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Park Chan-wook

Park Chan-wook

Rache steht ihm gut

| Pamela Jahn |

Park Chan-wook zählt zu den wichtigsten Regisseuren im internationalen Kino. Doch das heißt erfahrungsgemäß noch lange nicht, dass seine Filme auch hierzulande in die Kinos kommen. Ein Gespräch mit dem südkoreanischen Regisseur über seinen Beitrag zum Vampir-Genre, moralische Dilemmata und das bisschen Glück, das beim Filmemachen dazugehört.

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Auf den ersten Blick ist es ihm nicht anzusehen, doch Park Chan-wook gehört zweifellos zu jener Gruppe von Regisseuren, die man tough guys nennen kann. Er ist einer, der sehr genau weiß, was er will, und der seine schöpferische Freiheit entsprechend durchzusetzen versteht. Aber auch einer, der mitunter eine (kommerzielle) Niederlage wegstecken kann. Denn erst nach zwei Misserfolgen gelang ihm im Jahr 2000 mit Joint Security Area der Durchbuch im eigenen Land: Der packende Thriller um die ungewöhnliche Freundschaft zweier Grenzsoldaten entwickelte sich auf Grund seiner politischen Brisanz mit über sechs Millionen Besuchern über Nacht zum Box-Office-Hit. Und spätestens seit dem Folgefilm Sympathy for Mr. Vengeance zählt Park zu den spannendsten Regisseuren des Weltkinos. Seine zwischen 2002 und 2005 entstandene Rachetrilogie (Sympathy for Mr. Vengeance, Oldboy, Lady Vengeance) konnte die hohen Erwartungen an den heimischen Kinokassen allerdings nicht erfüllen. Das könnte an zwei Elementen liegen, die Park Chan-wook in seinen Filmen nach dem Geschmack mancher zu viel, zu heftig und zu schön einsetzt: Blut und Gewalt.

In seinem jüngsten Glanzstück Thirst (Bakjwi) ist das nicht anders. Der Film erzählt die unheilvolle Liebesgeschichte zwischen einem zum Vampir mutierten Priester und der in grauenhafter Zwangsehe gefangenen Frau seines besten Freundes. Auch hier greift Park Motive seiner vorhergehenden Filme nochmals auf und geht zugleich weit darüber hinaus: In einer bildmächtigen Mischung aus Vampirgeschichte, religiösem Dilemma und unheilvollem Liebesmelodram erinnern die Orgien aus Blut und Brutalität an Szenen aus der Rachetrilogie; sein demgegenüber stark verspielter I’m a Cyborg, But That’s OK (2006) deutete bereits auf das Motiv der Entfremdung vom Menschsein, sowie auf die groteske Romanze zweier Außenseiter, die – im überbordenden, rauschhaften Stil inszeniert – auch die unheimliche Anziehungskraft von Thirst ausmacht. Denn wie bei allen Filmen Parks ist es auch hier im Grunde nicht die explizit dargestellte Gewalt, die das Geschehen auf der Leinwand trotz aller Bildprächtigkeit so hart erscheinen lässt, sondern vielmehr die Gewalt in den Figuren: der innere Kampf mit sich selbst. Dass es Park Chan-wook dann aber gleichzeitig auch gelingt, wieder neue, wunderbar selbstironische Momente einzubringen, beweist die Vitalität und die Kunstfertigkeit des 46-jährigen Regisseurs, der sich im Interview übrigens überaus höflich und freundlich zeigte.

In Thirst erzählen Sie die Geschichte eines Priesters, der nach einem medizinischen Experiment zum Vampir mutiert. Dabei sind Sie selbst angeblich gar kein Freund von Horrorfilmen. Stimmt das?
Park Chan-wook:
So kann man das nicht sagen. Als Teenager hatte ich allerdings wirklich keinen Spaß daran, Horrorfilme im Kino zu sehen. Zu Hause am Fernseher machte mir das nichts aus, und da habe ich dann auch viel Horror geschaut. Heute habe ich allerdings eine dieser modernen Heimkino-Anlagen mit Großbildschirm und tollem Soundsystem. Jetzt kann ich auch zu Hause keine Horrorfilme mehr schauen. (Lacht.)

Was hat Sie daran gereizt, einen Vampirfilm zu drehen? Hat der Vampirmythos eine Tradition in der koreanischen Kultur?
Park Chan-wook: Ich bin zwar kein Experte, was die traditionelle koreanische Mythologie angeht, aber soweit ich weiß, gibt es keine Vampirmythen in Korea. Vampirismus und Vampirgeschichten haben durch die Einflüsse der westlichen Welt Einzug in unsere Kultur gefunden und sind dann auch bei uns sehr schnell bekannt und beliebt geworden. Die meisten Koreaner denken bei Vampiren deshalb bis heute vor allem an Graf Dracula. In dieser Hinsicht ist Thirst auch eine Geschichte über importierte Kultur. In meinem Film verlässt ein Priester seine Heimat, um andernorts Gutes zu tun. Auf seiner Mission wird er allerdings gegen seinen Willen zum Vampir, der nur durch das Blut anderer überleben kann, und so kehrt er dann zu seiner Familie zurück. Das heißt, es geht gewissermaßen auch um die Frage, wie alle Dinge, die von außen in ein System oder eine Tradition eingreifen, akzeptiert oder abgelehnt werden. In Thirst habe ich deshalb zum Beispiel klassische Musik und koreanische Popmusik miteinander kombiniert, oder es gibt eine Szene, in der spielen Leute Mahjong und trinken dabei Wodka. Mich interessiert dieser Konflikt zwischen äußeren und inneren Einflüssen sehr stark.

Eingebettet ist das Ganze in eine recht bissige Liebesgeschichte. War das für Sie der Ausgangspunkt für den Film?
Park Chan-wook: Ja, genau. Ich habe Thirst eigentlich nie als Horrorfilm gesehen, sondern immer als Liebesgeschichte. Als eine Geschichte, die die Liebe allerdings ganz realistisch darstellt, ohne Klischees und übermäßige Sentimentalität. Deshalb habe ich mich beim Schreiben des Drehbuchs und später bei der Arbeit mit den Schauspielern vor allem darauf konzentriert, dass die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren stimmt. Auch das Casting für die weibliche Hauptrolle war diesmal sehr intensiv, und es hat ziemlich lange gedauert, bis wir mit Kim Ok-vin die ideale Besetzung gefunden hatten. Schließlich hatte ich beim Schreiben sehr viel Zeit darauf verwendet, ihre Figur im Film zu formen und zu entwickeln, also wollte ich absolut sicher sein, dass ich die richtige Besetzung habe und auch das Zusammenspiel mit den beiden männlichen Parts reibungslos funktioniert. Ich kann zwar nicht leugnen, dass es in Thirst auch Szenen gibt, die unmittelbar dem Horror-Genre zuzuorden sind. Allerdings stellen diese Momente innerhalb der Geschichte lediglich eine Art Hürde oder ein Hindernis in Bezug auf die Liebesbeziehung zwischen dem Priester Sang-hyun und Tae-ju dar. Die Horrorelemente sind also im Grunde Mittel zum Zweck, um dieses ganz spezielle Liebesverhältnis zu illustrieren.

Wenn man sich Ihre vorigen Filme anschaut, fällt vor allem auf, dass Ihre Geschichten zunehmend von phantastischen und surrealen Elementen geprägt sind.
Park Chan-wook: Ich muss zugeben, dass phantastische Elemente in meinen Filmen immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. In Thirst stehen sich aber zwei verschiedende Aspekte gegenüber. Auf der einen Seite sind diese Elemente dem Genre ja quasi eingeschrieben. Auf der anderen Seite ist Thirst der vielleicht realistischste Vampirfilm überhaupt. Ich habe einfach alles Mystische ausgeklammert, das einen klassischen Vampir normalerweise charakterisiert, und mich stattdessen auf den moralischen Verfall meines Helden konzentriert. Mein Film behandelt Vampirismus eher als eine Art Leiden oder übertragbare Krankheit. Wie ein Virus, der in den Körper eindringt, dringt auch das Vampirblut in den Körper des Priesters ein. Und das gefällt mir am meisten, diese Zweideutigkeit, die dem Film selbst innewohnt, weil sich phantastische und realistische Elemente gegenüberstehen.

Mit einem ähnlichen Konflikt sieht sich auch der Priester konfrontiert. Auch bei ihm ringen im Grunde zwei Seelen in einer Brust.
Park Chan-wook: Ja, ich wollte eine Figur schaffen, die nicht nur einer Welt zugehörig ist, sondern hin- und hergerissen ist zwischen zwei völlig verschiedenen Welten. Sang-hyun ist ja weder ganz Vampir noch Priester, er versucht beide Identitäten in Einklang zu bringen. Allerdings kann er als Vampir Gier nicht kontrollieren, also nutzt er seine Verwandlung, um seine Lust und Begierde zu stillen, die er als Priester unterdrücken muss. Darin besteht sein persönlicher innerer Konflikt.

Sie kommen selbst aus einem katholischen Elternhaus. Inwiefern hat das den Film beeinflusst?
Park Chan-wook: Natürlich spielen religiöse Elemente auch eine Rolle in Thirst, aber es ist kein Film über Religion, wenn Sie das meinen. Zumindest fände ich es sehr schade, wenn das Publikum meinen Film nur aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet. Und zwar nicht, weil ich mich etwa vor der Auseinandersetzung mit dem Thema scheue, sondern weil in Thirst existenzielle Fragen behandelt werden, die jeden beschäftigen, ganz gleich welcher Glaubensrichtung man zugehörig ist. Selbst als Sang-hyun sein Amt als Priester offiziell niederlegt, hält er dennoch nach wie vor an seinem Glauben fest. Doch seine Lust am Töten und sein sexuelles Begehren werden immer größer, und deshalb sucht er verzweifelt nach einer Perpektive, die es ihm erlaubt, seinen Glauben zu wahren und gleichzeitig seine mörderischen Taten moralisch zu rechtfertigen. Mit anderen Worten, es geht in erster Linie darum, das moralische Dilemma aufzuzeigen, in dem sich die Hauptfigur befindet, und nicht um die Religion, die hinter seinem Glauben steht.

Auch Tae-ju wird durch Sang-hyun zum Vampir, was für die junge Frau allerdings eine Art Befreiungsschlag aus den Fesseln ihrer Familie bedeutet. Wollten Sie damit auch die heutigen Geschlechterverhältnisse in Korea kommentieren?
Park Chan-wook: Was das Verhältnis zwischen Tae-ju und ihrem Mann beziehungsweise ihrer Schwiegermutter betrifft, habe ich mich stark von Emile Zolas Roman „Thérèse Raquin“ inspirieren lassen. Darin wird die Vorstellung von der Familie als Gefängnis ja bereits ausführlich und vortrefflich behandelt. Natürlich lassen sich die traditionellen familiären Rollenverteilungen und Geschlechterverhältnisse im Frankreich des 19. Jahrhunderts nicht einfach eins zu eins auf die koreanische Gesellschaft im 21. Jahrhundert übertragen, aber ich denke schon, dass es da auch heute noch gewisse Parallelen gibt. Tae-ju leidet unter dem harten Regime der Schwiegermutter und ihres Mannes, der sie lediglich zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse benutzt, und die Wandlung ihrer Figur mag vom weiblichen koreanischen Publikum als emanzipatorisch wahrgenommen werden. Aber ich habe es nicht darauf angelegt. Ich denke auch, man muss sehr vorsichtig sein mit solchen Einschätzungen, um nicht zu viel in bestimmte Dinge hinein zu interpretieren.

Tae-jus Verwandlung in eine Vampir-Femme-fatale verleiht dem Genre-Mix zumindest zusätzlich einen wunderbaren Hauch Film noir.
Park Chan-wook: Das Spannende am Film noir ist, dass man als Zuschauer eben nie so recht weiß, ob die Frau den Mann im Grunde nur für ihre eigenen Zwecke ausgenutzt hat, oder ob sie ihn tatsächlich geliebt hat. Und eine echte Femme fatale gibt die wahre Antwort niemals preis.

Thirst ist vielleicht Ihr visuell anspruchsvollster Film bisher. Wie planen Sie grundsätzlich die ästhetische Umsetzung Ihrer Stoffe?
Park Chan-wook: Im Vordergrund stehen immer die Geschichte und die Figuren, das sind für mich die wichtigsten Elemente des Films. Der Rest, also Kamera und Produktionsdesign, Konstüme und so weiter, dienen ausschließlich dazu, das Geschehen so genau und exakt wie möglich rüber zu bringen.

Nach der Rachetrilogie (Sympathy for Mr. Vengeance, Oldboy, Lady Vengeance, Anm.) haben Sie mit I’m a Cyborg, But That’s OK eine bezaubernde Psychiatrie-Komödie gedreht, und damit eine völlig andere Richtung eingeschlagen. Hatten Sie das Gefühl, einmal eine Pause zu brauchen von den schwermütigen, moralisch ambivalenten Charakterstudien?
Park Chan-wook: Es war ein langer Weg bis zum Abschluss der Rachetrilogie, an der ich alles in allem über fünf Jahre gearbeitet habe. Die Filme sind sehr düster und ernst, ich hatte damals tatsächlich das Gefühl, dass ich davon erst mal etwas Abstand brauchte. I’m a Cyborg, But That’s OK schien mir damals bestens dafür geeignet, die Trilogie zu beenden und mich neuen Projekten zu widmen.

Der Vampirfilm erlebt derzeit wieder einen ungeahnten Boom. Haben sie damit gerechnet?
Park Chan-wook: Nein, gar nicht. Ich hatte die Idee zu Thirst ja schon vor vielen Jahren. Es dauerte dann aber einfach eine ganze Weile, bis das Drehbuch konkrete Formen annahm und sich alles zusammenfügte. Ich erinnere mich noch, als ich damals am Drehbuch zu Joint Security Area arbeitete, gab es noch immer heftige Spannungen zwischen Nord- und Südkora, und ich hatte ziemliche Bedenken, dass man mich verhaftet, wenn ich einen Film über die Freundschaft zwischen zwei südkoreanischen und zwei nordkoreanischen Soldaten mache. Ich habe mich dann mit meinem Produzenten beraten und wir kamen zu dem Schluss, dass wir zusammen ins Gefängnis gehen, wenn es sein muss. Als der Film fertig war, gab es dann aber das erste historische Treffen zwischen unserem Präsidenten und dem Vorsitzenden der nordkoreanischen Verteidigungskommission. Plötzlich hieß es in den Medien, die Nordkoreaner seien unsere Freunde, und mein Film wurde schließlich zum Kassenschlager. Und so ähnlich ist das jetzt auch mit Thirst. Da haben mich auch immer wieder Leute gefragt, warum ich unbedingt einen Vampirfilm machen wolle, damit könne man doch niemanden mehr ins Kino locken. Und jetzt das. Also, ich denke, ich habe einfach Glück gehabt.