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Roadmovie Klassiker

Dass das Genre Roadmovie zu den beliebtesten des Kinos zählt, mag wohl daran liegen, dass es eines der filmischsten ist. Egal ob italienischer Neorealismus der Vierziger oder New Hollywood der Siebziger Jahre, ob italienische Landstraße oder amerikanischer Highway: Die Landschaft sowie das Tempo, mit dem diese durchquert wird, fordert den Blick der Filmemacher stets aufs Neue. Das Auto in seinen vielen Ausführungen scheint hier zumindest für kurze Zeit das große Versprechen von Freiheit einzulösen. Wie sehr diese Filme darüber hinaus Reisen in die Seelenlandschaften der Protagonistinnen und Protagonisten sind, kann man von 27. August bis 6. Oktober in der Reihe „Autokino Road|Movie: 1940 bis 1976“ des Filmmuseums überprüfen. Zur Einstimmung eine Bild- und Textstrecke mit einigen „ray“-Favoriten.

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Catch Us If You Can (1965)

John Boormans erste Kinoarbeit führt als musikalische Komödie direkt ins „Swinging London”. Barbara Ferris, Star einer Werbekampagne einer Fleischfirma, wird von Dave Clark als Stuntman „gekidnappt”, worauf sich die beiden auf die Suche nach der utopischen Freiheit begeben. Wunderschön wie Boorman seine zentralen Motive auf ein scheinbar harmloses Genre überträgt: Die Beziehung zwischen Mensch und Natur (in die hier die beiden Ausreißer aus der Zivilisation flüchten), einer damit einhergehenden (immer leicht oberflächlichen) Kapitalismuskritik; und vor allem das Motiv der Suche (hier nach einer Art Wunder-Insel, die sich am Ende als falscher Schein erweist). Nicht zufällig wird Boorman nur zwei Jahre später diesen suchenden Blick auf das Neue Hollywood werfen, dann aber vorgetragen im Konjunktiv aus Lee Marvins Kopf.
Michael Pekler

Duel (1971)

Ein Handlungsreisender bricht zu einer Fahrt auf, die ihn über die einsamen Landstraßen Kaliforniens führt. Doch die langweilige Geschäftsreise nimmt eine völlig unerwartete Wendung, denn plötzlich macht ein riesiger Lastwagen – ohne jeden Anlass – Jagd auf den Wagen des Geschäftsmanns, der schon bald erkennen muss, dass er als Opfer eines tödlichen Katz-und-Maus-Spiels auserkoren wurde. In seinem ersten Spielfilm konzentriert sich Steven Spielberg auf ein klassisches Motiv – die Verfolgungsjagd – , um damit pures, lupenreines Kino ungemein effektvoll in Szene zu setzen. Der endlose Highway, ein typisch US-amerikanisches Symbol für Freiheit und Mobilität, mutiert schlagartig zu einem Ort blanken Schreckens, aus dem es kein Entkommen gibt. Mit seiner kompromisslosen Schnörkellosigkeit zählt „Duel“ immer noch zu den herausragenden Arbeiten des New-Hollywood-Kinos.
Jörg Schiffauer

The Grapes of Wrath (1940)

Die erste Einstellung von „The Grapes of Wrath“ gleicht dem Schlussbild von Chaplins „Modern Times“. Das Motiv der offenen Straße, das die Route 66 so eindrücklich abgab, war längst zu einer Ikone der Depressionsjahre geworden. Arthur Rothstein, Walker Evans, Dorothea Lange und die Fotografen der Farm Security Administration, der zur Rettung der Landwirtschaft gegründeten Regierungsbehörde, hatten es auf ihren Reisen durch das Elend wachgehalten. Für die mittellosen Farmer auf ihrem Weg in den Westen steckte alle Hoffnung in der Unendlichkeit dieser durch spätere Road-Movies so abgenutzten Bildflucht. John Ford folgte der schonungslosen Sicht der FSA-Fotografen mit der gleichen Treue, die er sonst dem Westernmaler Frederic Remington entgegenbrachte. So erreichte er in der Verfilmung von John Steinbecks Bestseller einen für eine Studioproduktion des Jahres 1940 geradezu exotischen Realismus. Zugleich erdete er sein aufrüttelndes Plädoyer gegen einen entarteten Kapitalismus mit der Western-Folklore eines Songs wie „Red River Valley“. So erreichte er für dieses Drama jenen breiten Konsens, den man sich politisch wünschen musste. Selbst ein konservativer Geist wie Walt Disney war derart beeindruckt, dass er noch in den Sechziger Jahren die Hauptdarstellerin Jane Darwell in einem Altenheim aufstöberte. Noch einmal sollte sie gegen die Macht der Banken und für den Gemeinsinn werben. Als arme Vogelfrau in „Mary Poppins“.
Daniel Kothenschulte

Bring me the Head of Alfredo Garcia (1974)

Unter den grimmigen Filmen des großen Sam Peckinpah ist dies einer der grimmigsten – und am wenigsten bekannten. Im Kino lief er seinerzeit nur zensiert; dies ist die Gelegenheit, dieses düstere Meisterwerk in der Originalfassung zu erleben. Warren Oates, Peckinpah-Buddy seit 1962 – und gleich in mehreren Filmen der Retrospektive zu sehen –, spielt den heruntergekommenen Barkeeper Bennie („Don‘t you look at me with your Goddamn fucking eyes!“), der weiß, wo sich der Titel gebende Alfredo Garcia aufhält. Ein mexikanischer Großgrundbesitzer hat eine Kopfprämie auf Garcia ausgesetzt, weil dieser seine Tochter geschwängert hat. Um sein Leben endlich in den Griff zu bekommen, will Bennie dieses Wissen für teures Geld an eine Schar übler Gesellen verkaufen. Die Idee ist naheliegend, aber sie ist nicht gut …
Andreas Ungerböck

Viaggio in Italia (1954)

Ein entfremdetes britisches Ehepaar (Ingrid Bergman, George Sanders) unternimmt eine Reise durch Italien, sieht Neapel, Capri und den Vesuv. Er flirtet mit anderen Frauen, sie denkt an eine Jugendromanze. Die Trennung scheint schon besiegelt, als die Eindrücke der Reise während einer Prozession in Pompeji abrupt kulminieren und zu einem nicht mehr erwarteten Ende führen. Das Auto spielt eine wichtige Nebenrolle: Deutet anfangs ein Trennelement in der Scheibe die Distanz zwischen den beiden an, wird es im weiteren Verlauf vor allem für Bergman ein Mittel, Geschichte und Kultur des Landes kennenzulernen. Ungeschönt – und gerade deshalb schön – fängt die Kamera Straßenaufnahmen zwischen kommunistischen Propagandaplakaten und Marienstatuen ein. Einer der großen Filme Rossellinis und einer der abschließenden Höhepunkte des Neorealismus.
Oliver Stangl

Week End (1967)

Jean-Luc Godards „Week End“ ist das vielleicht enervierendste Road Movie der Filmgeschichte. Ein Ehepaar fährt durch eine postapokalyptisch anmutende französische Provinz. Zuerst einmal ist Stau, der längste Stau der Filmgeschichte. Godard zerrt mit einer auch heute noch erfrischenden Chuzpe an den Nerven seines Publikums, etwa zehn Minuten lang fährt die Kamera ohne Schnitt an stehenden Autos entlang, dazu ertönt ein ohrenbetäubendes Hupkonzert. Das Geschehen ist von Anfang an erratisch, die einzige Konstante bildet die zuverlässige Aggressivität der Figuren, alle hassen einander, alle schreien einander ununterbrochen an, meist geht es um ihre Autos. Auch der vom Zwischentitel angekündigte Kampf der Klassen findet hier seinen Ausdruck: Ein Bauer fährt einen jungen Schnösel tot, dessen Freundin sucht Streit – „Mit euren Scheißtraktoren werdet ihr von der Regierung gefickt!“ – „Meinen Traktor beleidigen Sie nicht!“ usw. Am Schluss wird das Ende des Kinos deklariert. „Week End“ ist der angriffslustigste Film, den Godard je gemacht hat.
Benjamin Moldenhauer

Badlands (1973)

Wenn die späteren Killerkinder in „Badlands“ ein Haus abfackeln, dann zerstören sie damit nicht ihr „Zuhause“.
Ein „trautes Heim“ gibt es für sie so wenig, wie es für Terrence Malick eine stabile Welt gibt. Malick zeigt in allen Einzelheiten, was da alles an durchsichtiger Repräsentation eines Gemäuers in Flammen aufgeht, wie die Schein-Sicherheit einer Puppenhaus-Existenz in sich zusammenschmilzt. Eine Zeit lang träumen Holly (Sissy Spacek) und Kit (Martin Sheen) davon, sich als Paar im Wald niederzulassen, versteckt vor der ihnen unverständlichen Außenwelt. Irgendwann bleibt ihnen nur mehr das Auto, um sich ein Zuhause improvisieren und dabei in Bewegung halten zu können. Mehr Fluchtfilm als Road Movie, eher Märchen als Americana, erzählt „Badlands“, wie alle filmischen Betrachtungen des Heidegger-Übersetzers Malick, in konzeptuell fotografierten wie beiläufigen Bildern von der Entfremdung, vom Treibgut Mensch in der Natur. Das kongeniale Musikthema, später von Tony Scott und Hans Zimmer für „True Romance“ geklaut, stammt aus der Musica Poetica von Carl Orff. Es war ursprünglich für Kinder komponiert worden.
Roman Scheiber