicht lange, als sie erkennen, dass Umay nicht mehr zurückgehen wird. Groß ist nun die Schande, und sie wird immer größer, je entschlossener Umay darauf beharrt, selbstständig zu handeln und dennoch Mitglied ihrer Familie zu bleiben. Jede Demütigung scheint sie nur herauszufordern, nach jeder Niederlage steigt sie erneut in den Ring und bis zur völligen Erschöpfung aller Beteiligter währt ein erbitterter Kampf, der keine Sieger kennt.

Aladags inszenatorischer Zugriff auf den kolportagehaft arrangierten Stoff ist direkt und energisch. Sie mischt sentimentale, pathetische und ganz alltägliche, berlinerisch-türkische Tonlagen und beobachtet die grausame Auseinandersetzung zwischen individuellem Glück und sozialem Prestige aus der Innenperspektive. Sie stellt also nicht den Wert der traditionellen Familie in Frage als vielmehr die traditionellen Werte der Familie. Am Ende wirken sie alle wie Gefangene, rat- und hilflos: die unbotmäßige Tochter, der enttäuschte Patriarch, der entsetzte Bruder. Und werden allesamt sinnlos Opfer kleingeistiger Moralvorstellungen.