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Filmkritik

Schande / Disgrace

| Alexandra Seitz |

Literaturverfilmung, deren Widerborstigkeit der Vorlage vollauf gerecht wird

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Professor David Lurie, Spezialgebiet Poesie der Romantik, lehrt an der Universität Kapstadt. Mit über fünfzig büßt er seine Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht allmählich ein. Er reagiert darauf mit der kultivierten Arroganz des Intellektuellen und der Verführung einer seiner Studentinnen, einer Mulattin. Die Affäre kommt ans Licht, und als Lurie sich weigert, zu bereuen, wird er von der Universität entfernt. Er zieht in die Provinz Ost-Kap, wo seine Tochter Lucy ein Stück Land bewirtschaftet. Dort macht er sich nützlich.

Doch er kann nicht helfen, als drei junge schwarze Männer den kleinen Hof überfallen, seine Tochter vergewaltigen, ihre Hunde erschießen, sein Auto stehlen und ihn selbst zusammenschlagen und in Brand setzen. Und er bleibt ohnmächtig, als Lucy beschließt, die Sache auf sich beruhen und sich auch nicht vertreiben zu lassen. Im wilden, doch folgenlos bleibenden Aufbäumen gegen das traumatisch Demütigende des Ereignisses lernt David Lurie, einiges Grundsätzliche neu zu überdenken. Rache und Vergebung, Erleiden und Erlösung erhalten im gegebenen, leidvoll erfahrenen Kontext schärfere Konturen, komplexere Bedeutung. Stolz und Schmach offenbaren überraschend nahe Verwandtschaft. Auf die Frage, was richtig ist, und was falsch, gibt es keine eindeutige Antwort.

Nach einem Drehbuch seiner Frau Anna Maria Monticelli verfilmte der australische Regisseur Steve Jacobs den 1999 mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman „Disgrace“ des südafrikanischen Literatur-Nobelpreisträgers J.M. Coetzee. Entstanden ist eine unbequeme Verfilmung, die der unbequemen Vorlage in nichts nachsteht.

Am Beispiel des in Ungnade (disgrace) gefallenen Professors und seiner geschändeten (disgraced) Tochter thematisiert Coetzee in seinem Roman (und Jacobs in seinem Film) die komplizierte Situation, in der sich die fragmentierte Gesellschaft Südafrikas in der Post-Apartheid-Ära wiederfindet: Am Rande eines Bürgerkrieges immer wieder strauchelnd, um den Weg zu einer friedlichen Koexistenz ringend. Davids und Lucys Schicksal – das wie ein Gottesgericht hereinbricht, wie ein Gleichnis interpretiert und wie eine Mission angenommen wird – verweist auf die beispiellose Schmerzhaftigkeit eines beispiellosen Versöhnungsprozesses.

Disgrace ist ein Film für Menschen, die sich vor hässlichen Gedanken nicht fürchten; und er zeigt John Malkovich – nuanciert, präzise, ohne Rückhalt und ohne Angst – in einer seiner besten Rollen.