ray Filmmagazin » Filmkritiken » Im Bazar der Geschlechter
Im Bazar der Geschlechter

Filmkritik

Im Bazar der Geschlechter

| Günter Pscheider |

Sehr unterhaltsame Doku über das ernste Thema der Zeitehe im Iran

Werbung

Das im schiitischen Islam gebräuchliche Phänomen der Zeitehe steht im Mittelpunkt des neuen Films von Sudabeh Mortezai. Weil die Religion im Gottesstaat Iran auch die Sexualität der Menschen reglementiert – Geschlechtsverkehr von Unverheirateten wird mit Peitschenhieben, Ehebruch mit Steinigung bestraft – hat sich das komplexe Schlupfloch der Ehe für die Dauer von einer Stunde bis 99 Jahren etabliert.

Von einem pragmatischen Standounkt aus gesehen, profitieren alle Beteiligten von dieser Form des legalisierten Mätressentums: Die Mullahs haben die Kontrolle und einen kleinen Zugewinn, denn schließlich ist das Abschließen einer Zeitehe nicht gratis. Junge Männer können so erste sexuelle Erfahrungen machen, und für viele geschiedene Frauen ab 30 sind die damit einhergehenden (geringen) Unterhaltszahlungen die einzige Möglichkeit, zu überleben. Dass sich aber in der Praxis durch die Zeitehe die Abhängigkeit der Frauen von der Gunst der Männer nur verstärkt, versteht sich von selbst.

Ein hierzulande wenig bekanntes, sehr spannendes Thema allein macht noch keinen guten Dokumentarfilm aus. Deshalb tut die Regisseurin gut daran, die Menschen in den Mittelpunkt ihres Films zu stellen. Als ein wahrer Glücksfall bei der Auswahl der Protagonistinnen und Protagonisten erweist sich dabei die Figur eines jungen Mullahs, der als religiöse Instanz durch den Film führt und anhand dessen innerer Zerrissenheit man einen guten Einblick in den Alltag des Islam bekommt. Einerseits scheint er bedingungslos an absurd anmutende Rituale – wie eine telefonische Beratungsstunde seines Lehrers, bei der er ähnlich einem Fernseh-Sterndeuter völlig willkürlich die Zukunft der Ratsuchenden vorhersagt – zu glauben. Andererseits besitzt er einen gewissen Grad an Selbstironie, er erscheint ein wenig als Bindeglied zwischen mittelalterlichen Strukturen und der Moderne.

Vor den starken Frauen, die sich in einem Cafe über ihn lustig machen, scheint er allerdings einen Heidenrespekt zu haben. Sie tragen durch ihren Humor und ihr Durchhaltevermögen – als verwitwete bzw. generell unverheiratete Frau mittleren Alters gilt man in dieser patriarchalischen Gesellschaft nichts – sehr zur positiven Grundstimmung des Filmes bei. Und wenn man der eigentlichen Heldin der Geschichte, einer geschiedenen, allein erziehenden Mutter, dabei zusieht, mit wie viel Humor und Herz sie sich dem Kampf mit den Männern und dem System mit Hilfe ihrer Freundinnen stellt, wird klar, dass diese Frauen niemals klein beigeben werden. Dieses Regime kann auf lange Sicht nicht gewinnen.