Antoine Fuqua zeigt in „Brooklyn’s Finest“ Polizeiarbeit als Höllentrip.
Eddie – Streifenpolizist – hat noch eine Woche bis zur Pensionierung.
Sal – Angehöriger eines Sondereinsatzkommandos – stellt bei Razzien Rauschgift und Geld sicher.
Tango – Undercover-Cop – ermittelt seit drei Jahren in der Drogenszene.
Ort der Handlung ist East Brooklyn, New York, genauer, das Van Dyke Housing Project in Brownsville, 23 Gebäude inmitten weiterer Sozialbausiedlungen, das, was man „sozialer Brennpunkt“ nennt.
Wenn Eddie (Richard Gere) morgens aufwacht, gilt sein erster Griff der Whisky-Flasche und sein zweiter der Pistole. Er schiebt sich den Lauf in den Mund und drückt ab. Leeres Klicken. Noch sieben Tage, bis Eddie nicht mehr Polizist sein muss. Sals (Ethan Hawke) wache Stunden sind mit Sorgen gefüllt: Seine Frau ist mit Zwillingen schwanger und bald schon werden sieben Kinder das viel zu kleine Haus bevölkern, dessen schimmlige Wände die asthmakranke Mutter noch kränker machen. Tango (Don Cheadle) will nur noch raus aus dem Milieu der mit Goldketten behängten, großmäuligen Gangsta, deren Leben jederzeit verwirkt sein kann. Er hat die Nase voll, er hält es nicht mehr aus, er weiß nicht mehr weiter. Das verbindet ihn mit Eddie und Sal. Verbindet Sal mit Tango und Eddie. Verbindet Eddie mit Tango und Sal.
Die Stimmung in Antoine Fuquas Brooklyn’s Finest ist von Beginn an trostlos und von Resignation geprägt. Sie hellt sich auch nicht auf. Nicht zwischendurch, und schon gar nicht am Ende. Kein metaphorischer Lichtstreifen am Horizont macht sich breit, als Eddies erster Tag als Pensionist anbricht. An seinem letzten Tag als Polizist ist noch einmal viel Blut geflossen, ja, im Grunde steigt Eddie aus einem reinigenden Blutbad heraus in seinen neuen Lebensabschnitt. Aber es interessiert niemanden, ob da ein Held in den Sonnenaufgang geht, oder wer da überhaupt geht, und ob er böse oder gute Taten vollbracht hat. Dabei hat Eddie in dieser Nacht drei Sexsklavinnen aus ihrer männergemachten Hölle befreit. – Doch die Zeiten des Taxi Driver sind vorbei und solch ein scheinbar edelmütiger Akt bringt weder Titelschlagzeilen noch Heldenstatus ein.
Die „Helden“ von Brooklyn’s Finest sind schon lange keine mehr. Ihr Gesetzeshüten beschränkt sich darauf, den eigenen Arsch zu retten und darüber hinaus, vielleicht, das eine oder andere Schäfchen ins Trockene zu bringen. Sal zum Beispiel hält dem materiellen Druck, der auf seiner Familie lastet, nicht mehr stand und erliegt der Versuchung des am Arbeitsplatz herumliegenden Drogengeldes. Die Anzahlung für das größere Haus, das er so dringend braucht, ist fällig und Sal lässt alle Skrupel fahren, um sie zu beschaffen. Tango wiederum hat Land in Sicht. Ein letzter Auftrag noch will erledigt werden, bevor er die Straßen Brooklyns gegen einen Platz am Schreibtisch tauschen darf. Doch dieser Auftrag besteht ausgerechnet im Verrat an Dealer Caz (Wesley Snipes), der Tango einst das Leben gerettet hat.
Robert Wilonsky schreibt in der „Village Voice“, Fuquas Film sei ein Mix aus drei Polizeifilmen, die man alle schon mal besser inszeniert gesehen habe. A.O. Scott nennt Brooklyn’s Finest in der „New York Times“ „an infernal triptych of panic, defeat and good intentions gone bad“. Allgemein war die US-amerikanische Presse alles andere als begeistert. Der häufig gezogene Vergleich zwischen Brooklyn’s Finest und Fuquas in Los Angeles angesiedeltem Polizeidrama Training Day – das Denzel Washington in der Rolle des mörderisch korrupten Detectives Alonzo Harris 2002 den lang verdienten Hauptrollen-Oscar einbrachte und Ethan Hawke in der seines unerfahrenen Partners eine Nominierung als bester Nebendarsteller – fiel zu Ungunsten des ersteren aus. Vor allem aber schossen sich die Ablehnungs-Salven auf Michael C. Martins Drehbuch ein, übrigens dessen erstes.
Zugegeben, es ist gewöhnungsbedürftig. Die dunklen und verschlungenen Wege der drei Hauptfiguren laufen nebeneinander her und schließlich aufeinander zu. Dann kulminieren die Ereignisse auf außerordentlich konstruierte, die Glaubwürdigkeit der Geschichte stark strapazierende Weise. Zahlreiche Kugeln schlagen in zahlreiche Körper ein und geben der Frage Raum, was zum Teufel Martin geritten haben mag, als er sich diesen finalen Rundumschlag ausdachte. Ein irrationales Sehnen nach guter alter Katharsis?
Am Ende muss aufgeräumt werden, soviel ist klar. Doch das große Aufräumen muss nicht immer den Gesetzen der Logik gehorchen. Es muss auch nicht realistisch und wahrscheinlich sein, wenn es eine Erzählung abschließt, die sich aus Zuspitzungen zusammensetzt. Immerhin lassen Fuqua und Martin an keiner Stelle den Verdacht aufkommen, mit Brooklyn’s Finest den Polizeifilm neu erfinden zu wollen. Deswegen tut ihnen unrecht, wer nur ein Konglomerat aus sattsam bekannten, kreuz und quer aneinander montierten Versatzstücken sieht, die ein schiefes Bild ergeben. Möglicherweise ergibt ja das schiefe Bild ein neues, und liegt die Bedeutung des Films nicht in dem, was er erzählt, sondern wie er es erzählt und welche Atmosphäre er damit erzeugt.
Die Atmosphäre ist, wie gesagt, profund negativ. Sie ist explosiv, gestresst, aggressiv. Sie verzeiht keine Fehler und keine Zeichen von Schwäche. Der Druck, der auf den Männern lastet, die im 65th Precinct schlecht bezahlt ihrer Arbeit nachgehen, ist groß und immer präsent. Die einzelnen Szenen, die sie in ihrem Alltag zeigen, sind wie Mosaiksteinchen, die scharfkantig aufeinander stoßen und sich schmerzhaft aneinander reiben. Eskalation ist unausweichlich. Deutlich wird das zum Beispiel, als Eddie gemeinsam mit einem Neuling zu einem Ladendiebstahl gerufen wird. Der Dieb lässt einen unflätigen Strom auf die Cops niedergehen, auf Geschrei folgt Tumult folgt Gerangel folgt der verhängnisvolle Schuss. Blitzschnell geht das. Und die Frage ist hier nicht, wie wahrscheinlich die einzelnen Eskalationsschritte sind, entscheidend ist vielmehr die punktgenaue Sicherheit, mit der in dieser Szene ein gesellschaftliches Verhältnis zum Ausdruck gebracht wird: das Verhältnis zwischen Gesetzesvertreter und Getto-Bewohner, bestimmt von der gegenseitigen Wahrnehmung als „Fucking Pig!“ respektive „Dirty Nigger!“, geprägt von offener Feindseligkeit und einer latenten Gewaltbereitschaft, die jederzeit in Gewaltanwendung umschlagen kann.
Michael C. Martin ist nicht weit von dort aufgewachsen, wo der Film spielt, er weiß also, wovon er spricht. Der Umstand, dass Antoine Fuqua an Originalschauplätzen drehte – nicht ohne sich dabei gegen Widerstände offizieller Stellen durchsetzen zu müssen, die vor Dreharbeiten in einer derart gefährlichen Gegend warnten – verstärkt den Eindruck von Authentizität. Brooklyn’s Finest mag kein narrativer Weitwurf sein, aber er ist voller Farbe und Leben und Aufrichtigkeit und stimmiger Details. Und er bietet sehenswerte Schauspieler, die sich ohne Rückhalt der traurigen Geschichte anvertrauen. Weil es eine Geschichte ist, die in der Wirklichkeit gründet. Wild erfunden zwar, doch fest verwurzelt.