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True Blood

True Blood | Serie

Coming Out of the Coffin

| Alexandra Seitz |

Von Fangbangern, V-Juice-Usern und anderen Perversen: „True Blood“ ist das schwarze Schaf unter den Blutsauger-Epen auf DVD.

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Hier kommt Erlösung für all jene, die das verklemmte Geschmachte zwischen Bella Swan und Edward Cullen nicht mehr länger ertragen. Die TV-Serie „True Blood“ geht schnurstracks und mit aufgerichtetem Schwanz in medias res, wo die Kino-Saga Twilight verschämte Eiertänze um den heißen Brei aufführt. Gestillt werden Fleischeslust und Blutdurst, wenn es zwischen Tresenkraft Sookie und Vampir Bill zur Sache geht. Auch der Rest des Serien-Personals scheint in Theorie und Praxis vorwiegend mit Sex beschäftigt. Eine erfreuliche Abwechslung nach all den domestizierten und infantilisierten, entsexualisierten, dafür brutalisierten Vampir-Bildern, die in den vergangenen Jahren gleich Franchise-weise die Leinwände besetzten. „True Blood“ besetzt zwar lediglich die Mattscheibe, entstammt dafür aber einer der unbestritten besten Fernsehserien-Schmieden, der des Pay-TV-Senders HBO.

Die Idee zum blutlustigen Treiben hatte Alan Ball, der zuvor schon mit „Six Feet Under“ eine Affinität zum Morbiden bewies. Die Serie basiert auf Charlaine Harris’ „The Southern Vampire Mysteries“, einer seit 2001 erscheinenden Reihe von Romanen, in denen die Abenteuer der knackigen Kellnerin Sookie Stackhouse unter Vampiren, Gestaltwandlern, Werwölfen und anderen nur der Sage nach existenten Wesen geschildert werden. Angesiedelt ist diese phantastische Welt jedoch in der Gegenwart, in dem fiktiven Städtchen Bon Temps in Louisiana und verwurzelt ist sie dadurch tief im US-amerikanischen Süden. Immerwährend schwüle Hitze bedingt leichte Bekleidung, nie verstummen die schmatzend-brodelnden Fruchtbarkeits-Geräusche der umgebenden Sümpfe, allgegenwärtig sind Sinnlichkeit und Erregung und liefern die Textur, vor der sich die Ereignisse zutragen.

Wenige Jahre erst ist die Erfindung synthetischen Blutes her, infolgedessen Vampire ihr Coming-out-of-the-coffin hatten. Nicht länger auf Menschenblut allein angewiesen, offenbarten sie sich und begehrten Bürgerrechte. Doch die Gesellschaft tut sich schwer mit der neuen Randgruppe, die da Akzeptanz verlangt, zumal deren Mitglieder nicht vollzählig vom „Mainstreaming“ überzeugt sind. Und zumal sich unter den Menschen bald herumspricht, dass Vampirblut und -sex außerordentlich potente Drogen sind. Da betritt eines Tages Bill Compton, dem man seine 173 Jahre nicht ansieht, Sam Merlotte’s Bar and Grill und erregt sofort Sookie Stackhouses Aufmerksamkeit. Denn Sookie kann die Gedanken ihrer Mitmenschen hören, was sie oft an den Rand des Wahnsinns treibt, doch um Vampir Bill herum bleibt es ganz still. Für Sookie ist dieses Gedanken-Schweigen eine ungeheure Wohltat und so kommt es, wie es kommen muss, und Liebe keimt, wo Gefahr und Tod drohen. Bald schon wird das kleine Gemeinwesen von Morden an Fangbangern und V-Juice-Usern erschüttert und die Suche nach dem Täter ist der rote Faden, der die erste Staffel durchzieht. Außerdem lernt man die Leute kennen: Sookies Bruder Jason, der den Begriffen „Tunichtgut“ und „Schürzenjäger“ ungeahnte Bedeutungen verleiht. Ihre Freundin Tara, die sich nichts gefallen lässt, und dabei riskiert, irgendwann allein dazustehen. Barbesitzer Sam Merlotte, dessen Zuneigung zu und tiefe Sorge um Sookie einer überraschenden Quelle entspringt. Koch und Dealer Lafayette, leidenschaftlich schwul und wild entschlossen, seinen Körper als Karrieresprungbrett zu nutzen. Und jede Menge mehr sorgsam konzipierter, authentischer Neben-, Rand- und Gast-Figuren. Doch nicht nur der unverkrampfte Umgang mit der filmischen Darstellung von Sexualität und Begehren zeichnet „True Blood“  aus. Das eigentliche Verdienst der Serie ist, dass sie die Metapher „Vampirismus“ in ihrem Bedeutungsreichtum ernst nimmt, sie zurück an ihren Ursprung führt und in ihr altes Recht setzt: Als Bild für das Undomestizierte und Animalische im Menschen vertritt die Blutsauferei, die eben auch eine ziemliche Sauerei ist, all das Verdrängte, Verbotene, Tabuisierte, Hemmungslose und Entgrenzte, das Ordnung und Zivilisation bedroht. „True Blood“ macht sich und uns nichts vor: Es sind die Triebe, die am Anfang von allem stehen, und sie sind gefährlich.