Precious Film

Filmkritik

Precious

| Ralph Umard |

Porträt eines missbrauchten Mädchens, das mühsam Selbstachtung findet

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Ihr Spitzname ist der reine Hohn: Precious, das bedeutet kostbar. Dabei ist die Protagonistin eine extrem dicke, sprachbehinderte Analphabetin, die mit sechzehn noch in die Hosen macht. Eine Schwarze, aufgewachsen in Harlem, verachtet von ihren Mitmenschen, von der Schule verwiesen, von der Mutter geschunden und von ihrem Vater seit frühester Kindheit sexuell missbraucht. Mit zwölf bekommt sie das erste Kind von ihm, mit sechzehn wieder schwanger, zudem noch HIV-positiv – angesteckt vom Vater, der an AIDS stirbt.

Ein bisschen viel Elend, möchte man meinen, das hier auf eine Person projiziert wird. Dabei wird ihr Schicksal im Film harmloser geschildert als in der Romanvorlage „Push“, in der die Bestsellerautorin Sapphire die Vergewaltigungen pornografisch explizit in obszöner Gossensprache beschreibt – in der filmischen Adaption werden sie nur visuell stilisiert angedeutet. Bei Schicksalsschlägen tröstet sich Precious mit Tagträumen von einem schicken Leben, beim Kinopublikum sorgen diese Szenen für etwas Entspannung angesichts dieser Tragödie. Schockierend drastisch wird die Beziehung des Teenagers zu ihrer Mutter Mary dargestellt, ihr Leben in der düsteren Sozialwohnung ist die Hölle. Mit teuflischer Boshaftigkeit tyrannisiert Mary ihre Tochter, die wie eine Sklavin einkaufen, kochen, putzen und alle Besorgungen erledigen muss, während die monströse Mutter stinkfaul im Sessel fern sieht und qualmt wie ein Schlot.

Mit erschütternder Intensität wird diese Furie von Monique Imes verkörpert, die in den USA unter dem Künstlernamen Mo‘Nique vor allem als Comedian bekannt wurde. Mit einer beeindruckenden Darstellung bringt sie Abgründe menschlicher Wesensart zum Ausdruck, bei einem längeren Monolog gelingt es Mo‘Nique, das eigene Elend der Mutter, Einsamkeit und verschüttete Schuldgefühle mimisch nuanciert anzudeuten.

Gabourey Sidibe als Precious wirkt trotz ihrer Fettleibigkeit und Unbeholfenheit nicht komisch; mit meist stoischer Miene erträgt sie alle Erniedrigungen und strahlt eine natürliche Menschenwürde aus, die Empathie beim Zuschauer evoziert. Mit Unterstützung einer energischen Lehrerin entwickelt sie sich weiter, gewinnt Selbstvertrauen und die Achtung von anderen; beispielhaft werden Humanismus, Hilfs- und Verständnisbereitschaft propagiert. Ihr Filmschicksal endet zwar nicht vielversprechend, aber hoffnungsvoll.