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Gerald Trimmel

Music for Film and Media

„Networking ist das Wichtigste“

| Andreas Ungerböck |

Gerald Trimmel, Historiker und Musiker, ist seit der Gründung des Österreichischen Studienzentrums für Film an der Donau-Universiät in Krems im Juli 2001 dessen Leiter. Seit acht Jahren zeichnet er für den jährlich stattfindenden Master-Lehrgang „TV- und Filmproduktion“ verantwortlich. Nun hat er auf Anregung von und gemeinsam mit Herwig Pöschl, Komponist, Kurator, Lehrer und Forscher aus Salzburg, ein neues Post-graduate-Programm namens „Music for Film and Media“ entworfen, das im Oktober 2010 beginnt und sich über fünf Semester erstreckt. Internationale Expertinnen und Experten werden den Studierenden ihr umfangreiches Knowhow vermitteln und helfen, Businesskontakte aufzubauen. Ein Teil der Ausbildung wird an der University of California in Los Angeles absolviert.

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Wie kam es seinerzeit zur Etablierung des Lehrgangs für TV- und Filmproduktion?
Gerald Trimmel:
Die Frage war damals: „Wo sind in Österreich die weißen Flecken im Bereich der Weiterbildung in der Film- und Medienbranche?“ Das stellte sich schnell heraus: im hybriden Bereich zwischen Inhalt und Produkt, das heißt, es gab einen Mangel an Knowhow, das notwendig ist, um den langen Weg von der Idee zum Produkt zu schaffen. Das war der Grund, warum wir den Master-Lehrgang ins Leben gerufen haben, der nun schon acht sehr erfolgreiche Jahrgänge hinter sich hat. Er findet jedes Jahr statt, umfasst drei Semester und schließt mit einer Master Thesis ab.

Was kann man sich nun unter dem Master-Programm „Music for Film and Media“ vorstellen?
Gerald Trimmel: Es ging darum, einen zweiten Lehrgang zu lancieren, der da anknüpft und einen Bereich erfasst, der bis dato ein wenig stiefmütterlich behandelt wurde. Interdisziplinär und von der Form des Unterrichts unterscheidet sich das doch sehr von dem, was Universitäten bisher anbieten. Das Ganze hat für mich Laborcharakter, das heißt, der Unterricht findet in Kleingruppen bis zu 20 Personen statt, mit und von Expertinnen und Experten, die durch jahrelangen Einsatz und Erfolg in ihrer Tätigkeit sehr viel an Kompetenz mitbringen und das auch weitergeben wollen, die ihre Erfahrungen auch hinterfragen und mit den Studierenden kritisch diskutieren wollen. Daher diese Metapher des Labors, wo man viel mit Fallstudien arbeitet, viel analysiert und auch Trainingssituationen einbaut. Das ist die eine große Besonderheit, als zweite sollte man das Networking nennen, das hier geschieht. Durch den nachhaltigen Kontakt zu den Vortragenden aus der Branche knüpft man auch gleich seine eigenen Businesskontakte, seine eigenen Netzwerkknoten und erweitert seine eigenen Netzwerke. Das ist auch ein großer Vorteil, den der klassische Uni-Unterricht nie in dieser Form bieten kann.

In den USA ist es ja durchaus üblich, dass Studierende viel enger mit den Lehrenden kommunizieren als hierzulande.
Gerald Trimmel: Ja, im europäischen Bereich ist das eher verpönt. Das gibt es vielleicht in Einzelfällen, aber an Universitäten ist das noch immer die Ausnahme.

Warum ist das so? Weil hierzulande alles viel hierarchischer organisiert ist?
Gerald Trimmel: Genau. Es herrscht immer noch eine an klassischen Unterrichtsformen orientierte Form der Wissensvermittlung. Es gibt die Hauptvorlesungen, dann die Seminare, die Übungen, die Kolloquien. Dieses Schema bricht nur langsam auf. Ich merke immer wieder, wenn ich mit Universitäten zu tun habe, dass es da ganz andere Denk- und Organisationsformen gibt. Das bedeutet aber auch, dass die oftmals einen sehr langen Atem brauchen, um etwas Neues zu etablieren, neue Inhalte zu integrieren oder neue Ausbildungsformen zu erproben. Das ist sicher ein Vorteil bei uns. Ich glaube, dass man gerade in einem Bereich, in dem Leute schon mit einem Basiswissen zu uns kommen, auch ganz andere Formen der Wissensvermittlung anbieten muss, um im Bereich der Karriereplanung hilfreich sein zu können. Das ist für uns ein wesentlicher Ansatz, dieses Hineinbegleiten in die Branche. Das wichtige ist immer, dass die individuellen Karriereziele in einer gemeinsamen Arbeit verfolgt und erreicht werden. Die können durchaus verschieden sein. Was den Lehrgang TV- und Filmproduktion betrifft, ist das nicht nur der klassische Produzent oder Produktionsleiter; zu unseren Absolventen zählen beispielsweise auch Martin Kanzler, der heute Medienanalyst am European Audiovisual Observatory ist und aus einer analytischen Perspektive heraus in der Filmlandschaft arbeitet, oder Johannes Köck, Geschäftsführer von Cine Tirol und somit vor allem mit Filmförderung beschäftigt. Oder Ulrich Herburger, der an der FH in Vorarlberg im Bereich Videogestaltung unterrichtet und das Knowhow, das er bei uns erworben hat, für seinen Unterricht verwendet.

Aber Produktion wird ja durchaus auch an der Wiener Filmakademie unterrichtet …
Gerald Trimmel: Im Ausbildungsbereich, als Studium, ja. Wenngleich ich schon meine, dass der Schwerpunkt der Filmakademie in den künstlerischen Fächern liegt. Es wird niemand bestreiten, dass ein wesentlicher Fokus spätestens seit der Ära Haneke auf Regie liegt, sicher auch auf Kamera und Drehbuch. Die klassischen künstlerischen Disziplinen stehen im Mittelpunkt. Natürlich wird auch Produktion unterrichtet, aber nicht in dieser Form wie bei uns. Man hat dort ja nicht die Möglichkeit, eine Fülle von 30 Expertinnen und Experten aus der Branche so einzusetzen, wie wir das machen. Wir versuchen eben auch ein anderes Modell des Unterrichts. Das hat sich sehr bewährt, diese Form der laborartigen Wissensvermittlung und dieses multilateralen, diskursiven Unterrichts, und auch die interdisziplinären Inhalte. Gerade im Bereich der Filmproduktion ist es sinnvoll, Sachen ständig zu verknüpfen. Im Bereich der europäischen Koproduktionen hat man immer die finanzielle Dimension, die berücksichtigt werden muss. Man hat die interkulturelle Dimension und die rechtliche. Der Vertrieb ist ein wesentlicher Aspekt, weil man ja verschiedene Geldtöpfe anzapft und dadurch neue größere Märkte erschließt. Es geht aber auch um Projektentwicklung, um viele komplexe, ineinander greifende Themen.

Hat der Filmmusik-Lehrgang auch etwas mit Ihrem persönlichen Hintergrund als Musiker zu tun?
Gerald Trimmel: Nein, die ursprüngliche Idee ging von Professor Herwig Pöschl aus, allerdings hat er bei mir damit eine offene Tür eingerannt. Ich hatte das seit einiger Zeit im Hinterkopf, aber es war naheliegend, das mit ihm als Kooperationspartner auf Schiene zu stellen. Von der Struktur her ist dieser Lehrgang dem Produktionslehrgang nicht unähnlich: Auch hier gibt es dieses laborähnliche Environment. Was durch Herwig Pöschls Kontakte gelungen ist, ist teilweise wirklich atemberaubend, nämlich Leute mit ins Boot holen zu können wie Peter Wolf, Gary Schyman, Andreas Weidinger aus München und viele andere. Das sind Menschen mit sehr spannenden Ansätzen, die versuchen, ihr Knowhow zu fokussieren und einen Transfer zuzulassen. Das Herz der Filmmusik schlägt natürlich in den USA. Wir wollen eine gute Balance finden, weil das eigentlich alles sehr kosmopolitisch tätige Komponisten und Produzenten sind. Auf der anderen Seite sind die USA natürlich auch deswegen der Brennpunkt der Filmmusik, weil sie dort schon längst so etwas wie ein Teil des kulturellen Erbes ist. In Europa ist sie mittlerweile zwar eine anerkannte eigenständige Kunstform, die wirtschaftlich zunehmend an Bedeutung gewinnt, aber eine Relevanz wie in Amerika hat sie hier noch nicht.

Sie meinen, dass Filmmusik auch aufgeführt wird?
Gerald Trimmel: Ja, diese Idee kommt von dort. In Europa sind die Komponisten häufig in sehr verschiedenen Welten zu Hause, die sind fast ein bisschen schizophren orientiert. Auf der einen Seite gibt es die „seriösen Komponisten“, die für die Aufführungshäuser komponieren und dann aber irgendwo im Verborgenen eine, wenn auch fast bekanntere, zweite Schiene haben – nämlich die des Filmkomponisten. Nehmen wir Ennio Morricone: Niemand, oder fast niemand, wusste, dass der auch ein „normaler“ Komponist ist, der aber immer sehr klare Trennlinien ziehen wollte zwischen dem, was er für den Film macht und dem, was er für den Konzertsaal macht. Erst in den letzten Jahren ist er von der Philosophie abgekommen, und seither gibt es seine mehr als ausverkauften Konzerte. Filmmusik in Europa ist etwas, was, glaube ich, gerade sehr stark entdeckt wird. Das hat sicher auch mit dem starken Aufkommen der Interactive Games zu tun: Man glaubt gar nicht, wie groß auf diesem Sektor die Bedeutung qualitativ hochwertiger Musik – sogar Orchestermusik – ist. Hier ist der Sound fast wichtiger als das Bild. Man nimmt eher in Kauf, dass vielleicht das eine oder andere Rendering nicht so gelungen ist, aber die Musik muss perfekt sein, weil sie wirklich das Herz der Action und das vorantreibende Element ist. Auch das ist etwas, worauf wir sehr genau Bedacht nehmen im Lehrgang, weil in diesem Bereich sehr großes Potenzial für Komponisten und Musikproduzenten zu erwarten ist. Da geht es längst nicht mehr darum, dass ein paar mehr oder weniger geniale Bastler ihre Soundtracks im Wohnzimmer zusammenschnippeln, sondern das muss auf höchstem musikalischen und produktionstechnischen Niveau passieren.

Wie lang hat es von der ersten Idee zu dem Lehrgang bis zur Umsetzung gedauert?
Gerald Trimmel: Es brauchte ein starkes halbes Jahr intensiver Entwicklungszeit, um das Curriculum gut abzustimmen und zu gewichten, bis hin zur Berechnung der ECTS-Punkte.

Was sind denn ECTS-Punkte?
Gerald Trimmel: Das European Credit Transfer System versucht, eine Skala der Vergleichbarkeit von Unterrichtsfächern aufzustellen, wobei es auch darum geht, dass man sich bestimmte Sachen anrechnen lassen kann, wenn man in eine andere Institution kommt. Es geht um die Vergleichbarkeit von Lehrgängen. Es ist nicht ganz unumstritten, denn es handelt sich eher um quantifizierende Parameter, die nicht wirklich inhaltliche Strukturen berühren, sondern eher Annahmen von Arbeitsaufwand, von realem Präsenzunterricht und von Vorbereitungszeiten. Das ist vielleicht ein erster Schritt in eine gewisse Richtung, die interessant und auch richtig ist, aber wir sind noch weit entfernt, tatsächlich Vergleichbarkeit zu schaffen. Das ist sowieso etwas Asymptotisches, denn man kann Lehrinhalte nie wirklich vergleichen. Seriöse Lehrgänge zu entwickeln, das braucht immer eine lange Vorbereitungsphase. Das geht dann eben in den Senat der Universität, wo die inhaltlichen, formalen und rechtliche Kriterien minutiös geprüft werden, bis dann dieser Lehrgang frei gegeben wird und öffentlich gemacht werden kann.

Wie schwer war es, all diese Experten nach Krems zu holen? Sind die nicht auf Jahre ausgebucht?
Gerald Trimmel: Man muss natürlich einmal Personen finden, die auch großes Interesse an der Weitergabe ihres Wissens haben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade diejenigen, die Schlüsselphasen der Filmmusikbranche entscheidend mitgeprägt haben, auch ein großes Interesse haben, die nächste Generation zu professionalisieren und ihr Wissen weiterzugeben. Dadurch dass der Unterricht modular und geblockt ist, lässt sich das auch einigermaßen gut planen, trotz eines vollen Terminkalenders: Mit der entsprechenden Vorlaufzeit und Terminvereinbarung ist das dann schon möglich.

Man sagt ja, dass es der Musikindustrie generell schlecht gehe. Berührt das Ihren Lehrgang irgendwie, bzw. wird das auch thematisiert
Gerald Trimmel: Man muss Filmmusik differenziert sehen. Das ist ein Segment innerhalb der gesamten Musikindustrie. Betrachtet man die große Filmmusik, die der Blockbuster, bekommt man ein ganz anderes Bild, als wenn man sich mit der Filmmusik z.B. im deutschen Fernsehen beschäftigt. Das heißt, über Filmmusik im ökonomischen Kontext generell zu sprechen, ist sehr schwer. Ich glaube, beim Fernsehfilm gab es bis vor kurzem noch den Trend, dass die komponierten Soundtracks immer billiger werden mussten. Das ist so eine Preisspirale, die sich drastisch nach unten bewegt. Andererseits ist vielleicht auch durch den Einfluss der Spiele-Industrie eine ganz andere Bewegung zu sehen. Der Blockbuster lebt sehr stark vom Sound, vom Soundtrack, von der komponierten Musik, wie auch vom Sounddesign – ebenso die Games. Wenn man also die Games-Industrie mit berücksichtigt, korrigiert sich die Kurve deutlich nach oben. In der klassischen Musikindustrie hat man, was die Tonträgerproduktion betrifft, negative oder rückläufige Zahlen. Andererseits vermutet man, dass die Downloads sich steigern werden. Die Steigerungen sind da, aber sie sind noch nicht so relevant, dass sie die Abwärtsbewegung bei den klassischen Tonträgern auch nur ansatzweise wettmachen würden. Es ist sehr schwer, hier Prognosen abzugeben. Ich gehe aber, gerade wegen neuer Arbeitsfelder wie Business-Audio, Games und anderer Formen, davon aus, dass Musik für das Bewegtbild, um das sehr allgemein zu sagen, ein sehr zukunftsträchtiger Bereich mit großem Steigerungspotenzial ist.

Wenn man bedenkt, was allein das Fernsehen an Musik braucht … Ist es nicht ohnehin teurer, auf Konserven zurückzugreifen, als Musik komponieren zu lassen? Liegt darin nicht eine Chance für junge Komponistinnen und Komponisten?
Gerald Trimmel: Leider haben hier viele semiprofessionelle Komponisten zu sehr niedrigen Preisen gearbeitet und den Markt auf diesem Sektor stark in Bedrängnis gebracht. Andererseits muss man sagen, dass es da langsam einen Bewusstseinswandel gibt, denn man hört das ja auch. Man hört, dass das sehr hölzern komponierte Musik ist, die in keiner Weise besser ist als irgendwelche Klangteppiche, die im Vorhinein für unbestimmte Verwendungszwecke komponiert wurden. Wenn man solche Musik verwendet, wird auch die emotionale Ebene eines Films unpräzise und schwammig. In vielen Fällen sind es nicht nur ein holzschnittartiges Drehbuch, nicht nur Schauspieler, die von der Fließbandarbeit für Serien ausgepowert oder frustriert sind, sondern auch noch zusätzlich schwammige Soundteppiche, die die Schärfe trüben. So kommt eben diese typische Fernseh-Konfektion zustande, bei der man eigentlich sehr schnell den Aus-Knopf drücken oder das Programm wechseln möchte. Ich glaube aber, dass bei den Sendeverantwortlichen allmählich eine Neubesinnung stattfindet. Dass die Tendenz in Richtung Qualität geht. Ein erfreuliches Beispiel war für mich der Zweiteiler „Aufschneider“ im ORF.

Kommen wir zurück zu Ihrem Master-Lehrgang. Wer sind Ihre Teilnehmer? Wie sieht die Zielgruppe aus?
Gerald Trimmel: Das sind in erster Linie Musikschaffende, die ihren Schwerpunkt im Bereich Film- und Medienmusik verlagern wollen, darunter durchaus auch Leute, die schon in dem Bereich tätig sind und ihr Wissen verbreitern wollen. Und dann natürlich jene, die von Musik- oder Kunstuniversitäten mit Schwerpunkt Musik für Medien, Mediengestaltung, Medienkunst kommen. Wir haben dadurch, dass die Unterrichtssprache Englisch ist, die Türen für alle weit geöffnet. Wir denken, dass genug Interesse da sein müsste – auch über Europa hinaus.

Wie abschreckend ist eine Studiengebühr von 15.000 Euro?
Gerald Trimmel: Man darf nicht vergessen, dass es sich um ein hochkarätiges Programm handelt, das sich über fünf Semester erstreckt, mit hochrangigen Expertinnen und Experten. Allein die Netzwerk-Arbeit, die hier geleistet wird, ist in Geld fast nicht aufzuwiegen, die Kontakte, die man hier knüpfen kann. Und eines der Unterrichtsmodule wird komplett vor Ort in Los Angeles an der UCLA stattfinden, vor allem die ökonomisch orientierten, Marketing-spezifischen Teile, der Bereich des Production Management for Film and Media, das Networking – da sind wir natürlich in L.A. absolut am richtigen Ort. Und in Härtefällen bemühen wir uns, Hilfestellung zu leisten – im Rahmen unserer Möglichkeiten.