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Filmverwertung

Filmvertrieb

Vom Himmel gefallen

| Andreas Ungerböck |

Filme werden in Hollywood mit großen Stars gedreht, dann sind sie einfach da, und man schaut sie sich im Kino an. Später kauft man sie auf DVD oder leiht sie aus. Oder doch nicht? Ein Überblick zu Geschichte und Gegenwart der klassischen Filmverwertung.

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Würde man die Besucherinnen und Besucher in einem der großen Multiplex-Kinocenter fragen, wie es denn komme, dass sie sich in den nächsten zwei Stunden, ausgestattet mit einer Tüte Popcorn und einem Softdrink, einen Film anschauen können, würde man vermutlich auf blankes Unverständnis stoßen. Während sich jeder Mensch in etwa vorstellen kann, wie sein Mitsubishi oder sein VW Golf den Weg ins nächstgelegene Autogeschäft findet, ist die Kette von Vorgängen und Entscheidungen, die ein Film von seiner Planung bis hin zur Kinoauswertung durchläuft, für die meisten unbekannt. Die Vorstellung, Filme fielen punktgenau vor dem Kino vom Himmel, würden vom Vorführer in die Kabine getragen und abgespielt, dürfte für viele Kinozuschauer gar nicht so abwegig sein.

Made in Hollywood

Dass die Filmindustrie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, nicht nur, aber vor allem in den USA, ist eine Tatsache, die sich mit eindrucksvollen Zahlen belegen lässt. 2,5 Millionen zumeist mittelständische Jobs in den Vereinigten Staaten haben unmittelbar mit dem Filmgeschäft zu tun, der jährliche Beitrag zur US-Volkswirtschaft betrug allein im Jahr 2008 rund 80 Milliarden Dollar, das Steueraufkommen aus der Filmwirtschaft etwa 13 Milliarden Dollar. Als einzige Branche, so rühmt sich die Motion Picture Association of America (MPAA), erwirtschaftet die US-Filmindustrie in allen Ländern der Welt, in denen sie tätig wird, eine positive Bilanz. Allein 2008 betrug der Handelsbilanzüberschuss im Filmbereich rund 14 Milliarden Dollar. Diese positive Bilanz resultiert aus der weltweiten Verwertung der Filme. Schließlich müssen die Produzenten eines Films darauf schauen, dass sie das Kapital, das sie investiert haben, zurückbekommen, oder – noch besser – dass sie für ihr finanzielles Risiko mit satten Gewinnen belohnt werden. James Camerons Avatar (2009) ist bekanntlich mit geschätzten 240 Millionen Dollar Produktionskosten der bis dato teuerste Film aller Zeiten; das sind aber nur Peanuts, wenn man bedenkt, dass der Film allein in den USA mehr als 740 Millionen eingespielt hat, weltweit waren es mit Stand Mitte März 2,64 Milliarden Dollar.

Der Siegeszug Hollywoods aber begann schon fast hundert Jahre früher, als aus dem noch jungen Medium Film ein florierender Wirtschaftszweig mit unerhörter Anziehungskraft auf das zahlende Publikum wurde. Bereits in den 1910er und 1920er Jahren, im ersten Goldenen Zeitalter Hollywoods, wurden jene Strukturen etabliert, die sich – über alle Zeitläufe, Wirtschaftskrisen, Kriege, ökonomische Revolutionen, die Einführung des Fernsehens usw. hinweg – im Grunde bis heute erhalten haben. Mit der Gründung von Paramount Pictures im Mai 1912 (damals noch als Famous Players Film Company) durch den gebürtigen Ungarn Adolph Zukor begann der lange Zeit unaufhaltsame Aufstieg des Studiosystems. Wie all die großen Filmmogule der Anfangszeit erkannte Zukor das ungeheure Potenzial des Kinos schon sehr früh. Und er machte sich daran, eine lückenlose Verwertungskette zu schaffen. Zwischen Filmproduktion und Kino schaltete er eine Instanz, die bis heute eine zentrale Rolle spielt: den Filmverleih, die distribution company, deren Aufgabe es ist, den Produzenten in Sachen Filmvertrieb zu entlasten, sich um Bewerbung, Marketing und Disposition der Filme zu kümmern. Das funktionierte auf Anhieb. Da Zukor als Produzent einige der größten Stars unter Vertrag hatte, konnte er via hauseigenem Vertrieb die Kinobetreiber (der Kinomarkt in den USA explodierte in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts förmlich) gehörig unter Druck setzen. Mittels des so genannten block booking wurden die Kinos verpflichtet, die gesamte Jahresproduktion von Paramount quasi unbesehen zu übernehmen und zu zeigen, wollten sie die Filme mit den Zuschauermagneten bekommen. Doch Stars wie Mary Pickford, Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks Sr. und der Regisseur D.W. Griffith verabscheuten diese Praxis und gründeten gemeinsam 1919 die heute legendäre Firma United Artists, eine Maßnahme, die so etwas wie den Beginn der Independent-Filmproduktion in den USA darstellte. Zukor, auf der anderen Seite bedrängt vom First National Exhibitors’ Circuit (einem Zusammenschluss unabhängiger Kinobetreiber, die sich gegen das block booking zu wehren begannen), engagierte sich daraufhin selbst vehement auf dem Kinomarkt. Bis zu 2.000 Kinos hatte er zeitweilig zur Verfügung.

Das block booking rief auch die Behörden auf den Plan. Bereits 1921 begann die Federal Trade Commission mit ihren Untersuchungen in dieser Sache und bezeichnete die Praktiken als unzulässig und unfair. Es sollte jedoch bis 1930 dauern, ehe Paramount und die anderen inzwischen entstandenen Studios der Monopolisierung angeklagt wurden. Der Fall, auch als „Paramount Case“ bekannt geworden, schleppte sich wegen der Weltwirtschaftskrise und des Kriegsbeginns, aber auch bedingt durch immer neue juristische Winkelzüge und Finten der Studios bis ins Jahr 1948, als schließlich der US-Supreme Court dem block booking ein für allemal einen Riegel vorschob und somit auch das klassische Hollywood-Studiosystem mehr oder weniger zum Einsturz brachte. Die Society of Independent Motion Picture Producers (SIMPP), der – siehe oben – auch Mary Pickford angehörte, spielte eine wesentliche Rolle dabei, das Quasi-Monopol zu Fall zu bringen. Die großen Studios, denen zeitweilig (direkt oder indirekt) 17 Prozent der Kinos in den USA gehört hatten, mit denen sie fast 50 Prozent der Einspielergebnisse für sich lukrierten, wurden gezwungen, sich ihrer Kinos zu entäußern. Die vertical integration, wie das so schön heißt, hatte zumindest im Filmbereich ein Ende gefunden.

Hollywood vs. Arthouse

Warum dieser längliche Exkurs gleich zu Beginn? Weil Hollywood, konservativ wie es nun einmal ist, sich, zumindest was die internationale Verwertung seiner Filme betrifft, kaum verändert hat. Die heute noch existierenden großen Hollywood-Studios – Universal, Paramount, Disney, Warner, Sony (ehemals Columbia), Twentieth Century Fox, um nur die wichtigsten zu nennen – haben heute Filialen in aller Herren Länder und vertreiben auf diesem Weg ihre Filme direkt, ohne Umwege. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten Länder Europas, aber auch Asiens, flächendeckend ins Hollywood-Vertriebssystem eingemeindet. Auch in Österreich sind die Majors nach wie vor vertreten. War Wien während des Kalten Krieges der letzte Außenposten hin zum Ostblock, so mutet es heute ein wenig verwunderlich an, dass diese Zweigstellen noch nicht dem Sparstift zum Opfer gefallen sind und der kleine österreichische Markt nicht von Deutschland aus „betreut“ wird.

Die Dominanz Hollywoods auf dem globalen Filmmarkt ist erdrückend. Im Durchschnitt (und Österreich ist ein typisches Beispiel dafür) schöpfen US-Filme (und von diesen wieder nur zehn bis zwölf pro Jahr, die so genannten Blockbuster) an die 90 Prozent der Einnahmen an den Kinokassen ab. Selten gelingt es einem europäischen oder österreichischen Film, sich unter die zehn kommerziell erfolgreichsten Produkte eines Jahres zu schmuggeln. Im Regelfall sind neun von zehn Top-Ten-Filmen amerikanischen Ursprungs, oft aber auch alle zehn. In ihrer internationalen Vertriebstätigkeit sind die Major Studios streng zentralistisch organisiert. Von der Werbelinie, die eingeschlagen wird, über das Werbebudget bis hin zum Starttermin eines Films, der in letzter Zeit immer öfter – auf Grund der wachsenden Angst vor Filmpiraterie – weltweit am selben Tag erfolgt, ist alles reglementiert. Kleine Ausnahmen, wie etwa die österreichischen Synchronfassungen von Filmen wie Cars oder Up, die von der heimischen Disney-Filiale angefertigt wurden, bestätigen die Regel.

In seinen Hegemonie-Bestrebungen ist Hollywood hartnäckig. Die wenigen Bastionen, die es vor einiger Zeit noch gab, beginnen zu bröckeln. Besonders traditionell gegenüber der einheimischen Filmindustrie protektionistische Länder wie Frankreich oder Südkorea (wo man längere Zeit eine Quotenregelung für die Einfuhr US-amerikanischer Filme aufrechterhalten hatte und schon mal mit im Kinosaal ausgesetzten Schlangen gegen die US-Dominanz vorging), werden von der MPAA regelmäßig attackiert. Andere Regionen wie Hongkong, in denen sich lokale Filme gegen die Übermacht Hollywoods lange erfolgreich behaupten konnten, sind mittlerweile gekippt.

Die gute Nachricht ist, dass Hollywood allein nicht das ganze filmische Spektrum abdeckt. In Europa, in Asien und Lateinamerika gibt es bekanntlich auch hervorragende Filmemacherinnen und Filmemacher. Deren Produkte an das Kinopublikum zu bringen, ist allerdings bedeutend schwieriger und komplexer. Auf diesem Gebiet befassen sich Weltvertriebe (World Sales Agents) mit der Erstverwertung der Filme. Sie zahlen an die Produzenten zum Teil so genannte Minimum-Garantien, oft bereits in einem sehr frühen Stadium – dieses Geld wird durchaus schon zu einem Faktor der Finanzierung –, um sich die Weltrechte für Erfolg versprechende Filme entsprechend früh zu sichern. Auf den großen Filmmessen der Welt (etwa dem American Film Market in Santa Monica, bei der Berlinale, in Cannes oder bei der MIFED in Mailand), bei Festivals, aber auch mit Hilfe einer Art „Stammkundensystem“ versucht nun der Weltvertrieb, den Film zu einem guten Preis an die Vertriebe in den einzelnen Länder bzw. „Territorien“ (Österreich, Deutschland und die Schweiz etwa bilden im Fachjargon ein „Territorium“) zu verkaufen. Österreich ist dabei stark an Deutschland orientiert; Filme, die in Deutschland keinen Vertrieb finden, kommen in der Regel auch nicht nach Österreich. Je früher ein Käufer dran ist, desto besser sind seine Chancen, den Film zu bekommen. Zum Teil erfolgt der Kauf schon im Drehbuchstadium und manchmal noch bevor die Besetzung feststeht. Das ist natürlich riskant, es ist aber oft die einzige Möglichkeit, den Film zu erwerben. Wie wichtig Weltvertriebe sind bzw. sein können, sieht man an der Rolle, die die zunächst in Amsterdam und später auch in Hongkong ansässige Firma Fortissimo bei der Etablierung asiatischer Filmemacher (allen voran Wong Kar-wai) auf dem internationalen Kinomarkt spielte, oder an dem Canal+ Ableger Wild Bunch, der gegen Ende der Neunziger Jahre praktisch alle Filme des Wettbewerbs in Cannes in seinem Portfolio hatte, oder an der Pariser Firma Celluloid Dreams, die sich etwa um die Filme Kitano Takeshis verdient machte. Obwohl manche dieser Filme in ihren Ursprungsländern durchaus kommerziell erfolgreich waren, werden sie international unter dem Begriff „Arthouse“ subsummiert.

Festival-Filme

Trotz aller Bemühungen von Weltvertrieben und nationalen Verleihern ist es eine Illusion zu glauben, ein Film würde, wenn er einmal fertig ist, auf jeden Fall ins Kino kommen – ganz im Gegenteil. Manche werden immerhin von Fernsehstationen gekauft, die einen immer größeren Programmbedarf haben, aber nur ein verschwindender Bruchteil aller weltweit produzierten Filme schafft es überhaupt auf die große Leinwand, und wenn, dann meist nur in ihrem Heimatland. Gerade europäische Filme leiden – trotz vertriebsfördernder Maßnahmen seitens der EU – darunter, dass sie schon wenige Kilometer jenseits ihrer Grenzen nicht mehr interessant oder nicht mehr verständlich sind, z.B. weil sie von einer regionalen Art von Humor geprägt sind, die man anderswo in Europa nicht zu teilen vermag. Dieses Schicksal teilt auch der österreichische Film, der nur in den seltensten Fällen (Ulrich Seidl, Michael Haneke und einige wenige andere) über Deutschland bzw. die Schweiz hinauskommt. Dokumentarfilme, besonders solche, die ein globales Anliegen haben, haben es da oft leichter.

Vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich weltweit Filmfestivals als eine Art „Parallelmarkt“ für Filme aller Art entwickelt. Nicht nur die großen Festivals (Sundance im Jänner, Berlin im Februar, Cannes im Mai, Venedig im August/September), sondern vor allem die zahlreichen wie Pilze aus dem Boden schießenden kleineren Filmevents, darunter auch die Viennale, garantieren zwar keinen nachfolgenden „regulären“ Kinoeinsatz im jeweiligen Land, aber zusammengenommen (manche Filme bringen es auf über 50 Festivaleinladungen pro Jahr oder sogar mehr) ergeben sie eine ansehnliche Plattform für Filme, die im kommerziellen Kino- und Vetriebsgefüge gar keinen Platz hätten. Viele Regisseure, die heute auch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten jedenfalls – kommerziell erfolgreich sind, sind durch Filmfestivals groß geworden und werden seither immer wieder eingeladen, ihre neuesten Filme zu zeigen. Zu den bekanntesten zählen Jim Jarmusch, Wong Kar-wai, Lars von Trier, Aki Kaurismäki, Mike Leigh, Olivier Assayas, Kitano Takeshi, Ang Lee, um nur einige zu nennen, aber auch Haneke und Seidl. Viele US-Regisseure, die zunächst mit kleinen Budgets außerhalb der großen Studios gearbeitet haben, haben über ihre Festivalerfolge den Sprung nach Hollywood geschafft: Dazu gehören Gus Van Sant, Steven Soderbergh, James Mangold, Robert Rodriguez oder Spike Lee.

Kinostart in Österreich

Im Idealfall erwirbt ein österreichischer Filmverleiher den Film vom Weltvertrieb oder von einem deutschen Lizenzgeber: Die Verleiher geben den Film nach einem bestimmten Prozentschlüssel, in etwa zwischen 40 und 50 Prozent, an die Kinos weiter, das heißt, der Verleih bekommt 40 bis 50 Prozent der Kasseneinnahmen, das Kino den Rest.

Österreichische Filme, die es im Kino ohnehin schwer haben, haben beim Start im eigenen Land einen kleinen „Heimvorteil“: Sind sie in der Herstellung von einer der großen Förderinstitutionen (Österreichisches Filminstitut, Filmfonds Wien, BMUKK) subventioniert worden, kann der Verleiher des Films eben dort um Startförderung ansuchen, die in den allermeisten Fällen auch gewährt wird. Der Grund: Die Vorbereitungen eines Kinostarts sind kostenintensiv und von einer kleineren Firma (die meisten österreichischen Filme werden von wenigen kleinen bis mittelgroßen Verleihfirmen – Stadtkino, Filmladen, Poool Film, Thimfilm und Polyfilm – vertrieben) allein nicht zu bewältigen. Mit der Startförderung will man sichergehen, dass Filme, die man zuerst für recht viel Steuergeld mitfinanziert hat, auch ins Kino kommen. Auch europäische Filme haben die Chance auf Kinostartförderung – die EU versucht, das europäische Filmschaffen gegenüber dem amerikanischen zu stärken. Gefördert werden bevorzugt Filme aus den neu(er)en EU-Ländern, und das Schlüsselkriterium ist, wie viele Verleiher in anderen Ländern (also außerhalb des Ursprungslandes des Films) sich finden, die den Film in ihre nationalen Kinos bringen. Derzeit müssen es fünf Verleiher sein, damit sich die EU-Töpfe öffnen.

Denkt man all diese Bestandteile (Hollywood, Arthouse, startgeförderte österreichische und vertriebsgeförderte europäische Filme) zusammen, ergibt sich daraus das irrwitzige Angebot von rund 350 Filmen, die pro Jahr in Österreich in die 160 Kinos mit ihren 577 Sälen und rund 103.000 Sitzplätzen kommen – also praktisch jeden Tag einer. Wie viel von diesem klassischen Setup in Zukunft übrig bleiben wird, wenn 3-D und digitale Revolution, Internet-Downloads, Streaming, Pay-per-View und Video on Demand daran geknabbert haben, steht allerdings noch in den Sternen, also doch wieder am Himmel.