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Survival of the Dead

Survival of the Dead

Dead Men Walking

| Jörg Schiffauer |

Kein anderer Regisseur hat den Horrorfilm der Gegenwart so maßgeblich geprägt wie George A. Romero. Mit seinem neuen Film „Survival of the Dead“ läuft er allerdings Gefahr, mitsamt seinen Zombies in eine Sackgasse zu geraten.

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Über die Bedeutung von George A. Romero für den modernen Horrorfilm braucht man eigentlich gar nicht mehr zu diskutieren. Kein anderer Filmemacher hat das Genre in den letzten fünf Jahrzehnten stärker beeinflusst und dessen populärkulturellen Stellenwert nachhaltiger gesteigert. Night of the Living Dead (1968), Romeros erster Film mit den legendären Zombies, zählt mittlerweile längst zu den Meilensteinen des Horrorkinos und spätestens, seit der Film in die Sammlung des Museum of Modern Art aufgenommen wurde, gehören Romeros Arbeiten auch zum etablierten Kulturbetrieb. Diese Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass George Romeros Filme lange Zeit heftig umstritten waren und vor allem von konservativer Seite als Beitrag zum Untergang der abendländischen Kultur angesehen wurden. Diese heftigen Reaktionen auf seine Filme lagen zweifellos darin begründet, dass Romero sich nicht damit begnügte, etablierte Genre-Konventionen auszureizen, sondern eine radikale, drastische Form des Horrors kreierte, die die Flucht des Zuschauers in die Distanzierung einfach nicht mehr zuließ. In seinem unlängst erschienen Buch „George A. Romero und seine Filme“ verweist Georg Seeßlen auf diesen entscheidenden Aspekt in Romeros Werk: „Erst einmal geht es bei ihm nicht um symbolische, sondern um verdammt reale Gewalt. Seine Zombies sind keine Traumwesen, und wenn ein Romero-Film zu Ende ist, hat man nicht das Gefühl, man sei nun aus einem schrecklichen, aber zugleich faszinierenden Alptraum aufgewacht und könne sich nun wieder der vernünftigen Realität widmen. Die Verstörungen setzen sich vielmehr genauin diesem Alltag fest. Ein paar von Romeros Bildern wird man einfach nicht mehr los. Sie haben sich nicht, wie sich das für ,anständige‘ Filme gehört, am Ende ,aufgelöst‘.“

Horror und Gesellschaftskritik

Zu dieser Verstörung trägt zweifellos auch bei, dass George Romeros Filme nicht in vergangene Epochen oder Fantasy-Welten abtauchen, sondern inmitten der modernen Welt angesiedelt sind. „Für Romero, und da sind wir wohl am Zentrum, kommt der Horror nicht über die moderne Gesellschaft, er kommt direkt aus der modernen Gesellschaft selbst“, merkt Seeßlen dazu an.

Diese feste Verankerung in einem „realen“ Umfeld hat dann auch die Rezeption der gesellschaftskritischen Elemente in Romeros Filmen verstärkt. So spiegelt etwa Night of the Living Dead mit seinen streckenweise semi-dokumentarisch erscheinenden Bildern die gespannte und konfrontative Stimmung in der US-amerikanischen Gesellschaft der ausgehenden Sechziger Jahre geradezu kongenial wider, die Kritik an einer hirnlosen Konsumgesellschaft ist in Dawn of the Dead trotz der sehr drastischen Bilder voll expliziter Gewalt deutlich wahrnehmbar. Dass unter der Handlungsoberfläche eine ganze Reihe von gesellschaftlichen und kulturell relevanten Subtexten liegen, gilt nun freilich für jeden einigermaßen bedeutenden Horrorfilm, doch die Exegese dieser Subtexte ist gerade in diesem Genre fast schon eine Kunstform für sich, die zuweilen auch esoterische Blüten hervorbringt.

George A. Romero ist den Interpretationen seiner Filme stets mit einer gewissen Gelassenheit begegnet, wird er doch dazu bereits 1987 in Paul R. Gagnes Buch „The Zombies That Ate Pittsburgh“ folgendermaßen zitiert: „I resent the word ,message‘. I’ve never meant to preach anything. Those things have been, in my mind anyway, sort of self-given facts that we have all been talking about for years. There aren’t any real new thoughts, certainly no solutions, and not even any new questions in my films … With fantasy, there are always people who love to try to take something more from it than just the surface story. But you shouldn’t do that at the sacrifice of the surface, and that’s what bothers the hell out of me. I mean, I’ve read treatises on Invasion of the Body Snatchers, but basically it’s a great movie, man!“

Einmal abgesehen davon, dass Romero mit diesen Äußerungen ein bemerkenswertes Maß an Understatement bezüglich der Bedeutung seiner Filme an den Tag gelegt hat, liegt bei Betrachtung seiner jüngsten Arbeiten der Verdacht nahe, dass er sich seither doch ein wenig von den zahllosen Interpretationen seines Werks überwältigen hat lassen.

Das führt direkt zu seinem neuen Film Survival of the Dead, dem bislang sechsten, in dem George Romero die durch ihn über die Jahrzehnte populär gemachten lebenden Toten auf die Menschheit loslässt. Survival spielt wenige Tage nachdem die Zombies begonnen haben, über die Erde wandeln, die gesellschaftlichen Strukturen beginnen sich aufzulösen, Chaos breitet sich aus. Eine kleine Gruppe von Soldaten beschließt, sich von der Truppe abzusetzen und Zuflucht auf einer kleinen Insel vor der Küste Delawares zu suchen. Die wird seit Generationen von den Clans der O’Flynns und der Muldoons bewohnt, und die haben völlig gegensätzliche Konzepte, wie man mit Zombies umzugehen hat. Die O’Flynns setzen auf den bewährten Schuss in den Kopf, die Muldoons möchten die lebenden Toten unter Kontrolle halten, bis eventuell ein Gegenmittel gefunden wird – schließlich handelt es sich dabei doch um Freunde und Verwandte. Und so finden sich die frisch auf der Insel angekommenen Soldaten schon bald in einen Bürgerkrieg im Kleinformat verwickelt – und die immer noch blutgierigen Zombies laufen ja auch noch umher.

Radikaler Horror und Feuilleton

Im nachfolgenden Interview verweist George Romero auf die Bezüge, die Survival of the Dead auf den Irak-Krieg und den Nordirland-Konflikt seiner Meinung nach nimmt. Ob man diese Verknüpfungen nachvollziehen kann oder nicht, sei vorerst einmal dahingestellt, bleibt doch als erste Erkenntnis, dass Survival of the Dead ganz einfach kein guter – und selbst als Genrefilm nicht einmal ein besonders spannender oder furchterregender – Film geworden ist. Anscheinend hat Romero seinem einstigen Credo zuwidergehandelt und Deutungsebenen gegenüber einer brauchbaren Geschichte den Vorzug gegeben. Es mag für Aficionados durchaus plausibel erscheinen, dass Romero die Evolution seiner Zombies weiter voranzutreiben beabsichtigt hat und nach den Momenten des Schreckens beim ersten Aufeinandertreffen mit den Menschen (Night of the Living Dead), dem mit gnadenloser Härte ausgetragenen Konflikt (Dawn of the Dead) und den ersten Versuchen einer Domestizierung (Day of the Dead) nun in Survival of the Dead eine Art von Koexistenz angestrebt wird. Doch die Sozialgeschichte der lebenden Toten scheitert in diesem Fall daran, dass die Story aufgesetzt wirkt, psychologisch wenig nachvollziehbar ist und kaum Spannungsbögen zulässt. Die eher sparsam eingesetzten Splatter-Elemente erscheinen zudem eher selbstreferenziell denn Schrecken erregend.

Das mag aber auch durchaus daran liegen, dass sich Romero die Latte zunehmend selbst immer höher gelegt hat. Nachdem Night of the Living Dead seinen Kultstatus gefestigt hatte, gelang es Romero mit Dawn of the Dead, jene drastische, direkte Form des Horrorfilms, der sich im US-amerikanischen Kino der Siebziger Jahre einen Namen gemacht hatte, aus der Genre-Nische herauszuführen und in der Populärkultur zu etablieren. Das war eine bemerkenswerte Leistung, denn selten hat Romero seinen „Angriff auf die Werte des Bürgertums, der Familie, des Staates, der Religion und des Business“ (Seeßlen) so frontal und mit einem Ausmaß an expliziter Gewaltdarstellung geführt, wie in diesem Film. Mit seiner Radikalität und Kompromisslosigkeit war Dawn of the Dead ein Anschlag auf Rezeptionskonventionen und ein Schlag ins Gesicht des Bildungsbürgertums, der für Tugendwächter unterschiedlichster Provenienz durch den großen Erfolg des Films – der weit über die übliche Horror-Klientel hinausreichte – umso schmerzhafter war. Dawn of the Dead repräsentierte das ultimative Schockerlebnis, dessen suggestiver Wirkung man sich einfach nicht entziehen konnte. Nachdem Zombies in weiterer Folge endgültig den Mainstream eroberten, muss sich Romero wohl bewusst geworden sein, dass sich das Publikum auch durch einen noch so hohen Body Count nicht mehr im selben Ausmaß schocken lassen würde. Seine Filme – vor allem seine Living-Dead-Reihe – wurden zunehmend selbstreferenziell und begannen bei allem noch vorhandenen Schrecken eine gewisse ironische Distanz aufzuweisen. Mit Land of the Dead (2005) – in dem die Zombies als Metapher auf ein zunehmend entrechtetes Proletariat gelesen werden können – wurde George Romero endgültig zum Stammgast auf den Feuilletonseiten. Wenngleich Land of the Dead auch ein durchaus respektabler Erfolg wurde, Kontroversen oder Aufregung konnte der Film längst nicht mehr hervorrufen. Da überraschte es dann doch wieder einigermaßen, dass Romero mit dem medienkritischen Diary of the Dead (2007) dem Zombie-Topos eine ebenso spannende wie formal hochmoderne Variante hinzufügen konnte. Angesichts von Survival scheint jedoch Romero mit seiner Zombie-Saga an einem toten Punkt angekommen zu sein. Inhaltlich immer abstruser anmutende Schwenks führen die Reihe nur in eine Sackgasse, das im Horror-Genre so beliebte Variieren bekannter Elemente – damit kann Survival of the Dead allerdings reichlich aufwarten – wird zusehends nur mehr den harten Kern der Fangemeinde bei der Stange halten können. Es hat den Anschein, als ob Romero seine Zombies zur Zeit nur mehr in selbstreferenziellen Kreisen herumwanken lässt – das könnte selbst einem lebenden Toten einmal zu langweilig werden.

Wer sich jedoch nicht nur anhand seiner vielen gelungenen Filme von Romeros Qualitäten überzeugen will, dem ist Georg Seeßlens Buch „George A. Romero und seine Filme“ dringend anzuraten. Neben einer ausführlichen Einordnung von Romeros Werk – das weit über die Living-Dead-Reihe hinausgeht und einige der bemerkenswertesten Beiträge zum US-amerikanischen Kino der Siebziger und Achtziger Jahre beinhaltet – widmet sich Seeßlen zudem jedem einzelnen von Romeros Filmen und trägt damit einem der bedeutendsten und einflussreichsten Regisseure des US-amerikanischen Kinos der vergangenen fünf Jahrzehnte gebührend Rechnung.