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Inception

Inception

Der Magier

| Roman Scheiber |

Der von Filmkennern am meisten antizipierte Blockbuster des Sommers heißt „Inception“. Dafür verantwortlich zeichnet ein aus London stammender Meister der Bilder- und Gedankenmanipulation.

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Zu Beginn des Jahres, die Best-of-2009-Listen waren gerade durchdekliniert, startete der kanadische Movie-Fanblog Film Junk eine Umfrage: What is your most anticipated film of 2010? Zur Auswahl standen, der Einfachheit halber, zehn präsumtive Blockbuster, darunter Toy Story 3, Iron Man 2, Kick Ass, Alice in Wonderland und Tron Legacy. Eine überwältigende Mehrheit von mehr als 30 Prozent der User klickte jedoch auf Inception – zweieinhalbmal mehr als auf den anderen angebotenen Film mit Leonardo DiCaprio, Scorseses Shutter Island, und viermal mehr als auf den neuen Harry Potter.

Ergebnisse solcher Umfragen hängen nicht selten mit cleveren Marketingstrategien zusammen. Im vorliegenden Fall könnte das enorme Interesse der Online-Community sich aber auch durch den Namen erklären, der als Master Mind und Verantwortlicher hinter der Kamera geführt wird: Christopher Nolan. Der am 30. Juli gerade einmal 40 Jahre alte, in London geborene „writer-director“ ist vor allem durch seine erfolgreichen Batman-Inszenierungen bekannt. Der Straßenfeger The Dark Knight (2008) bescherte „Joker“ Heath Ledger post mortem einen Oscar; das Prequel Batman Begins (2005) mit Christian Bale rollte die Geschichte von Bruce Wayne noch einmal intelligent von hinten auf. Ein dritter Batman unter seiner Regie ist für 2012 geplant, doch dazwischen gönnte Nolan sich eine kreative Pause von der Fledermaus-Franchise.

Mission Impossible meets Matrix

Das Resultat dieses Zwischenspiels wird von Journalisten und Bloggern mit ähnlich hoher Spannung wie das Batman-Sequel erwartet, allein die Google-Suche des Blogs Slashfilm nach Inception spuckt hunderte Einträge aus. Die „L.A. Times“ erwartet „Hollywood’s first existential heist movie“. Gesichtet werden jedoch konnte der futuristische Mystery-Actioner bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch von niemandem. Der schon vergangenen November veröffentlichte Teasertrailer zeigt Leo DiCaprio mit verstörtem Gesichtsausdruck (wie schon in Shutter Island), führt in ein düsteres Setting ein, in dem die Schwerkraft Matrix-like aufgehoben scheint, und wirbt unter Zehennägel aufkringelnden Elektrotrommelschlägen mit der Tagline „Your mind is the scene of the crime“. Dass die Soundwerkstatt von Hans Zimmer Infektiöses geleistet hat, ist seit Mai hörbar, als der Kinotrailer gelauncht wurde; zu sehen sind in jenem neben DiCaprio als Dom Cobb („I specialise in a very specific type of security. Subconscious security.“) auch Jungstar Ellen Page (Juno), Cillian Murphy („The Scarecrow“ in The Dark Knight) und u.a. die Oscar-Preisträger Michael Caine und Marion Cotillard.

Inception heißt hier eine Technik, in die Träume von Menschen einzudringen oder Menschen in eine Traumwelt zu überführen, wo sie ihre Geheimnisse preisgeben. Nach der offiziellen Synopsis der Produktionsfirma Warner Bros. ist Cobb der ungekrönte König dieser Methode, eine Art Ideen-Dieb, der in Diensten dubioser Firmen fremde Gehirne nach Verwertbarem durchscannt. Doch sein Spionage-Job hat sein Leben ruiniert; er ist auf der Flucht. Ein letzter Auftrag soll Cobb rehabilitieren. Eine Mission impossible, so scheint es: Die Aufgabe ist diesmal nicht, eine Idee zu stehlen, sondern eine Idee zu transplantieren.

Dream share manual – classified

Wem bei dieser Beschreibung Filme wie Minority Report oder Vanilla Sky in den Sinn kommen, muss nicht notwendig Opfer einer Gehirnmanipulation geworden sein. Auf dem Internetportal Making of gibt es eine kurze Featurette zu Inception mit On-Set-Footage und Soundbites von Nolan und DiCaprio. Gedreht wurde, offenbar James-Bond-inspiriert, in sechs verschiedenen Ländern, Schneemobilszenen inklusive. „Der unbewusste Koffer für diesen Reisefilm könnte von Sigmund Freud gepackt worden sein“, vermerkte die „L.A. Times“, „aber er trägt einen von Ian Fleming gestempelten Pass.“ Der Fantasie des Filmemachers, das Traumhafte seines Projekts in Augen übergehen lassende Bilder umzusetzen, waren auch monetär kaum Grenzen gesetzt – kolportiert wird ein Produktionsbudget von mehr als 200 Millionen Dollar. Nach einem starken Jahr mit hohen Einnahmen aus Harry Potter and the Half-Blood Prince und den Überraschungserfolgen The Hangover und The Blind Side könne Warner sich das locker leisten, berichtet die Website Box Office Mojo. Außerdem ließe der All-Time-Blockbuster Avatar darauf schließen, dass das Publikum gewillt sei, sich auf Science Fiction auch abseits bekannter Markennamen einzulassen.

Virales Marketing kann natürlich trotzdem nicht schaden: In der Redaktion des „Wire“-Magazins traf Ende Mai unverlangt ein dickes Paket mit einem „Classified“-Stempel ein, das sich als „Dream-Share“-Manual bezeichnet und in sieben illustrierten Kapiteln über die Techniken und Taktiken der Traum-Manipulation Auskunft gibt. Dazwischen jede Menge anscheinend mit schwarzer Tinte überpinselter Text, am Ende der Hinweis auf ein Gerät namens PASIV, das einem aus dem Trailer von Inception bekannt vorkommen könnte (www.pasivdevice.org).

Subconscious security

Die bislang zu Inception veröffentlichten Plakatsujets zeigen schiefe Hotelfluren, Straßen am Himmel und zerberstende Städte. Slogan: The dream is real. Laut eigener Aussage träumt Christopher Nolan seit dem zarten Alter von 16 davon, diesen Film zu machen. Seine Vision eines formal anspruchsvollen und dennoch publikumswirksamen Thrillers wurde indes schon vor zehn Jahren Realität. In dem Aufsehen erregenden Filmpuzzle Memento stattete Nolan Guy Pearce mit einem sekundenkurzen Gedächtnis aus und ließ diesen gegen jede Genrekonvention Szene für Szene verkehrt herum durch die Handlung taumeln, kontinuierlich vom Ende zurück zum Anfang. Zwei Jahre zuvor hatte der innovative Autor und Regisseur mit dem raffiniert verschachtelten Noir Following schon die Visitenkarte für Hollywood abgegeben. (Eine Hauptfigur dieses kleinen Schwarzweiß-Erzählexperiments heißt übrigens Cobb und dringt in die Leben fremder Leute ein.) Dass die Manipulation des menschlichen Geistes sein Hauptthema ist, bewies Nolan auch mit einem Insomnia-Remake (2002) und mit seinem ersten Ausflug von der Batman-Franchise: Zwischen Batman Begins und The Dark Knight inszenierte er eine Fehde zweier Bühnenmagier (mit Hugh Jackman und seinem Batman Christian Bale) im viktorianischen London. The Prestige (2006) lebt vom Tarnen und Täuschen, vom Irritieren und Verbergen, vom Beeinflussen und Betrügen. Die Erzählweise und die kunstvoll gesetzte Pointe dieses Films weisen seinen Schöpfer als einen großen Zauberkünstler aus, der das Kino selbst offen als Tricktechnik ausstellt: Komplex konstruiert, dreifach chronologisch verschachtelt ist The Prestige dennoch emotional mitreißend und ganz nebenbei auch noch, wie alle Nolan-Thriller, ein Lehrstück über Schein und Sein. Welcher Preis für die Illusion zu bezahlen ist, darüber kann man sich bei Nolan-Thrillern trefflich Gedanken machen – oder besser gesagt, nach Nolan-Thrillern, denn währenddessen steht man im Regelfall vollständig unter dem Einfluss dieses Magiers, der die Demagogie des Kinos beherrscht und bislang zum Besten des Kinovolks nutzt. Subconscious security.