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New Black CInema | Precious

Abschied von der Macho-Pose

| Gunnar Landsgesell |

Was wurde eigentlich aus dem New Black Cinema? Hat es sich in der Perspektivlosigkeit des Ghetto-Films selbst erschöpft? Das emotional wuchtige, dennoch hoch sensible Familiendrama „Precious“ scheint jedenfalls Ausdruck eines Perspektivenwechsels.

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Im afro-amerikanischen Kino der vergangenen 20 Jahre dominierten das soziale Milieu der Unterschicht und Perspektiven der Männlichkeit. Den Rausch testosterongetränkter Filme wie John Singletons Boyz n the Hood (1991) und Menace II Society (1993) der Hughes-Brüder konnten diverse Epigonen noch jahrelang auskosten. Die Ghetto-Filmer prosteten sich in ihren vor Härte und Maskulinität strotzenden Filmposen zu. Dann kam der Kater. Das New Black Cinema hatte den Drive, vor allem ob der hartnäckigen Festschreibung des eigenen Elends, die Perspektiven verloren. Vermutlich ist nur einigen wenigen dieser Filmemacher-Generation gedämmert, dass man damals, Anfang der Neunziger Jahre, zu Beginn des Ghetto-Film-Hypes, die falsche Wegkreuzung genommen hatte. Singleton oder auch Allen und Albert Hughes dürften Spike Lees Initialwerk Do the Right Thing (1989) irgendwie missverstanden haben. Während Lee mit seinen Filmen thematisch ein ganzes Spektrum afro-amerikanischer Lebenserfahrungen abzustecken versuchte, scheint sich vor allem die bescheidene Weltsicht des Burschen mit dem überdimensionalen Ghettoblaster, Radio Raheem (Bill Nunn) aus Do the Right Thing, durchgesetzt zu haben. Love und Hate hatte dieser auf seinen Händen tätowiert. Motive wie Gewalt und Rache ließen sich in einer Welt aus Gut und Böse, aus Recht und Entrechtung, aus Schwarz und Weiß dramaturgisch wesentlich besser in die Handlung integrieren. Das Ghetto wurde zu einem Topos, der sich auch oder vor allem an ein weißes Publikum bestens verkaufen ließ. Die schwarzen Actiondramen entwickelten eine Rhetorik der Selbstdegradierung, die ideal zur Gangster-Grammatik des Rap passte. Das New Black Cinema lieferte den machistischen, homophoben Parolen des Hip Hop – der in wenigen Jahren zur umsatzstärksten Sparte des Popmusikgeschäfts wuchs – schon bald die nötigen Bilder. In Zeiten der Crack-Hochkonjunktur rückten Männer als Drogendealer und Straßenkämpfer in den Mittelpunkt, die, so will es die Dramaturgie, mit einem Bein immer im Gefängnis stehen. Ihre Street-credibility stieg hoch im Kurs, Mode, Gangart, Sprache verhießen zugleich dem schwarzen Publikum die Chance, sich mit ebensolchen Identitäten ausstaffieren zu können. Bedeutsam zu werden. Die anti-intellektuelle Haltung, die hier propagiert wurde, nahm in den Augen kritischer afro-amerikanischer Künstler die Züge eines New Minstrel an. Das waren die Shows, in denen schwarze Amerikaner auf der Bühne zur Belustigung des weißen Publikums in Blackface stereotype Rollen spielten. Die Gangleader und Sprücheklopfer (als harmlose Variante: Eddie Murphy) des New Black Cinema aktivierten in den Augen schwarzer Intellektueller wie Henry Louis Gates Jr. oder Cornel West Rollenbilder aus der Blaxploitation-Ära, wenn nicht aus dem 19. Jahrhundert. Nunmehr freiwillig (ohne weiße Regisseure), mit den Straßen von L.A. und New York als Bühne.

Richtungswechsel: Precious

In diesem kulturellen Leitsystem muss ein Film wie Precious einschlagen wie eine Bombe. Der Leidfaktor der Protagonistin spottet jeden geschundenen Ghetto-Helden Hohn. Vom Vater mehrfach vergewaltigt, schwanger, HIV-positiv, von der drogenkranken Mutter misshandelt, auf niedrigen Selbstwert trainiert, Analphabetin: So hat die Autorin Sapphire ihre zentrale Akteurin Claireece „Precious“ Jones als Persönlichkeitstorso in die Welt geworfen. Der literarische Shooting-Star mit queerem Hintergrund hat dabei zu Recht jahrelang mit den Filmrechten für „Push“, so der Originaltitel, zugewartet. Regisseur Lee Daniels ist sensibel verfahren und hat dem harten sozialen Realismus des Stoffes einen fast magischen Schimmer verliehen. Der Film fokussiert ganz auf Precious’ Abnabelung aus einer destruktiven Welt, die einem Exorzismus auf Raten gleicht. Die Teufel der Mutter versuchen zu stören und zerstören, aber es gelingt ihnen nicht, das Narrativ zu kapern. Das große Verdienst des 50-jährigen Lee Daniels ist es, die persönliche Stärke und Neugier seiner Akteurin gegen deren drohende Viktimisierung zu positionieren. Das Buch hilft dabei, bietet – außerhalb des Privaten – erstaunlich viel positiven Support, etwa durch eine engagierte Lehrerin oder das Sozialamt. Wie aus Sorge um die emotionale Wucht seiner Inszenierung scheint der Regisseur diese immer wieder bewusst zu brechen. Durch einen Score der frei von Zynismus bis zum Gospel führt, in Blick-Irritationen wie etwa Jump Cuts oder künstlich gehaltenen Oberflächen, auch durch die kurzen Glamour-Fantasien, in die sich Precious in besonders harschen Momenten flüchtet. Während das Verhältnis der jungen Frau zu ihrem Umfeld – öfter in Blickkontakten als Dialogen – von Skepsis geprägt ist, bauen ihre kurzen Erinnerungen, im Voice Over erzählt, zum Publikum ein vertrauensvolles Verhältnis auf. Dieses wiederum kann sich angesichts der Zumutungen des Films auch an deren Worten festhalten. Vieles dieses Films, die Besetzung der Laiendarstellerin Gabourey Sidibe für die Hauptrolle, die eigenwillige Dramaturgie und Ästhetik, der schwarze Cast lassen den Film als kleine Independent-Produktion erscheinen. In Deutschland fand er etwa bis zur Oscar-Gala keinen Verleih. Tatsächlich ist die Produktion bestens kalkuliert: Die Standup Comedian Mo’Nique (als Mutter) ist etwa so eine Größe wie Talkmaster Jay Leno von NBC. Mit der ganz uneitlen Mariah Carey konnte der Ausfall von Helen Mirren bestens ersetzt werden. Lenny Kravitz in der kleinen Rolle eines Pflegers bringt Bonuspunkte. Superstar Oprah Winfrey hat produziert. Lee Daniels selbst hatte bereits als Produzent von Monster’s Ball und dem Pädophilie-Drama The Woodsman mit Kevin Bacon Erfahrung gesammelt. An den Kinokassen in den USA lief der Film sensationell. Gemessen am Referenzrahmen des Black Cinema, das im Lauf der Zeit verschiedentlich definiert wurde, jedoch als Konstante immer die Ausschließlichkeit der Erfahrung als schwarzer Amerikaner beinhaltete, fällt der Film just dadurch auf, dass er eben nicht exklusiv aus einer afro-amerikanischen Sicht besteht. Die erfahrene Degradierung (auch der Mutter) kann, muss aber nicht als verschobenes Muster für Rassismus gesehen werden. Viel wichtiger ist die Kritik an patriarchalen Verhältnissen, nicht umsonst wird die einzige uneingeschränkte Täterschaft dem abwesenden Vater zugeschrieben, um sich ausführlich mit den Auswirkungen (der „Opfer“) zu beschäftigen. Damit schließt sich der Kreis zum New Black Cinema: Maskulinität wird hier zu einem abstrakten Anstoß für Leid, der Schauplatz der Straße als authentischer Ort von Männlichkeit wird zugunsten geschlossener Räume, „Rückzugsräume“ von Frauen aufgegeben, die Erzählung selbst löst sich zugunsten einer allgemeineren Bedeutungsmöglichkeit in einem farbenblinden (colorblind) Repräsentationsmuster auf.

Post-New-Black-Cinema

Familie nahm im Black Cinema immer schon bedeutenden Raum ein. Michael Schultz schleuste in Carbon Copy (1981) Denzel Washington (in seiner ersten Rolle) als unehelichen schwarzen Sohn in eine distinktive weiße Millionärsfamilie ein und sorgt für den sozialen Totalabsturz des Familienvaters mit anschließend geläuterter Persönlichkeit. Nicht anders geht es einem notorischen Rassisten in Melvin Van Peebles Watermelon Man (1970), der sich aufgrund einer Pigmenterkrankung langsam zum Afro-Amerikaner verwandelt. Aber so wie etwa auch in Philip Leacocks Take a Giant Step (1959; schwarze Familie steigt in den Mittelstand auf, bleibt aber isoliert) oder in Spike Lees autobiografisch gefärbter Sechziger-Jahre-Familienglorifizierung Crooklyn (1994) gaben fast immer die gesellschaftliche Außenseiterposition in Verbindung mit Rassismus die Perspektive vor. Erst in den vergangenen Jahren hat das Black Cinema die „andere“ Wegabzweigung genommen. Nicht, wie erwähnt, von Do the Right Thing, sondern von Spike Lees queerer, eigentlich auch schon farbenblinder Familiendekonstruktion She’s Gotta Have It (1986). Nach Blaxploitation, Ghetto-Filmen, einer Reihe unterschiedlich gelungener Umcodierungen (Morgan Freeman als Gott in Evan Almighty – 2007; Chris Rock als US-Präsident in Head of State – 2003) und einer Besetzungspolitik in Hollywood, die nicht länger den Stereotypien von „Coons“ und „Mammies“ folgt, finden sich jüngst eine Reihe von Filmen, die den engen Rahmen von Ethnizität ganz selbstverständlich verlassen. Besonders auffällig etwa Barry Jenkins’ Medicine for Melancholy (2008), der die Annäherungsversuche zweier junger Menschen nach einem One-Night-Stand vorwiegend vor dem Hintergrund ihres sozialen Milieus und ihrem Verhältnis zur Stadt (weder New York noch L.A., sondern bezeichnenderweise San Francisco wird mit dem Rad durchfahren) erzählt, und der eher nebenbei black experience ins Spiel bringt. In Ballast (2008) rollt Lance Hammer ein kleines Familiendrama nach einem Selbstmord aus dem Subproletariat in Mississippi auf, das genauso gut in einem Trailerpark weißer Amerikaner im Bundesstaat Washington spielen könnte. An die Nacktheit des Menschen und dessen in Not eng begrenzte Perspektiven erinnert etwa Chop Shop (2007), in dem Ramin Bahrani einen kleinen schwarzen Jungen zeigt, der mit seiner Schwester im hinteren Teil einer Werkstatt haust und für eine andere Zukunft arbeitet, anstatt in die Schule zu gehen. Kein Film von absichtlicher Grausamkeit, ein Film von unten im Stil des Neoverismo. Nicht wenige dieser neuen Generation von Filmemachern kommen aus künstlerischen Zusammenhängen, so auch Rashaad Ernesto Green, der bereits als der neue Spike Lee gefeiert wird. Bisher hat er eine Reihe von engagierten Kurzfilmen vorgelegt, im mehrfach ausgezeichneten Premature (2008) wird eine schwarze Teenagerin in der Bronx schwanger, kann aber auf keinerlei Unterstützung der „Community“ zählen. Einer der produktivsten und erfolgreichsten Filmemacher der letzten Jahre ist der dennoch relativ unbekannte Autor und Regisseur Tyler Perry. Sein Zielpublikum definiert er so: Afro-Amerikaner, Kirchengänger, Working Class und vor allem Frauen. Mit seinen acht Spielfilmen hat er fast eine halbe Milliarde Dollar eingespielt und hält einen der höchsten Durchschnittswerte im National box office der USA. Keine Meisterwerke, sagt die Kritik zu Filmen wie Madea Goes to Jail (2008), in dem Perry die eigene Großmutter spielt. Tatsächlich ist Perry aber mit der Formel erfolgreich, vordergründigen Klamauk mit ernsthaften Grundthemen zu verbinden. Das erinnert weniger an ein schwarzes Kino im Spannungsfeld von Martin Luther King und Malcolm X als an die Arbeit der Farrelly-Brüder.