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Das ganze Leben liegt vor dir

Filmkritik

Das ganze Leben liegt vor dir

| Walter Gasperi |

Paolo Virzi wirft in seiner leichtfüßigen Komödie einen bissigen Blick auf das Italien Silvio Berlusconis.

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Ausgerechnet ihre todkranke Mutter erklärt Marta, die gerade ein Philosophiestudium mit Auszeichnung abgeschlossen hat: „Das ganze Leben liegt vor dir.“ – Mag schon stimmen, aber eine zu ihrer Ausbildung passende Arbeit findet die Endzwanzigerin dennoch nicht. Immerhin wählt die kleine Lara sie als Babysitterin aus und über deren Mutter kommt Marta wiederum zu einem Job in einem Callcenter. Ihre Aufgabe ist es, mit Hausfrauen Termine für die Präsentation von Haushaltsgeräten zu vereinbaren. Äußerst erfolgreich ist die kommunikative junge Frau dabei. Über Internet verschafft sie sich nämlich während der Telefonate Zusatzinformationen über ihre Gesprächspartnerinnen, mit denen sie deren Vertrauen erschleicht. Wie die Callcenter-Damen sich mit einem morgendlichen Song alltäglich motivieren und in gute Laune bringen sollen, so erhalten die männlichen Vertreter aggressive Verkaufsschulungen. Und regelmäßig gibt es Veranstaltungen, bei denen erfolgreiche Mitarbeiter geehrt, andere aber zumindest abgemahnt werden. Kein Wunder, dass bei diesen menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und den unbarmherzigen und menschenverachtenden Keilermethoden bald ein engagierter Gewerkschafter auftritt. Gut meint es dieser Giorgio zwar, doch seine Diskussionsrunden und Firmeninspektionen wirken anachronistisch und schlagen ins Gegenteil um: In der Firma dürfen die Angestellten brav ihr Sprüchlein aufsagen, reden sie allerdings außerhalb des Betriebs mit dem Gewerkschaftler, werden sie auf die Straße gesetzt.

Es ist ein bitterböser satirischer Blick, den Regisseur Paolo Virzi auf das Italien Berlusconis und die Arbeitswelt von heute wirft, aber weil sein Film so locker und unverbraucht daherkommt, verbreitet er trotz des ernsten Themas rundum gute Laune. Das liegt auch am Spiel Isabella Ragoneses, die aus der Hauptfigur, deren Weg Tutta la vita davanti konsequent folgt, eine uneingeschränkte Sympathieträgerin macht. Geschickt hält Virzi dabei die Balance zwischen Nähe und Distanz, wenn er den Zuschauer einerseits mit Martas Augen die Welt wahrnehmen lässt, andererseits eine Off-Erzählerin für einen Blick von außen sorgt. Spielerisch leicht gelingt es der Inszenierung, die privaten Nöte und Sorgen der Protagonistin mit gesellschaftskritischen Akzenten zu verknüpfen. Da fließen ganz beiläufig Kritik an der Verarmung – speziell von Frauen – , der Verwahrlosung von Kindern sowie der zunehmend debileren Medienlandschaft ein. Zum Darüberstreuen bekommt man auch noch ein Stück Lebensphilosophie präsentiert.