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Red Riding Trilogy

Red Riding Trilogy | Serie

„To the north! Where we do what we want!“

| Benjamin Moldenhauer |

Mit der „Red Riding Trilogy“ ist eine packende Mischung aus Verschwörungsthriller, Serial-Killer-Movie und Sozialstudie auf DVD erschienen.

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Filme wie Spike Lees Summer of Sam oder Brian de Palmas James Ellroy-Verfilmung The Black Dahlia haben es vorgemacht: Anhand eines spektakulären Mordfalls wird ein komplexes Epochenbild gezeichnet. Im Zentrum der Filme steht weniger die Frage nach der Identität des Täters, sondern nach dem Gesicht einer bestimmten Zeit. David Peace hat mit seinem „Red Riding-Quartet“ („1974“, „1977“, „1980“ und „1983“) vier Romane über den englischen Norden der Siebziger Jahre geschrieben, der ähnlich finster erscheint, wie das Hollywood in Ellroys „L.A.-Quartet“. Glutkern der Geschichte ist der sogenannte Yorkshire Ripper, der zwischen 1975 und 1980 mindestens dreizehn Frauen ermordete. Die Ermittlungen sind allerdings nur der Aufhänger, im Zentrum der Geschichte stehen nicht die Gewaltexzesse des Rippers, sondern die korrupten Ermittler, die, wenn es dem Profit dient, ein Romalager niederbrennen, Journalisten, die allzu neugierig werden, im Keller des Präsidiums foltern und Geständnisse von Unschuldigen erpressen. Ein mehrfach zitierter Trinkspruch gibt die Marschrichtung vor: „To the North! Where we do what we want!“

Dass sich mit Channel 4 nun ausgerechnet ein Fernsehsender daran gemacht hat, drei der Romane zu verfilmen, überrascht, schließlich legen die Texte von David Peace eine Fernsehfassung ähnlich nahe wie etwa, sagen wir, Bret Easton Ellis’ „American Psycho“. Aber es hat funktioniert: Die „Red Riding“-Filme bilden einen konsequenten Genremix aus Serial-Killer-Movie, britischem Sozialrealismus und paranoid gestimmter Verschwörungsphantasie. Peter Sutcliffe, der Yorkshire Ripper, ist nicht der Sonderfall, als den Filme im Gefolge von The Silence of the Lambs ihre Psychopathen gerne inszenieren, sondern schlicht „somebody’s husband, somebody’s son“. Die Filme legen nahe, dass Sutcliffe vor allem ausagiert und auf die Spitze treibt, was im Yorkshire von David Peace eh schon in der Luft liegt: ein schwelendes Gemisch aus Gier, Verrohung, Sexismus und Angst.

Jeder der drei Filme wurde von einem anderen Regisseur inszeniert. Anders als bei den meisten Serien lässt sich jedoch eine jeweils spezifische Handschrift ausmachen. Was alle verbindet, ist die melancholisch-verhangene Stimmung, die mit der stilisierten Kaputtheit des in diesen Dingen wohl stilbildenden Seven, Dauerregen zum Trotz, nur noch wenig gemein hat. Die Farbgebung und die innovativen Schnittfolgen geben Stoff für diverse filmwissenschaftliche Abschlussarbeiten ab. Eigentlich gehören diese Filme auf die große Leinwand. Julian Jarrolds „1974“ ist formvollendeter Neo-Noir.

Regisseur James Marsh (Man on Wire) integriert in „1980“ Versatzstücke des Dokudramas wie Ausschnitte aus zeitgenössischen News-Sendungen und verwischt damit die Grenze zwischen der Nachinszenierung dessen, was man für die Fakten hält, und der Fiktion. In England wurden die „Red Riding“-Filme dementsprechend kontrovers diskutiert, schließlich hat David Peace seine korrupten Polizisten an reale Personen angelehnt. Dass sowohl die Romanvorlage als auch die Filme um ihren fiktionalen Charakter wissen und ihn auch unübersehbar reflektieren, wird allerspätestens mit dem Abschluss der Trilogie deutlich. „1983“ (Regie: Anand Tucker) ist der filmisch innovativste Teil der Serie und orientiert sich am stärksten an der Erzählperspektive der Romane, die in Form innerer Monologe erzählt sind und nicht immer erkennen lassen, was als Wahn und was als Wirklichkeitswahrnehmung gelten kann.

Erfreulich auch, dass „1983“ zwar viele lose Fäden der ersten beiden Teile zusammenführt, aber doch noch viele Fragen offen lässt – ein weiterer Punkt, in dem die „Red Riding“-Trilogie sich vom konventionellen Serial-Killer-Film und seinen psychologisierenden Rätsellösern unterscheidet. Die im Vergleich mit der Romanvorlage allerdings schon abgemilderte Unschärfe hat mit dem Plot-Chaos etwa der letzten Staffeln der „X-Files“ oder dem zunehmend erratischen „Lost“ wenig zu tun, sondern ist Methode: ein auf der Meta-Ebene angesiedelter Realismus. Schließlich wird in der Wirklichkeit außerhalb des Kinos auch nicht ohne Weiteres transparent, wer wem was antut und warum.