Tulpan

Filmkritik

Tulpan

| Bettina Schuler |

Poetische Betrachtung des Lebens in den Weiten Kasachstans

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Die Schönheit dieser Landschaft ist auf den ersten Blick nur schwer ersichtlich: Karg, dürr, zerzaust vom Wind ist in diesem Meer aus Sand nur einzelnes Gestrüpp zu sehen. Alles zusammen eine Gegend, die alles andere als einladend wirkt, und an der dennoch das Herz des ehemaligen Matrose Asa hängt. Auf der Rückseite seines Seemannskragens hat der Matrose seinen Traum von einem Leben in der kasachischen Steppe gezeichnet: eine einfache Jurte, mit einer Schafherde unter dem Sternenzelt. Dieses Bild zeigt er Tulpan, dem einzigen Mädchen, das noch unverheiratet in der Steppe lebt und dessen Ja-Wort der übereifrige Asa benötigt, um seine Familie zu verlassen und sich eine eigene Existenz als Schafhirte aufzubauen. Denn nur verheirateten Männern steht laut Tradition eine Herde zu. Doch bei der Realisierung seines Traums stehen ihm seine abstehenden Ohren im Weg, die Tulpan als Ausrede benutzt, um seinen Antrag abzulehnen. Ein Nein, das der unbeholfene Asa nicht bereit ist zu akzeptieren.

Auch wenn das Setting und die Thematik es nahe legen, versucht Tulpan keineswegs, vom Erfolg von Die Geschichte vom weinenden Kamel zu profitieren. Denn im Gegensatz zum märchenhaften Grundton jenes Films versucht Regisseur Sergey Dvortsevoy mit Tulpan jegliche Romantisierung dieses Nomadenlebens zu umgehen und es nüchtern und deutlich darzustellen: hart, voller Entbehrungen und sehr schlicht. Eine Erzählweise, die sicher auch von seinen bisherigen Arbeiten als Dokumentarfilmer beeinflusst ist. Doch Tulpan bietet nicht nur einen Blick hinter die Fassade des romantisierten Steppenlebens. Vielmehr ist die Geschichte von Asa eine Parabel für die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, das man gerne mit einem ganz bestimmten Ziel verknüpft. Und das, wenn man es denn erreicht, nicht selten seinen Glanz verliert, weil die Zufriedenheit nur durch einen selbst Einzug in das Leben hält. Das Mädchen Tulpan steht dabei als Symbol für dieses idealisierte Ziel, das – umso ferner es rückt – an Reiz gewinnt, weil es eine Aura der Unerreichbarkeit umgibt. Ein Prinzip, das Dvortsevoy mit Tulpan auf die Spitze treibt, indem er weder dem Zuschauer noch Asa je ihr Gesicht zeigt, wodurch das Mädchen für beide zur perfekten Projektionsfläche aller Wünsche wird. Ein poetischer Film, der seinen Witz aus der Unbeholfenheit seines Helden und der absurden Lebenssituation in der Wüste zieht. Da passiert es einem Tierarzt schon einmal, dass er ein verletztes Kameljunges in seinem Motorrad durch die Wüste kutschiert, während dessen Mutter brav hinter ihm her galoppiert.