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Sibel Kekilli | Interview

„Ich bin eine deutsche Schauspielerin mit türkischem Hintergrund“

| Daniela Sannwald |

Mit ihrem Debütfilm „Gegen die Wand“ schaffte sie gleich den Durchbruch. Ihre beeindruckende Darstellung einer Deutschtürkin, die für ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben kämpft, machte Sibel Kekilli gleichsam über Nacht berühmt.

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Feo Aladags „Die Fremde“ (eine Rezension des Films finden Sie auf Seite 54), in dem Kekilli die Hauptrolle spielt, thematisiert erneut den Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der in türkischen Familien oftmals kaum mehr aufzulösen ist. Sibel Kekilli über ihre Rollen nach „Gegen die Wand“, ihre spezielle Vorbereitung auf „Die Fremde“ und die Unterschiede zwischen deutschen und türkischen Männern.

Sie haben in den letzten Jahren mit ganz unterschiedlichen Regisseuren und in mehreren Ländern, etwa Tschechien, Kenia, Südafrika und natürlich der Türkei, gearbeitet. Erzählen Sie ein bisschen darüber.
Sibel Kekilli: Ob Bayern auch als fremdes Land gilt? (Lacht.) Das habe ich gerade überlegt, denn da habe ich ja Winterreise mit Hans Steinbichler gedreht. Ich finde vor allem, es ist ein großes Privileg, in Ländern wie in Tschechien oder Kenia zu drehen. Zuletzt habe ich in Finnland (Pihalla, dt.: Auf dem Spielplatz, Anm.) gearbeitet, der Film ist aber hier noch nicht raus. Ich finde es auch großartig, mit ganz gemischten Teams zu arbeiten. In der Türkei war es so, dass sie erst zwei Wochen vor Drehbeginn das Vertragliche geregelt haben, und dann habe ich angefangen, mit dem Türkisch-Coach zu arbeiten. Das war auch spannend, weil wir da, wie es in der Türkei nicht so üblich ist, mit Ton gedreht haben. Oft wird dort nachsynchronisiert. Dafür drehen sie dann 90 Minuten in einer Woche, wofür wir hier fünf brauchen. Oder in Südafrika, wo ich jetzt mit Dieter Wedel gedreht habe. Man sagte mir, dass es da eine Hierarchie gäbe, sodass erst schwarze Frauen und dann schwarze Männer, dann weiße Frauen und dann weiße Männer einen Job kriegen.

Aber wenn man deutsche Genauigkeit und Disziplin gewohnt ist, dann kommt es einem komisch vor, dass beispielsweise in der Türkei nichts organisiert scheint. Man lernt dabei, lockerer zu werden. Ich sage mir dann, okay, ich bin jetzt hier in diesem Land und muss mich anpassen und genieße das auch und freue mich, dort sein zu können.

2004 wurden Sie in Fatih Akins Film Gegen die Wand berühmt. Was zeichnet ihn in Ihren Augen aus?
Sibel Kekilli: Er ist ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler. Und sehr gründlich: Er probt wochenlang vorher, aber dann schreibt er auch kurz mal was um. Fatih hat sowohl deutsche als auch türkische Eigenschaften, und er ist wie ein Kind, voller Begeisterung! Man muss einfach mit ihm mitgehen.

Mit dem Regisseur Ömer Ugˇur haben Sie 2006 Eve Dönüs¸ gedreht, einen politischen Film über die Zeit nach dem Militärputsch 1980 in der Türkei, und dafür auf dem Festival in Antalya den Preis als beste Darstellerin gewonnen.
Sibel Kekilli: Ja, Ömer Ugˇur hat die Zeit nach dem Putsch 1980 selbst noch mitgekriegt, und er hat mit dem Film eine Wunde aufgerissen. Ich selbst habe allerdings keinen Bezug zur türkischen Vergangenheit, da weiß ich mehr über die deutsche. Als Kind habe ich von meinen Eltern zwar einiges über Atatürk mitbekommen, aber nichts vom Militärputsch. Und in Antalya einen der wichtigsten nationalen Filmpreise zu bekommen war toll, das ist vergleichbar mit dem deutschen Filmpreis, den ich 2004 für Gegen die Wand gewonnen habe.

Es ist aber in der Türkei immer noch schwierig, sozialkritische Filme zu machen. Solche Filme finden ihr Publikum auf Festivals, so wie die von Nuri Bilge Ceylan in Cannes, oder Bal von Semih Kaplanogˇlu (der Gewinner des Goldenen Bären in Berlin, Anm.). Es gibt aber weit weniger türkische Filme als beispielsweise dänische in den Festivalprogrammen. In der Türkei mag das Publikum immer noch lieber Komödien.

Sind Sie eine deutsche Schauspielerin?
Sibel Kekilli: Ich bin eine deutsche Schauspielerin mit türkischem Hintergrund. Das verleugne ich nicht, das gehört zu mir. Ich bin dankbar für den Preis als beste türkische Schauspielerin, aber eigentlich arbeiten sie dort völlig anders, ein bisschen mehr in Richtung Over-Acting. Eine deutsche Schauspielerin weint leise, eine türkische schmeißt sich auf den Boden und weint …

Was können die Künstler mit Migrationshintergrund in die Mehrheitsgesellschaften einbringen?
Sibel Kekilli: Mehr Gefühle. Deutsche haben eher Angst vor Gefühlen. Vieles ist minimalistisch und sehr kalt. Fatih ist das beste Beispiel für Musik und große Gefühle, davor hat er keine Angst. Und natürlich neue Geschichten. Das wäre ja so langweilig, wenn nur deutsche Regisseure Filme über deutsche Geschichte und deutschen Alltag machen würden. Durch das Zusammenleben der Kulturen entsteht doch erst Stoff für Geschichten. Und die deutschen Regisseure trauen sich da oft nicht so richtig ran.

Mit welchen Regisseuren würden Sie gern arbeiten, international gesehen?
Sibel Kekilli: Ich habe zwei, Julian Schnabel und …, nein, drei sogar, nein, eigentlich vier: die irische Regisseurin Kirsten Sheridan (Disco Pigs, August Rush, Anm.), Eran Riklis (Lemon Tree, Die syrische Braut, Anm.) und Michael Haneke.

Die Fremde ist ein Film über einen Ehrenmord. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Sibel Kekilli: Mich interessiert das Thema Ehrenmord schon seit Jahren. Als ich das Drehbuch gelesen habe, wollte ich es unbedingt machen. Wir haben vorher viel mit allen geprobt. Unsere Filmeltern aus der Türkei wurden dafür hierher eingeflogen. Und mit meinem Filmsohn wurde ich zusammen gecastet, ich durfte mit aussuchen, mit wem ich am besten kann. Und für meine Filmgeschwister und mich gab es vorher einen Coach, der uns beigebracht hat zusammenzuwachsen. Wir haben zwar alle diesen Migrationshintergrund, aber das heißt ja nicht, dass wir das aus persönlicher Erfahrung kennen. Das ist doch ein ziemlich harter Stoff. Und in dem Moment, wo mein Bruder die Waffe auf mich hält, spielen wir ja nur mit den Augen. Wir kommunizieren, ohne etwas auszusprechen …

Ist die Geschichte realistisch?
Sibel Kekilli: Ja! (Pause.) Zum Glück gibt es immer mehr Berichte über das, was passiert in solchen Familien, auch in der Türkei. Ich habe vor zwei Wochen gelesen, dass ein Mädchen lebendig begraben wurde mit 16. Oder ein anderes wurde mit zwölf Jahren im Dorf erschossen. Der Vater hat behauptet, das war Selbstmord, aber das stimmte nicht. Sie hatte einen Zettel geschrieben, auf dem „Ich liebe dich“ stand, und den hatte der Lehrer auch noch an den Vater weitergegeben. Wenn man so was im Film erzählen würde, würde doch jeder denken, das sei zu weit hergeholt. Aber das passiert nun mal. Und Hatun Sürücü (die 2005 in Deutschland von ihrem Bruder erschossen wurde, Anm.) hatte ein Kind. Und der Bruder musste sie umbringen. Wie kann so viel Hass in einem sein, dass man das der eigenen Schwester antut?

So etwas passiert in konservativen, fundamentalistischen Milieus in Ostanatolien. Aber die Religion ist eine Ausrede. Das sind archaische Traditionen. Da benutzen die Täter die Religion als Entschuldigung, weil sie das vor Gott oder vor sich selbst erklären müssen, was sie da tun.

 

Worum, denken Sie, geht es diesen Tätern, und wie könnte man solchen Verbrechen vorbeugen?
Sibel Kekilli: Es geht um den Schutz einer Gemeinschaft vor einer Gesellschaft, in der sie sich nicht integriert fühlt. Hätte man die türkischen Zuwanderer besser integriert, käme sowas weniger vor. Ich habe sogar manchmal das Gefühl, dass die türkischen Väter, weil sie allein hier zurechtkommen mussten, bevor ihre Familien nachkamen, besser integriert sind als die Jugend, die Generation, die nach mir kommt. Zu meiner Schulzeit gab es nicht so viele Kopftücher. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat zu lange weggeguckt, weil sie gedacht haben, die Gastarbeiter gehen sowieso zurück. Die hierher kamen, mussten keinen Sprachkurs machen. Man hat erlaubt, dass die Mädchen nicht zum Schulsport gehen. Die Lehrer haben weggeguckt und eben nicht versucht zu integrieren oder, zum Beispiel, beim Elternabend einen türkischen Übersetzer zu stellen, das hat alles nicht funktioniert. Obwohl jeder weiß, dass nicht 16-jährige Söhne über den Ehrenmord entscheiden, ist jetzt zum ersten Mal ein Vater verurteilt worden. Oder der Religionsunterricht: Das beste wäre doch, wenn ein Lehrer über alle Religionen gleichberechtigt unterrichten würde. Wir hatten damals frei, als es Religionsunterricht gab. Das sollte ein Pflichtprogramm für alle sein. Und ich weiß von meinen türkischen Freunden, dass sie immer noch Schwierigkeiten haben, wenn sie sich am Telefon mit ihrem Namen melden, einen Wohnungsbesichtigungstermin zu kriegen.

Die Familie Umays, der Heldin in Die Fremde, die mit ihrem Kind vor ihrem Mann aus Istanbul nach Deutschland zu ihren Eltern geflohen ist, wird von Nachbarn und Freunden in Berlin geschnitten. Was ist denn so bedrohlich für die Gemeinschaft, wenn einer ausschert?
Sibel Kekilli: Die Angst davor, nicht mehr geehrt zu sein. Dass man sie nicht mehr als Oberhaupt der Familie anerkennt, weil sie ihre Kinder nicht unter Kontrolle haben. Dass man über Vater oder Bruder sagt: Das ist doch kein Mann. Der Familienzusammenhalt ist groß, aber sie können dem Druck von außen nicht Stand halten, wenn sie Angst haben, nicht geachtet zu werden. Dann lieber das Kind ziehen lassen. Dann denken die anderen, das haben sie gut gemacht. Um noch einmal auf Hatun Sürücü zurückzukommen: Nachdem sie tot war, ist man in eine Berliner Schule gegangen und hat die Kinder gefragt, was sie davon halten. Und dann haben doch tatsächlich einige Jungen gesagt, ja, wenn das meine Schwester wäre, hätte ich das auch gemacht.

Wie verhalten sich die Mütter in solchen Konflikten?
Sibel Kekilli: Wenn in der Familie was schief geht, ist die Mutter dafür verantwortlich. Die frühere Frauengeneration hatte ja nur die Kindererziehung. Wenn sie da versagt haben, hatten sie gar nichts mehr, wenn sie nicht sagen konnten, ich bin stolz, dass ich mein Kind so erzogen habe, wie der Vater und die Gesellschaft das wollten. Deswegen sind sie strenger als die Väter.

Die Männer fühlen sich dauernd bedroht, durch das, was man denkt, wie man sich anzieht, was man sagt. Sie sind eigentlich schwach, denken aber, wenn ich sie unter Kontrolle habe, bin ich stark. Eigentlich hätte es doch viel mehr Größe, wenn sie sagen würden, na und, das ist meine Frau, sie geht abends mit Freundinnen weg, wenn sie möchte, na und? Aber wenn man so viel Druck und andere Werte mit auf den Weg gekriegt hat, dann kann man das gar nicht ändern.

Sie engagieren sich in der Organisation „Terre des femmes“ gegen Gewalt an Frauen.
Sibel Kekilli: Ja, die gibt es leider überall. Es gibt zwar in der Türkei solche Sprüche wie „Da wo der Vater schlägt, wachsen Rosen“. Oder „Wenn man seine Tochter nicht geschlagen hat, dann schlägt man irgendwann sein Knie“. Weil die Frauen beim Weinen auf die Knie schlagen (Macht es vor.) Aber Gewalt gegen Frauen ist international.

In Die Fremde verliebt sich Umay in den Kollegen Stipe (Florian Lukas), der ganz anders ist als ihr Ehemann und ihre Brüder.
Sibel Kekilli: Ja, denn Umay kann bei Stipe sie selbst sein – keine Kontrolle, keine Gewalt. Dafür Kommunikation, Verständnis und Toleranz.

Wären das Eigenschaften, die Sie als Sibel Kekilli deutschen Männern zuschreiben?
Sibel Kekilli: Man soll das nicht verallgemeinern, aber ein deutscher Mann ist doch ein bisschen zurückhaltender, wenn es um Machtspielchen geht. Sie sind selbstbewusster in ihrer Männlichkeit. Sie wollen einen nicht besitzen und haben auch keine Angst vor selbständigen Frauen. Nicht alle, aber die meisten türkischen Männer sind von klein auf ein bisschen wie Paschas erzogen, und das macht sich bemerkbar.

Ich möchte aber schon, dass der Mann mir die Tür aufmacht und mir in den Mantel hilft und mir meine Tüten trägt. Das liebe ich an türkischen Männern, dass es selbstverständlich ist zu zahlen; man darf nicht mal daran denken, den Geldbeutel zu zücken. Dieses „machen wir mal Hälfte-Hälfte“ finde ich schrecklich! Dann zahle ich lieber.

Die deutschen Männer tun mir auch schon ein bisschen leid, die sind so „lost in space“, von diesen emanzipierten Müttern in den Siebziger Jahren erzogen. Man hat denen ein bisschen Männlichkeit weggenommen, indem man sich emanzipiert hat, und dann haben sie Probleme und wissen nicht, wenn sie mir jetzt die Tür aufhalten, ob das gut oder schlecht ist.  Aber das ist ja auch schwierig mit den Frauen heutzutage!