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Hans-Christian Schmid Sturm

Sturm | Interview

Wider die Resignation

| Bettina Schuler |

Hans-Christian Schmid über das UN-Kriegsverbechertribunal in Den Haag, seine Arbeitsweise und Motivation und den Glauben an die Gerechtigkeit.

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Was war zuerst da: Die Idee, einen Thriller zu inszenieren oder sich dem Thema Haager Tribunal für Jugoslawien zu widmen?
Hans-Christian Schmid:
Ganz entschieden Ersteres. Bernd Lange und ich hatten uns ganz bewusst vorgenommen, einen Thriller zu schreiben, ohne genau zu wissen, worum es darin eigentlich gehen soll. Einfach, weil uns das Genre gereizt hat. Auf das Thema selbst sind wir dann durch einen Zeitungsartikel gestoßen, der von einer deutschen Anklägerin in Den Haag handelte. Das war eine Figur, die uns beide sehr fasziniert hat. Doch erst nach unserer Begegnung mit der Anklägerin Hildegard Uertz-Retzlaff konnten wir uns auch wirklich vorstellen, eine solche Frau in den Mittelpunkt des Films zu stellen.

Wie haben Sie recherchiert? Haben Sie Ankläger, Verteidiger oder gar Zeugen interviewt?
Hans-Christian Schmid: Wir haben nicht mit einzelnen Zeugen gesprochen, aber mit Vertretern von Opferverbänden. Jede Frau geht anders mit einem solchen Erlebnis um, von daher glaube ich, dass uns solche Interviews bei der Entwicklung unserer Figuren auch gar nicht wirklich weiter geholfen hätten.

Was wir allerdings gemacht haben, war, mit einem Richter und Verteidiger, Anklägern und anderen Mitarbeitern des Tribunals zu sprechen. Weniger, um mehr über den Charakter und die Motivation unserer Figuren zu erfahren, als einfach um diesen großen komplexen Apparat besser zu verstehen.

Hannah, die Hauptfigur in Ihrem Film Sturm, ist eine idealistische Juristin, deren Klage gegen einen hochrangigen Kriegsverbrecher an der Bürokratie des Tribunals und politischen Interessenkonflikten scheitert. Auch die ehemalige Chefanklägerin Carla Del Ponte beschuldigt in ihrem Buch „Im Namen der Anklage“ Diplomaten und Politiker, sie bei ihrer Arbeit behindert zu haben. Eine gewollte Assoziation?
Hans-Christian Schmid: Carla Del Ponte ist die einzige Figur dieses Tribunals, die in der Öffentlichkeit bekannt ist. Trotzdem hat sie bei der Entwicklung von Hannah kaum eine Rolle gespielt. Wahrscheinlich auch, weil ihr Buch erst erschienen ist, als wir so gut wie fertig mit dem Film waren. Trotzdem wird der Zuschauer Del Ponte sicherlich mit Hannah in Verbindung bringen. Und das, obwohl Hannah gar keine Chefanklägerin so wie Del Ponte ist, sondern zu den sechzehn Staatsanwälten zählt, die dem Chefankläger unterstellt sind. Eine von ihnen ist unsere Kontaktperson Hildegard Uertz-Retzlaff. Sie kann man wohl am ehesten mit Hannah vergleichen. Allein schon deshalb, weil nur sehr wenige Frauen in dieser Funktion am UN-Tribunal arbeiten. Doch ihre Erfahrungen scheinen symptomatisch zu sein. Denn als wir den Film letztes Jahr vor dem UN-Personal in Den Haag gezeigt haben, hat uns eine weitere Anklägerin bestätigt, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Das  hat uns gezeigt, dass wir mit unserem Film ziemlich richtig liegen.

 

Mira, eine weitere Hauptfigur in Ihrem Film, entscheidet sich, gegen ihre Peiniger auszusagen. Dafür muss sie ihr mühsam aufgebautes neues Leben aufgeben und in die Anonymität fliehen. Ist die juristische Gerechtigkeit solch ein persönliches Opfer wert?
Hans-Christian Schmid: Das muss jeder Zeuge selbst entscheiden. Nur wenige Opfer begeben sich allerdings mit ihrer Aussage wirklich so in Gefahr, wie Mira es tun muss. Alle müssen sich jedoch für den Prozess erneut mit diesem grauenvollen Ereignis auseinandersetzen, was psychisch extrem belastend ist. Einigen Zeugen hilft ihre Aussage aber auch dabei, das Geschehene besser zu verarbeiten, weil sie dadurch die Möglichkeit bekommen, in aller Öffentlichkeit mit dem Finger auf den Täter zu zeigen und zu sagen: Du warst das, du hast mir das angetan, ich kann das bezeugen. Das verschafft ihnen eine gewisse Genugtuung.

Auch für die Ankläger, wie eben Hannah, ist es ein ständiges Abwägen: Handeln sie im Interesse der Opfer, wenn sie diese vor Gericht zerren oder zerstören sie nur erneut deren Leben?
Hans-Christian Schmid: Man hat uns gesagt, dass man gerade die Zeugen, die auch Opfer sind, oft dazu überreden muss, auszusagen. Das ist natürlich grenzwertig. Gleichzeitig würde das Tribunal ohne die Zeugen nicht funktionieren, da ihre Aussagen entscheidend sind für den weiteren Verlauf der Prozesse. Man fragt sich vielleicht, warum diese Aussagen nicht schriftlich vorgenommen werden. Muss man die Opfer dazu zwingen, erneut über ihre Pein zu sprechen? Leider ja, da schriftlichen Aussagen immer ein Makel anhaftet und sie vor Gericht immer weniger glaubhaft sind als ein Mensch, der sich persönlich vor den Richter stellt und bezeugt, so und so war das, ich habe das mit eigenen Augen gesehen oder gar erlebt.

Ansonsten stimme ich Ihnen zu: Das wenigste, was die Opfer zehn oder fünfzehn Jahre nach der Tat gebrauchen können, ist ein Gerichtshof, an dem sie nur ein Rädchen in einem großen Getriebe sind. Denn letztendlich sind die Richter und Ankläger nur an einem Bruchteil ihrer persönlichen Lebensgeschichte interessiert. Was daran liegt, dass alle Ad-hoc eingerichteten Strafgerichtshöfe, wie der für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, einer zeitlichen Begrenzung unterliegen. Das heißt, alle Prozesse müssen in einem bestimmten zeitlichen Rahmen abgewickelt werden. Das setzt die Ankläger und Richter unter einen immensen Zeitdruck.

In Bezug auf den Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien hat sich diese ganze Situation durch die Completion Strategy der Vereinten Nationen, in der sie beschlossen haben, dass alle Verfahren bis 2010 abgeschlossen sein müssen, noch verschärft. Denn da die Richter sich verpflichtet haben, dieses Zeitlimit einzuhalten, kann es während eines Prozesses dazu kommen, dass ein Anklagepunkt, den der Staatsanwalt noch vorbringen will, unter den Tisch fällt, weil man ansonsten den Prozess nicht rechtzeitig zum Abschluss bringen kann. Für alle diejenigen, die sich wie Mira mühsam dazu durchgerungen haben, genau diese, ihre Geschichte zu erzählen, ist so ein Einwand natürlich eine persönliche Katastrophe. Gleichzeitig sieht man an Verfahren wie etwa dem von Slobodan Miloševic, dass solche Prozesse auch nicht ausufern dürfen, weil es sonst passieren kann, dass einem der Angeklagte einfach wegstirbt.

Hannah muss sich am Ende des Prozesses zwischen ihrem persönlichen moralischen Verantwortungsgefühl und den politischen Interessen entscheiden. Sie entscheidet sich für die Moral und gegen die politische Räson. Ein idealistisches Ende?
Hans-Christian Schmid: Ein Ende, das die Haltung der Autoren widerspiegelt. Wir sind davon überzeugt, dass es immer noch solche Menschen wie Hannah gibt, die für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einstehen, ganz egal, welche Widerstände sie dafür überwinden müssen. Institutionen wie das UN-Tribunal sind extrem wichtig, aber man muss aufpassen, dass man während der Jahre, die man dort arbeitet, nicht vergisst, warum man dort angetreten ist. Darin sehe ich eine große Gefahr, auf die ich mit meinem Film aufmerksam machen wollte.