Welcome Film

Filmkritik

Welcome

| Alexandra Seitz |

Die Festung Europa ist auf Leichen gebaut, „Welcome“ erfindet für eine von ihnen eine Geschichte.

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Dschungel“ hieß das illegale Flüchtlingslager, das im September 2009 in Calais von der Polizei geräumt wurde. Dabei wurden knapp dreihundert Migranten ohne Papiere aufgegriffen, die Hälfte von ihnen Jugendliche. Hunderte weitere Illegale hatten das Lager in den Dünen, Zwischenstation auf dem Weg nach England, bereits vor der Räumung verlassen und waren untergetaucht. Inzwischen gibt es natürlich wieder einen neuen „Dschungel“; denn Dschungel heißen sie dort alle, diese aus der Not geborenen Notunterkünfte, die oft nicht mehr sind als Plastikplanen über Pappendeckeln und Decken.

Wer keine Ahnung hat von dem Drama, das sich jeden Tag entlang der französischen Atlantikküste abspielt, der hält Welcome von Philippe Lioret womöglich für eine fiktionale Zuspitzung und eine bösartige Übertreibung. Doch leider ist das, was den Alltag der Figuren in diesem Spielfilm prägt, weder erfunden noch zugespitzt. Der Druck, der in einer Stadt wie Calais auf Flüchtlingen, Helfern, Ordnungshütern und Einwohnern lastet, ist enorm. Er wird sichtbar in dem Misstrauen, mit dem die Menschen einander begegnen, und in der Abgebrühtheit, mit der sie die Not des Nächsten übersehen.

Auch der Schwimmlehrer Simon will den Jungen, der eigentlich nur gerne mal wieder duschen würde, am liebsten gar nicht erst zur Kenntnis nehmen und verweigert den Zutritt zum Bad. Dann besinnt er sich eines Besseren; Simon will seine geliebte Frau zurückgewinnen, die als Flüchtlingshelferin arbeitet. Vielleicht kommt sie wieder, wenn er dem Jungen hilft?

Der Junge, das ist der 17-jährige Bilal, und er ist bereits seit zwei Monaten unterwegs aus dem irakischen Teil Kurdistans nach England. Die White Cliffs von Dover locken in der Ferne und dahinter London, wo Mina lebt, Bilals große Liebe. Doch die gängige europäische Flüchtlingspolitik hat kein Gehör für die Stimme des Herzens. Der romantische Todesmut des Jungen, der sich für seine Liebe in den Ärmelkanal stürzen will, reißt Simon schließlich aus seiner trennungsbedingten Versteinerung. Allerdings wirkt die Aufmerksamkeit, die in der Folge der Beziehungskiste des Schwimmlehrers zuteil wird, unproportional und irritierend. Mit ihr entwickelt Welcome eine gefährliche Schlagseite Richtung Melodram. An sich ist das nicht verwerflich, im vorliegenden Fall aber einigermaßen ärgerlich, beraubt sie doch den Film seiner sozialpolitischen Schärfe und macht ihn letztlich zahnlos, wo Angriffslust bitter nötig wäre.