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Sturm Film

Sturm

Wahrheit ist auch nur Verhandlungssache

| Gunnar Landsgesell |

In Hans-Christian Schmids Film „Sturm“ gerät die Anklägerin des Haager Jugoslawien-Tribunals zwischen die Mühlräder der EU-Politik, des eigenen Gerichtshofs und ehemaliger Kriegsverbrecher.

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Mit seinem 2008 realisierten Politthriller wollte der deutsche Filmemacher (Hans-Christian Schmid im Interview) explizit Bewusstsein gegen das programmierte Ende des Kriegsverbrechertribunals für Jugoslawien in Den Haag schaffen. 2010 läuft das UN-Mandat des Gerichts aus. Die Wahrheitsproduktion, an der engagierte Anklägerinnen wie Hannah Maynard (Kerry Fox) in Sturm arbeiten, wäre damit fast am Ende.

Know Your Enemy

Schmids Film kann nicht verbergen, von welch großem Gerechtigkeitsgestus er getragen wird. Der Verurteilung der Schuldigen würde in Sturm fast alles geopfert. Das Leben von Zeugen, die eigene Karriere, die private Beziehung, schließlich auch das fragile Gefüge zur EU-Diplomatie, die das Jugoslawien-Tribunal fallweise gerne weniger aktiv sehen würde. So wird es zumindest unterstellt. Von der ersten Einstellung an zeigt der Film, wohin alles Handeln strebt. Zu sehen ist eine Strandszene, ein Vater mit zwei Töchtern, betont arglose Stimmung. Der Verdacht liegt insofern nahe, dass dieser Mann kein Guter ist. Die Vergangenheit holt ihn Minuten später tatsächlich ein. Mit der couragierten Anklägerin Hannah haben Schmid und sein Ko-Autor Bernhard Lange eine Instanz geschaffen, die Vergangenheit und Gegenwart rücksichtslos zusammenzerrt. Bis auf den eigenen Leichtsinn kann sie scheinbar nichts aufhalten. Während sich im Zuge ihrer Recherchen immer mehr Fallen um sie aufbauen, agiert sie selbst zunehmend entfesselter. So entwickelt sich Sturm weder als Post-Kriegs-Drama, das sich für Bosniens ehemalige Konfliktlinien besonders interessiert, noch als Institutionenkritik an der EU und Den Haag. Schmids Film entwirft das Porträt einer Frau, die Bastionen zu stürmen sucht, angetrieben von der Idee der Gerechtigkeit. Spannung entsteht primär dadurch, wie sie sich als Einzelkämpferin aus dem Apparat schält. Die Wahrheiten, die sie dabei freilegt, sind verhandelbar: Ob Krieg oder Gericht – was schließlich an die Oberfläche kommt, ist ausgemachte Sache. Wer die besten Optionen hat, entscheidet.

Schmids Methode, bereits in früheren Filmen bewährt, mit äußerer Distanz stillen menschlichen Aufruhr zu beobachten, geht auch in Sturm im Großen auf. Die Komplexität von Völkerrecht, Diplomatie und Krieg auf eine narrative Ebene zu brechen, verlangt nach starken Repräsentanten. Die Haager Klägerin Hannah dürfte an der deutschen Staatsanwältin Hildegard Uertz-Retzlaff orientiert sein, die vor Gericht durchsetzen konnte, dass sexuelle Gewalt an Frauen als System des Krieges in Jugoslawien angesehen wurde. Ein Gespräch mit ihr soll Schmid auf den Stoff gebracht haben. Drei Jahre recherchierten Schmid und Lange daraufhin. Die Perspektive der Anklage bestimmt die gesamte Handlung, die ihr Motiv der Wahrheitsfindung nie verlässt. Sturm entspricht einem Prozess, der ungewisse, aber keine spekulativen Bilder produziert. Deportation, Vergewaltigung, Exekution – das mögliche Bilderrepertoire der Gräuel eines Krieges bleiben so in der Erinnerung einer jungen Bosniakin (Anamaria Marinca) eingelagert. Mira Arendt könnte zwar als Kronzeugin in Hannahs Strategie auftreten, sie hat ihre Sprache aber noch nicht wieder gefunden. Das ist eine der bemerkenswertesten Facetten des Films: Er schafft es, das Kriegsgeschehen als Nebenfront zu vernachlässigen, ohne aber deren Opfer zur Nebensache zu erklären. Schmid gelingt es, über Miras Zögerlichkeit Erlebtes eben anzudeuten, wie auch den schwierigen Status der Gegenwart zu beschreiben. Nicht jede der brüchigen persönlichen Beziehungen geht aber so gut auf. Die Darstellung der dritten Hauptfigur in diesem Triptychon der Gewalten, Hannahs Freund Jonas Dahlberg (Wallander-Darsteller Rolf Lassgård) aus der EU-Politik ist nicht nur farblos, sondern recht einfältig ausgefallen. Dieser Brüsseler Pragmatiker untergräbt Schmids Polit-Kritik geradezu.

Schwächen der Anklage

So etwas passiert öfters. Immer wieder setzen die Autoren auf vordergründige Szenen. Ein Treffen mit einem bosnischen Botschaftsangehörigen und Jonas wird für Hannah zu einer Lehrstunde. Wie hier Diplomatie in Absprache mündet, schlägt aber nicht nur das Publikum, sondern vor allem Hannah selbst unter ihrem Wert. Die Strategie, den Zuseher die Welt durch Hannahs Augen erfahren zu lassen, hintertreibt sich in solchen Momenten selbst. Und fordert fast eine Naivität der zwei Geschwindigkeiten. Wer ist gutgläubiger? Ein spontaner Besuch Hannahs im Ort eines vermuteten Kriegsverbrechens endet mit eingeschlagenen Autoscheiben und einer Morddrohung. Das sind Bilder, die Angst machen. Aber auch hier scheint die Klägerin in ihrer eigenen Welt unterwegs, weil es die Dramaturgie verlangt. Doch was ist mit der Aufnahme, früher im Film, aus dem fahrenden Auto heraus, die ein Schild „Welcome to Republika Srpska“ (Serbischer Teil Bosniens) und danach gleich eine verkohlte Häuserruine zeigt? Nicht immer wollen Zeichen und gesetzte Handlungen in Sturm zusammenpassen. Dass die Haager Klägerin mal kurz zum Nachmittagsausflug in Schlapfen Kriegsverbrechern nachspürt, mag auch der Kritik am Tribunal, sich in ehemaligen Kriegsgebieten etwas selbstherrlich zu bewegen, geschuldet sein. Über seinen emotionalen Gehalt hinaus gewinnt die Szene dadurch aber auch nichts. Emotional wird übrigens auch der Antagonismus der Institutionen zwischen Brüssel und Haager Gericht untermauert, durch einen Bruch auf einer persönlichen Ebene. Tatsächlich steckt in Sturm viel Gefühlspolitik. Emotionen des Publikums werden nicht geschürt, aber immer wieder gekonnt gebündelt. Dementsprechend findet auch das Ende des Films nicht mehr in die Routinen großer Apparate zurück, sondern bereitet für den Gerichtssaal ein exzeptionelles Finale vor, in dem ein individueller Kraftakt – die Normüberschreitung – die Gerichtsmaschine zum Duell fordert. Ein verdientes Pathos der Zivilcourage flackert kurz auf, wenn politische Deals zusammenkrachen.

Meister zwischen Nähe und Distanz

Den Schauplätzen von Sturm hängt etwas durchwegs Geisterhaftes an. Die Neutralität von Hotellobbys und Büroräumen des Haager Tribunals oder auch die verwehte Atmosphäre bosnischer Dörfer, in denen die Spuren des Krieges unsichtbar fortwirken, arbeiten den dramatischen Effekten der Handlung kühl entgegen. Das gilt auch für den Score, die deutsche Indie-Popgruppe The Notwist bemüht sich, den Ball möglichst flach zu halten.

In Schmids bisherigem Schaffen bedeutet Sturm den Schritt zur dezidiert politischen Stellungnahme. In dem frühen Verschwörungsthriller 23 – Nichts ist so wie es scheint (1998) beobachtete Schmid mit zurückhaltender Bildsprache die fieberhaften Delirien, in die der junge Hacker Karl Koch Anfang der Achtziger Jahre stürzt, als er, durch Pillenkonsum und „Illuminaten“-Lektüre angefeuert, versucht, eine vermutete Staatsverschwörung aufzudecken. Zwar wies der Abspann auf eine reale Vorlage des Stoffes hin, doch die filmische Distanz zu Kochs Wirklichkeitsverlust blieb unverkennbar. Eine Erzählhaltung, die Schmid auch bei dem intimen Jugenddrama Crazy (2000) fortsetzte. In dieser Coming-of-Age-Story verkörpert Robert Stadlober den durch eine spastische Behinderung gehemmten Schüler Benjamin Lebert. Schmid entwirft eine warme Sommererinnerung zwischen Schulbetrieb und Badesee, die sich zwischen den kleinen Unsicherheiten und Aspirationen des Schülers entfaltet. Hier, wie auch in der viel kühler gehaltenen, tragischen, wieder auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte eines religiösen Wahns, Requiem (2006), dem schließlich die Tochter (Sandra Hüller) der unglückseligen Familie zum Opfer fällt, gelingt es Schmid, die Balance zu halten zwischen den inneren Erschütterungen seiner Akteure und den Fliehkräften der Welt.

Etwas aus dem Ruder lief hingegen das mehrere Erzählstränge überkreuzende Flüchtlingsdrama Lichter (2003), in dem Schmid, gemeinsam mit seinem langjährigen Drehbuchautor Michael Gutmann, in Schlaglichtern die Fluchtbewegung mehrerer Menschen zeigt. Ein komplex angelegtes Panorama, das vielfach zu überzeugen vermag, doch schon diesem Stoff mit realpolitischer Nähe merkte man den Nachdruck an, mit dem die Bewegungen der Akteure mit einer über die Narration hinausgehenden Botschaft ausgestattet wurden. Am Ende führen ihre Wege scheinbar schicksalhaft zusammen, jedes Leben hat hier mit dem der anderen zu tun. In dieser Welt, sagt der Film, ist niemand unbeteiligt. Dementsprechend nervös hat der polnische Kameramann Bogumil Godfrejow die Bilder von Lichter flackern lassen, voll Unruhe springt er von einem Akteur zum anderen, bis die (Flucht-)Realität aus ihren Einzelteilen zusammengebastelt ist. Nüchterner ging Godfrejow es bei Requiem an, da gibt es viel unheilvolle Ruhe und falsche Oberflächen, während hingegen bei Sturm eine Wahrnehmung der Wirklichkeit gesucht wird, die sich für gewöhnlich aus medialen Vermittlungen speist. Wie sehen die Bilder aus, die wir von EU-Institutionen, von Kriegsverbrechertribunalen, von Reportagen aus ehemals kriegsführenden Ländern kennen? Schmid und Godfrejow arbeiten in dieser Hinsicht sehr überzeugend: eine Bildsprache, die die prekäre Atmosphäre des Geschehens vermittelt, ohne dass diese auf Rekurse von Gewalt, wie etwa Kriegsszenen oder Erinnerungen, angewiesen wäre. Nüchtern, kühl, unpersönlich. Das entspricht wieder der äußeren Distanz, mit der Schmid von Herzen in Aufruhr zu erzählen vermag wie nur wenige andere Filmemacher in Deutschland. P.S.: Ironisch lesbar ist der Titel: „Operation Sturm“ war jene kroatische Offensive gegen die Krajina-Serben, mit der der Kroatien-Krieg 1995 durch ethnische Säuberungen praktisch beendet wurde. Ihr Oberbefehlshaber Ante Gotovina ist in Kroatien ein Kriegsheld. Zur Zeit muss er sich vor dem Haager Tribunal verantworten.